Fünf Glücksritter auf Kaperfahrt
Santiano am 21. November in der Oberfrankenhalle in Bayreuth
veröffentlicht am 09.10.2015 | Lesezeit: ca. 5 Min.
Deutschland und seine Interpreten beim Eurovision Songcontest, früher als Grand Prix Eurovision de la Chanson bekannt. Eine Symbiose, die mitunter seltsam anmutenden Gestalten eine Plattform bietet, die diese dann - typisch deutsch - gerne auch benutzen, um den überregionalen Durchbruch zu schaffen. Erinnert sei nur an Guildo Horn. Der gute-Laune-Waschbärbauch-Sänger aus Trier mit seinen selbstgebackenen Nussecken startete 1998 mit seinen orthopädischen Strümpfen als Begleitband so richtig durch. Was Horn und die Strümpfe Ende der 90er Jahre waren, wurden Santiano 2014. Bei der Vorentscheidung zum Grand Prix schieden die Nordlichter zwar im Halbfinale aus - ihrer Popularität verschaffte das aber den nächsten Schub. Schon in den Jahren vorher heimsten sie fleißig Preise ein. Sie staubten zwei Echos ab. In der Kategorie „Volkstümliche Musik“. Dort, wo man normalerweise die „Amigos“, Hansi Hinterseer und die Dauerabonnenten auf den Echo, die „Kastelruther Spatzen“ auf der Bühne beobachten konnte, landeten plötzlich fünf ältere Herren aus Schleswig-Holstein, die mit volkstümlicher Musik in etwa so viel zu tun haben wie Guildo Horn mit Rock‘n‘Roll. Die fünf Seemänner, die es sich auf die Fahnen geschrieben haben, Seemannslieder ins 21. Jahrhundert zu transportieren und traditionelle Klänge mit Rockelementen zu unterlegen. Klamauk sagen die einen, visionär die anderen. Eine Erklärung für den unbändigen Erfolg der noch recht neuen Band finden sich nur wenige. Musikalisch: Sie sind laut und sie verfolgen eine klare Linie. Die wummernden Bässe übertünchen so manche musikalische Schwäche. Ein Phänomen, das der deutschsprachige Musikhörer kennt. Seit den Böhsen Onkelz und anderen Rechtsrockgruppen gehört das ja fast schon zum guten Ton. Showtechnisch: Ein gewisser Charme lässt sich Santiano nicht absprechen. „Wer Santiano haben will, bekommt Santiano“, so Sänger Axel Stosberg kürzlich in einem Interview. Den eigenen Erfolg erklären können sich die fünf, die sich zufällig auf einer Party kennengelernt haben, dort gemeinsam (man darf vermuten, dass dem etliche Kaltschalengetränke vorausgingen) musizierten und ad hoc vom Partyveranstalter, dem Musikproduzenten Hartmut Krech, unter Vertrag genommen wurden, selbst nicht so recht. Diplomatisch betrachtet: Nachvollziehbar. Deutlich formuliert: Würden sie es können, wären sie Hellseher. Rational erklären kann den Erfolg schließlich niemand. Klar ist aber: Wo Santiano sind, sind volle Hallen garantiert. Mit ihrer Mischung aus Seemannsliedern, Volkslieder, Schlager und Irish Folk treffen sie offensichtlich den Nerv des Publikums. Eines Publikums, das gemischter nicht sein könnte. Vom eher dem Kommerz zugeneigten Altrocker über den auf den Kerwas der Region auf den Tischen tanzenden Jungspund bis hin zum Normalo - sie alle finden sich wieder bei den Auftritten Santianos. „Wir singen die Lieder, die Lieder der Freiheit. Die Welt soll uns hören, komm‘, stimm‘ mit uns ein“, singen Santiano im Refrain ihrer aktuellen Single - im dazugehörigen Video schippern sie über die Weltmeere. Fast könnte man es in der aktuellen Zeit für ein politisches Statement halten - doch davon bekommt man von der Band nur selten welche. Wenn, dann nehmen diese klare linke Tendenzen ein. Was den Nordlichtern mit dem Hang zum Pathos und pompösen Auftritten deutliche Pluspunkte einbringt. Am Rande bemerkt: Selbst, wenn man Santiano in die Klamauk-Ecke befördert. Eines muss man ihnen lassen: Sowohl stimmlich als auch im Bereich des Irish Folks - diese Wurzeln lassen sich nicht verleugnen - hinterlassen sie eine gute Figur. Und wenn man ehrlich ist. Irgendwo besteht noch Hoffnung, dass sich die fünf im musikalischen Bereich aus ihrer Grauzone hinauswagen und sich zu einer ernstzunehmenden Band entwickeln. Ob im Rockbereich in die Richtung In Extremos tendierend oder im Folkbereich, angelehnt an Dropkick Murphys und Co. - das bleibt die große Frage. Dass das funktionieren kann, das bewies mit Sarah Connor jüngst eine aus einem ganz anderen Genre. Eine marginale Änderung der musikalischen Schiene, in ihrem Fall das Singen in der Muttersprache, und schon hat man diesen nicht einfachen Spagat fast mühelos bewältigt. Bis es bei Santiano soweit ist bleibt nur, die fünf so zu nehmen, wie sie sich geben. Der Erfolg gibt Recht. Daran gibt es ebenfalls nicht zu rütteln.
Santiano, Von Liebe, Tod und Freiheit Tour 2015, Foto © Pressefoto