HEATHER PHILLIPSON. EAT HERE
DIE BRITISCHE KÜNSTLERIN HEATHER PHILLIPSON VERWANDELT DIE FREI ZUGÄNGLICHE SCHIRN - ROTUNDE IN EINEN SURREALEN RAUM
veröffentlicht am 09.11.2015 | Lesezeit: ca. 6 Min.
Ab dem 20. November 2015 wird mit einer Installation in der frei zugänglichen Rotunde der Schirn Kunsthalle Frankfurt die britische Künstlerin Heather Phillipson erstmals in Deutschland präsentiert.
Das multimediale Werk, dessen Titel „Eat here“ fast als Anagramm von Heart oder Heather gelesen werden kann, widmet sich sowohl der anatomischen als auch der ästhetischen Seite des Herzens. „Eat here“ umfasst Objekte, Sound und Film: Der Boden der Rotunde ist mit einem dicken roten Stoffteppich bedeckt, in dessen Zentrum sich eine rotierende Plattform befindet, auf der eine berdimensionale Styroporskulptur in Form eines Fußes installiert ist. Von erhöhten Aussichtspunkten, die über Treppen betreten werden können, sieht der Besucher auf zwei von einem quer gespannten Seil gehaltene Leinwände. Darauf wird in einer Endlosschleife Phillipsons Videoarbeit „Commiserations“ (2015, 15 Min.) projiziert, in der unter anderem klischeehafte Bilder des Herzens gezeigt werden, das als Symbol und vermeintlicher Ort menschlicher Gefühle gilt. Ergänzt wird die Installation durch von der Künstlerin gezeichnete Spermien, Blitze und Augen, die ähnlich einem Mobile von der Decke herabhängen. Zweidimensionale, auf Holzplatten aufgetragene Walfische flankieren die Eingänge der Rotunde. Diese verwandelt sich durch Phillipsons Installation in einen surrealen, alle Sinne ansprechenden Raum, der an ein überbordendes, mit visuellen und akustischen Effekten aufgeladenes Gebäude erinnert. Dieses gliedert sich in Etagen, die als Nachbildung des menschlichen Körpers gelesen werden können: Das Erdgeschoss ist der Fuß, auf den beiden Leinwänden darüber pocht das zentrale Herz.
In Heather Phillipsons Arbeiten spielt das Medium Video eine zentrale Rolle, das sie zusammen mit Fotografien, Objekten, Sound und Stimme zu Installationen ausweitet, um damit mehrere Sinne gleichzeitig anzusprechen. Als vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin setzt Phillipson zudem die Sprache gegen die vermeintlich überwältigende Macht und Komplexität digitaler Bilder ein. Das poetische Zusammenspiel von Sprache und Bild ergibt einen neuen Blick auf die Dinge, die uns täglich umgeben und unseren Alltag beeinflussen. Phillipsons Gebrauch von Informationen aus dem Internet und am Computer modifizierten Bildern aus dem realen Leben verwischt die Unterscheidung von Wirklichkeit und Fiktion und setzt ganz auf die Möglichkeit der Konstruktion von Realität mithilfe der Fantasie. Indem sich Bild, Sound und Text nicht sofort erfassbar aufeinander beziehen und es keinen offensichtlichen Erzählstrang gibt, steigert die Künstlerin die so entstehenden zeitgenössischen Camouflagen einer analogen und virtuellen Realität ins Absurde. Markant sind die visuell ansprechenden Welten, die sie in ihrer Kunst kreiert: sichtbar montierte Collagen aus heterogenen Dingen. Dem Rezipienten begegnet eine Vielzahl kultureller Referenzen aus der wirklichen und der digitalen Welt. Phillipson sucht nach der maximalen Spannung zwischen den Dingen, um eine Dynamik zu entwickeln, und bricht dabei etablierte Ordnungsschemata auf.
Die Präsentation „Heather Phillipson. Eat here“ wird durch die SCHIRN ZEITGENOSSEN gefördert.
„Mit der speziell für die Schirn entwickelten Installation von Heather Phillipson in der öffentlichen Rotunde bietet unser Haus seinen Besuchern ein synästhetisches Erlebnis, das auf der Koppelung ganz verschiedener künstlerischer Genres beruht und die Betrachter mit einem Zuviel an Eindrücken konfrontiert – einem Exzess gleich: Sie selbst werden Teil oder besser Protagonisten ihres überwältigenden Werks und tauchen vollkommen in Phillipsons Welt ein“, so Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt.
Matthias Ulrich, Kurator der Ausstellung, ergänzt: „Der Titel der Installation steht exemplarisch für die Arbeitsweise der Künstlerin. Nicht die offensichtliche Bedeutung der Worte ‚Eat here‘ steht im Vordergrund – es wird ja in Phillipsons Rotunden-Werk nichts Essbares angeboten. Vielmehr geht es darum, durch die Zusammenführung und das besondere Arrangement zum Teil völlig disparater Elemente und Objekte – von Alltagsgegenständen aus den unterschiedlichsten Kontexten, Darstellungen von Tieren, Abbildungen menschlicher Organe usw. – gewohnte Wahrnehmungsweisen zu irritieren. Auf diese Weise entstehen neue Bedeutungsebenen“.
Die Künstlerin und Schriftstellerin Heather Phillipson (geboren 1978, London) lebt und arbeitet in London. Dort studierte sie an der Central Saint Martins University of the Arts. Ihre Arbeiten wurden in den vergangenen Jahren in verschiedenen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, etwa in der Kunsthalle Basel (2012), im BALTIC Centre for Contemporary Art, Newcastle (2012/2013), im Palais de Tokyo, Paris (2014), sowie in der Serpentine Gallery, London (2013/2014/2015). 2015 ist sie neben ihrer Einzelausstellung in der Schirn unter anderem bei der New Yorker „Performa“ und bei der „Istanbul Biennale“ vertreten. Darüber hinaus ist Heather Phillipson eine mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin. Sie gewann unter anderem den Eric Gregory Award 2008 für junge Autoren sowie den Donut Press Mentoring Award und den Faber New Poets Award (beide 2009).
Die Ausstellung wird durch die SCHIRN ZEITGENOSSEN, einen Kreis privater Förderer junger Kunst an der Schirn Kunsthalle Frankfurt, ermöglicht. Die Schirn dankt Jan Bauer, Andreas Fendel, Hartmuth Jung, Sunhild Theuerkauf-Lukic und Andreas Lukic, Shahpar Oschmann, Vasiliki Basia und Jörg Rockenhäuser, Katharina und Lars Singbartl, Antonie und Heiner Thorborg sowie Vera und Stefan Wallrich für ihr Engagement.
KATALOG Heather Phillipson. Eat here. Herausgegeben von Matthias Ulrich und Max Hollein. Erscheint Ende 2015/Anfang 2016.
ORT SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, 60311 Frankfurt DAUER 20. November 2015 – 7. Februar 2016 INFORMATION www.schirn.de