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Stetige Veränderung ist eine Notwendigkeit

Jakub Hruša, der designierte Nachfolger Jonathan Notts als Chefdirigent der Bamberger Symphoniker

veröffentlicht am 25.11.2015 | Lesezeit: ca. 10 Min.

Wenn ein Orchester auf der Suche nach einem neuen Chefdirigenten ist, dann weiß das treue Abonnement-Publikum, dass es in den Spielzeiten vor dem definitiven Stabwechsel aufzupassen gilt, denn natürlich werden denkbare Aspiranten zu Gastspielen eingeladen. Das haben auch die Bamberger Symphoniker (alias Bayerische Staatsphilharmonie) gemacht, die sich ab der Saison 2016/17, nach dem Weggang Jonathan Notts zum Orchestre de la Suisse Romande, einen neuen Chefdirigenten wählen mussten. Als der junge tschechische Dirigent Jakub Hruša in der zurückliegenden Saison im Josef-Keilberth-Saal auftrat, spürte man aufgrund der begeisterten Stimmung sowohl im Publikum als auch auf der Bühne unter den Musikern, dass ein Nachfolge-Favorit als Stabführer gewaltet hatte. „Der isses“, diese Ahnung ging durch den Raum, und sie bewahrheitete sich kurze Zeit später, als diese Ahnung durch die Bestellung Jakub Hrušas zum Nachfolger Jonathan Notts zur Gewissheit wurde.

Jakub Hruša ist also der designierte Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, aber er kann bereits auf wichtige künstlerische Stationen verweisen bzw. auf renommierte Engagements, die er z.T. noch innehat. So ist er Ständiger Gastdirigent der Tschechischen Philharmonie Prag, Erster Gastdirigent des Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra und war von 2009 bis 2015 Musikdirektor und Chefdirigent von PKF-Prague Philharmonia.

Außerdem ist er regelmäßig Gast bei bedeutenden Orchestern der Welt wie der Tschechischen Philharmonie, dem Philharmonia Orchestra, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem Cleveland Orchestra oder dem Orchestre Philharmonique de Radio France. Künstlerische Höhepunkte der jüngsten Zeit waren seine Auftritte bei den „Bohemian Legends“ und „The Mighty Five“ - zwei bedeutenden Konzertserien des Philharmonia Orchestra – sowie seine Debüts beim Philadelphia Orchestra, dem Los Angeles Philharmonic, den Wiener Symphonikern, dem DSO Berlin und dem Russischen Nationalorchester.

In der Saison 2015/16 wird Jakub Hruša seine lange erwarteten Debüts beim Concertgebouworkest Amsterdam und dem Orchestra Filharmonica della Scala in Mailand sowie an der Wiener Staatsoper („Die Sache Makropoulos“ in einer Neuinszenierung von Peter Stein) und an der Frankfurter Oper („Il Trittico“) geben. 2016 ist er auch erneut beim Glyndebourne Festival zu erleben und dirigiert dort Leos Janaceks „Das schlaue Füchslein“. Als Operndirigent war er seit seinem Debüt im Jahre 2008 regelmäßig beim Glyndebourne Festival zu erleben („Carmen“, „The Turn of the Screw“, „Don Giovanni“, „La Bohème“). Von 2010 bis 2012 war er Music Director von „Glyndebourne on Tour“. Er leitete Produktionen an der Opéra National de Paris („Rusalka“), an der Finnischen Nationaloper („Jenufa“), an der Königlichen Dänischer Oper („Boris Godunow“) und am Prager Nationaltheater („Das schlaue Füchslein“, „Rusalka“).

Unter seinen Toneinspielungen (u.a. sechs CDs bei Supraphon) ragt ein von der Kritik hochgelobter Live-Mitschnitt vom Festival „Prager Frühling“ mit Friedrich Smetanas „Má vlast“ („Mein Vaterland“) heraus. Mit diesem Zyklus war er auch in den schon erwähnten Konzerten mit den Bamberger Symphonikern im Dezember 2014 auf einhellige Begeisterung gestoßen. Mit der Tschechischen Philharmonie und Nicola Benedetti hat er die Violinkonzerte von Peter Tschaikowsky und Max Bruch aufgenommen (Universal), mit dem Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra entstanden Live-Aufnahmen von Hector Berlioz‘ „Symphonie Fantastique“, Richard Strauss‘ „Eine Alpensinfonie“ und Josef Suks „Asrael“-Symphonie (Octavia Records). Nicht zuletzt diese Aufnahmen haben das Gramophone Magazine bewogen, Jakub Hruša als einen Dirigenten zu bezeichnen, der „kurz davor“ sei, „größte Bedeutung zu erlangen“.

