Im Nürnberger KunstKulturQuartier (kurz: KuKuQ) stehen alle Zeichen auf Veränderung. Zum ersten Mai dieses Jahres verabschiedete sich Dr. Matthias Strobel als Leiter der Kultureinrichtung in den Ruhestand. Der „Neue“ ist Michael Bader, wobei „neu“ relativ ist. Als ehemaliger Redakteur der Nürnberger Nachrichten, studierter Theaterwissenschaftler und Festival-Organisator war er von 1998 bis 2008 Leiter der Tafelhalle, bevor er anschließend zusätzlich Leiter für Kultur und Theater im KunstKulturQuartier wurde. Ab 2013 besetzte er schließlich auch den Posten des stellvertretenden Leiters des KuKuQ.
Vor dem 1959 in Nürnberg geborenen „Quereinsteiger“ – wie sich Bader selbst nennt – liegt nun jede Menge Arbeit, denn noch in diesem Herbst soll der bereits seit Jahren geplante dritte Bauabschnitt des Künstlerhauses, die „Zentrale“ des KuKuQ, beginnen. Die Kosten belaufen sich hierfür auf geplante 25,9 Millionen Euro.
Bereits vor 23 Jahren begann man mit dem ersten Bauabschnitt des Künstlerhauses, der eine Generalsanierung und den Abbruch des alten Kopfhauses, der städtischen Künstlergalerie, mit sich führte. Im zweiten Schritt wurde in der Königstraße ein neuer, umstrittene Kopfbau in einer Stahl-Glas-Konstruktion fertiggestellt, der inzwischen seit 16 Jahren das Stadtbild prägt.
Überhaupt blickt das Künstlerhaus und mit ihm das KuKuQ auf eine bewegte Geschichte zurück. Bereits die Planungsphase erstreckte sich über mehrere Jahre, ehe 1906 mit dem Bau einer Städtischen Galerie begonnen werden konnte. Diese eröffnete schließlich 1908, 1910 folgte das Künstlerhaus. Doch nur wenige Jahre später musste das Haus aufgrund der Kriegswirren des Ersten Weltkrieges wieder schließen und konnte erst weitere 7 Jahre später wiedereröffnet werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Amerikaner und richteten sich in den alten Gemäuern ein Offizierskasino, in dem sich Entertain-Legende Peter Frankenfeld die Ehre gab, eine Eisbar und einen Night Club ein. Es gibt nahezu nichts, was das Gebäude in der Königstraße nicht schon beherbergte. Ab den 50er-Jahren waren es u.a. ein Reisebüro, ein Friseur, eine Schneiderei, städtische Dienststellen oder die Pädagogische Hochschule, die sich hier ansiedelten. Die Geschichte des Künstlerhauses, wie wir es heute kennen, beginnt erst Mitte der 70er-Jahre mit dem Einzug des damals noch selbstverwalteten KOMMunikationszentrums Künstlerhaus, ein beliebter Treffpunkt – auch für Autonome und Punks. Vor zehn Jahren schließlich erfolgte die verwaltungstechnische Zusammenlegung von Künstlerhaus, Tafelhalle, Filmhaus, Kunsthalle, Kunstvilla und Kunsthaus sowie der Katharinenruine.
Vom Sommerloch ist im KuKuQ derzeit nichts zu spüren, schließlich müssen bis Baubeginn noch einige Vorbereitungen getroffen werden. Die Zeit für ein Interview mit ART. 5|III hat sich der neue Leiter, Michael Bader, trotzdem genommen.
ART. 5|III: Herr Bader, seit 1. Mai sind Sie nun Nachfolger von Dr. Matthias Strobel. Was hat sich – in Hinblick auf Ihre bisherigen Posten im KunstKulturQuartier – mit der neuen Position für Sie geändert und was hat sich fürs KunstKulturQuartier verändert?
Wenn alle Positionen, die ich vor der Dienststellenleitung besetzt habe, wiederbesetzt sind, dann kann man auch anstreben, etwas zu verändern (lacht). Wir sind im Moment noch im Transformationsprozess einer Kultureinrichtung, die dieses Jahr zehn Jahre alt – oder jung – geworden ist. Für eine städtische Dienststelle ist das eigentlich sehr jung. Sie hat bisher gut funktioniert und ich werde jetzt versuchen, auf dem, was da ist, aufzubauen. Wir suchen derzeit eine Leitung für die Tafelhalle und eine stellvertretende Dienststellenleitung. Also alles, was ich bisher gemacht habe, ist nach wie vor noch in meiner Hand. Bislang hat sich noch nichts geändert. Da müssen Sie mich in einem halben Jahr nochmal fragen.
ART. 5|III: Haben Sie schon jemanden in Aussicht?
Die ganzen Veränderungen, die durch den Leitungswechsel entstanden sind, kamen sehr kurzfristig und sind nicht von langer Hand geplant, sodass wir momentan noch alle Hände voll zu tun haben.
ART. 5|III: Dürfen wir fragen wie man so etwas schafft?
Sagen wir so: Ich bin gerade am Schweben.
ART. 5|III: Ist denn Licht am Ende des Tunnels?
Wir haben ein Ausschreibungsverfahren gemacht, das nicht die erwünschten Ergebnisse erzielt hat. Und jetzt geht’s in die nächste Runde.
ART. 5|III: Waren Sie als Stellvertreter gewissermaßen verpflichtet, den Posten zu übernehmen?
Das hat nichts miteinander zu tun. Begründet ist es durch meine Biographie sowie meine Mitarbeit an der Großbaustelle Künstlerhaus und somit auch eine relativ „organische“ Lösung.
ART. 5|III: Der Begriff Dienststelle klingt sehr förmlich und bürokratisch. Aber muss man für solche Aufgaben nicht eigentlich ein sehr kreativer Kopf sein?