Geboren wurde der designierte Nachfolger Jonathan Notts als musikalischer Chef der Bamberger Symphoniker im tschechischen Brünn, sein Dirigierstudium absolvierte er an der Akademie der musischen Künste in Prag. Dort lebt der 34-Jährige auch mit seiner Frau und seiner Tochter. Er ist Präsident des International Martinu Circle und gewann kürzlich als Erster den neu geschaffenen Sir-Charles-Mackerras-Preis, benannt nach dem berühmten australischen Dirigenten, der sich intensiv dem tschechischen Musikrepertoire gewidmet hatte. Die Auszeichnung wurde von der Leos-Janacek-Stiftung im tschechischen Brünn übergeben. Der Preis für junge Dirigenten unter 40 Jahren wird für besonders gelungene Interpretationen von Janaceks Werken vergeben.

Anlässlich seiner neuerlichen Auftritte mit den Bamberger Symphonikern Mitte November in Bamberg, Schweinfurt und Bayreuth traf sich art5drei mit dem Dirigenten in der Bamberger Konzerthalle zu einem Gespräch über seine Vorstellungen von seiner zukünftigen Aufgabe sowie über seine künstlerischen Neigungen und Pläne.

Herr Hruša, wenn ein tschechischer Dirigent die Leitung eines deutschen Orchesters mit tschechischen Wurzeln übernimmt, kommt dann endlich zusammen, was zusammen gehört, ist das die Ironie des Schicksals oder ist das reiner Zufall?

Jakub Hruša: Nein, eine Ironie des Schicksals ist das ebenso wenig wie reiner Zufall. Schwieriger ist es schon, Ihre erste Vermutung zu kommentieren. Ich finde, dieses Zusammenkommen musste nicht sein, aber zum Glück durfte es. Ist doch viel schöner! Im Übrigen wäre das gegenseitige Verstehen – um nicht zu sagen: die Harmonie – genauso perfekt ohne gemeinsame Wurzeln.

Ihr zukünftiger Kollege in Bamberg, Intendant Marcus Axt, hat sich intensiv mit der Geschichte des Prager Vorläuferorchesters befasst. Glauben Sie, dass sich bei Auftritten in Prag denkbare Vorbehalte älterer Menschen angesichts der geschichtlichen Vorbelastungen erledigt haben?

Jakub Hruša: Ja, das hat sich zum Glück längst erledigt, schon deshalb, weil unser Publikum natürlich eine besondere Auswahl hinsichtlich Bildung und Kulturverständnis darstellt. Krieg und Vertreibung, also die beiden Stichworte, die unsere beiden Völker zugleich trennen und verbinden, sind keine virulenten Themen mehr, sie sind Teil einer im Wesentlichen verarbeiteten Geschichte. Aber abgesehen davon macht man sich in Deutschland vielleicht zu skrupulöse Vorstellungen von der Zeit nach dem Krieg. Nicht wenige verfolgten Ende der 40er Jahre das Schicksal des ehemals Prager Orchesters im Radio oder über andere Informationskanäle, denn es gehörte ja zu dieser Stadt.

Sie haben im vergangenen Dezember bei den Bamberger Symphonikern mit Smetanas ‚Ma Vlast‘ (Mein Vaterland) gastiert. Wird es unter Ihrem Chefdirigat eine verstärkte Hinwendung zu böhmischem Repertoire geben, also zu den Werken von Dvorak, Smetana, Janacek, Martinu etc.?

Jakub Hruša: Natürlich ist diese Musik in mir wie keine andere, aber gerade Bamberg braucht bezüglich des „Böhmischen“ bestimmt keine Nachhilfe. Lassen Sie mich kurz antworten: Ein klares Ja zu einer behutsamen Ausdehnung des gesamtslawischen Repertoires.

Dürfen wir auch darauf hoffen, mehr von den zwölf wunderbaren Ouvertüren und Symphonischen Dichtungen Antonin Dvoraks zu hören?

Jakub Hruša: Aber gerne, die ‚Waldtaube‘ und ‚Das Goldene Spinnrad‘ sind da die Favoriten.

Die Klangvorstellungen und die Klangrealität der Orchester haben sich in den letzten Jahrzehnten auch im internationalen Rahmen immer mehr angeglichen. Gibt es den viel zitierten „böhmischen Klang“ überhaupt noch, und glauben Sie, davon beim Bamberger Orchester noch Spuren wahrnehmen zu können?

Jakub Hruša: Das ist schwer in Worte zu fassen; ich würde eher aus einem Instinkt heraus sagen, dass ich ihn noch ahne bzw. fühle. Ansonsten müsste man die Spuren wohl in der Spielweise bzw. in Feinheiten der Phrasierung suchen.

Welche Vorlieben haben Sie im symphonischen Repertoire?

Jakub Hruša: Da beschränke ich mich am Besten auf die Nennung eines Zeitraums: die Musik zwischen 1750 und 1960.

Das ist ja geradezu provozierend ungenau!

Jakub Hruša: Stimmt, aber wenn Sie innerhalb dieser gut zwei Jahrhunderte Vorlieben äußern, relativieren Sie automatisch den großen Rest wunderbarer Musik.

Gibt es eine Symphonie nach Mahler, die Sie als Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts bezeichnen würden?

Jakub Hruša (nach einer Weile des Nachdenkens): ‚Asrael‘ von Josef Suk, das sage ich ohne Begründung...

...also die Gedenk- und Trauermusik auf seine Frau und deren Vater, Antonin Dvorak.

Jakub Hruša: Ja, gleich am Anfang dieses Jahrhunderts.

Gibt es unter den Dirigenten in Geschichte und Gegenwart ideale Vorbilder für Sie?

Jakub Hruša: Den einen idealen Interpreten für jegliche symphonische Musik gibt es nicht, aber ich hege große Bewunderung für mehrere große Dirigenten in Bezug auf ein jeweils spezifisches Repertoire.

Welche Gattungen bevorzugen Sie im Bereich Solokonzert?

Jakub Hruša: Eigentlich müsste ich als Pianist für das Klavierkonzert plädieren, aber ich finde, dass es im Miteinander der Klangkörper für die Geige das beste Verhältnis zum Orchester gibt, die beste Verbindung, gerade auch auf der Bühne. Die Violine ist der selbstverständlichste Teil des Orchesters, zugleich ist sie sozusagen „on top“.

Wie stehen Sie als Operndirigent zu konzertanten Opernaufführungen?

Jakub Hruša: Das kommt auf die Oper an. Beethovens ‚Fidelio‘ beispielsweise, den ich bereits konzertant gemacht habe, eignet sich besonders gut, durchaus auch Dvoraks ‚Rusalka‘. Aber je dichter und wichtiger das Szenische ist, desto problematischer wird die Reduktion auf eine konzertante Darbietung.

Abschließend möchten wir fragen, ob Sie bestimmte Visionen für Ihre bevorstehende „Bamberg-Ära“ hegen.

Jakub Hruša: Visionen sind meist etwas zu hoch gegriffen, deshalb sollte man da bescheidener bleiben, zumal ich ja hier bereits auf eine ausgezeichnete musikalische Situation treffe. Ich wäre schon glücklich, wenn es mir gelänge, das Vorhandene auf menschlich und künstlerisch sensible Weise weiter zu entwickeln und zu verändern – und stetige Veränderung brauchen wir ja!

Herr Hruša, wir möchten uns für dieses Gespräch mit einem Kompliment bedanken: es macht Freude, Ihnen beim Dirigieren zuzuschauen!

Copyright Fotos:

Jakub Hruša, Foto © Andreas Herzau

Jakub Hruša, Foto © Zbynek Maderyc

Jakub Hruša bei der Vertragsunterzeichnung, Foto © 2mcon, Bamberg

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