Wir sind in einer kommunalen Struktur, da gibt’s bestimmte Bezeichnungen und Hierarchien. Das deckt sich nicht unbedingt mit der täglichen Arbeit. Letztendlich bin ich, gemessen an einer normalen städtischen Struktur, ein absoluter Quereinsteiger – obwohl ich natürlich auch schon zwanzig Jahre dabei bin. Eigentlich bin ich ja ausgebildeter Journalist, habe dann aber die letzten Jahre hauptsächlich als Dramaturg und Festivalleiter gearbeitet – künstlerisch wie organisatorisch.
ART. 5|III: Wenn man Stellvertreter ist, hat man ja schon einen ganz guten Einblick in das Große und Ganze, obwohl man vielleicht nicht die letzte Entscheidungsgewalt hat. Nichtsdestotrotz beobachtet man und hat sicher so seine Vorstellungen. Jetzt sind Sie Chef und können das umsetzen, von dem Sie denken, es besteht Bedarf. Deshalb vielleicht ein Blick in die Zukunft: Wird sich unter Ihrer Führung etwas am KunstKulturQuartier ändern und können Sie schon sagen, was?
Das ergibt sich aus den Aufgaben, die auf dem Tisch liegen. Wir haben ein riesengroßes Bauvorhaben vor der Tür: der dritte Bauabschnitt des Künstlerhauses muss angegangen werden. Wir planen seit 2011 und erledigen jetzt die letzten Aufgaben für den Baubeginn. Damit einher geht, dieses Haus nach Fertigstellung neu an den Start zu bringen. Das wird eine der entscheidenden Aufgaben sein.
Das Künstlerhaus ist mit seiner sehr wechselvollen Geschichte seit 1910 heute ein sich permanent veränderndes Kulturzentrum, das wir nun für die nächsten 30 Jahre neu aufstellen müssen. Wir müssen das, was hier stattfindet, in die Stadtgesellschaft bringen. Wir arbeiten sehr viel mit dem Prinzip der Partizipation, der niederen Schwellen und wir haben hier einen ganz ausgeprägten Mix aus Menschen, die sich ehrenamtlich betätigen und die nach Plattformen suchen, um sich auszuprobieren. Auf der anderen Seite sind wir selbst Betreiber und Veranstalter dieses Hauses und wollen Themen finden, die für unsere urbane Stadtgesellschaft wichtig sind. Das sind vor allem genreübergreifende Themen, das sind aber auch Themen, die aktuell brisant sind, die Reibung haben und die Experimente in sich bergen. Das wird auf alle Fälle ein gewaltiger Unterschied zur Arbeit der letzten 10 Jahre sein. Darüber hinaus bin ich mir darüber bewusst, dass wir mit kluger Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit neue Wege finden müssen, um Kunst und Kultur in Anbetracht von Digitalisierung besser zu vermitteln.
ART. 5|III: Wir sehen bei verschiedenen Kulturinstitutionen, dass man sich viel mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt. Sicher stehen einige dem Thema auch furchtsam gegenüber, weil sie nicht genau wissen, wie sie damit umgehen sollen und wissen, dass die anstehende Digitalisierung auch die Kultur- und Kunstlandschaft deutlich verändern wird. Haben Sie schon einen konkreten Plan, wie Sie damit umgehen wollen?
Das ist sowohl für uns, als auch für die Stadt ein großes Thema. Die Stadt Nürnberg hat einen groß angelegten Prozess der Digitalisierung mit Firmen aufgenommen, die jetzt gerade fertig geworden sind, die Landeshauptstadt München zu digitalisieren.
Man muss zwischen zwei Feldern unterscheiden. Die Digitalisierung führt uns in eine grundlegend veränderte Arbeitswelt 4.0. Das wird z.B. bei der Veranstaltungstechnik, aber vor allem in der Verwaltung epochal, vermuten wir. Das heißt, es wird auch uns betreffen.
Das andere Feld beschäftigt sich damit, wie in der Kultur – also auch in der Kunst – konkret mit dem Thema Digitalisierung umgegangen wird. Wir beschäftigen uns mit Formaten, in denen sich Kunst mit 0+1 auseinandersetzt. Das ist nicht unbedingt die hundertste Projektion einer Ballettaufführung, sondern das sind Versuche, eine Interaktivität herzustellen, z.B. Life-Erlebnisse mitzugestalten. Wir haben sogar eine Stelle nur für digitale Kultur eingerichtet. Da geht es um Games Art, also um Spiele, um deren Künstler, Designer und Entwickler und um die Welten, die diese entstehen lassen. Mit „extralife“ hatten wir 2015 bereits eine Ausstellung im Kunsthaus zum Thema Games Art. Im Zuge der Bewerbung zur Kulturhauptstadt führen wir ausschließlich digitale Projekte durch. Zum Beispiel geht es bei Chip Hits The Fan darum, aus Game Boy Musik per öffentlicher Ausschreibung einen Sound für Europa zu kreieren. Es gibt zahlreiche Künstler, die aus Game Boy-Lauten tolle Musik machen! Das ist absolute Subkultur (lacht). Im November haben wir dann unsere FIFA-Städte-Meisterschaft gegen Fürth. Und im Kunsthaus wird eine große Ausstellung sein: „News Flash“. Da geht es aus künstlerischer Sicht darum, wie sich Nachrichten verändern und welche Transformationsprozesse im Nachrichtenwesen passieren. In dieser Arbeit liegt eine Erweiterung der soziokulturellen Arbeit in den 80er- und 90er-Jahren, denn wir versuchen mit künstlerischen Mitteln, Dinge zu abstrahieren, um neue Sichtweisen herzustellen.
Und dann stellt sich für uns natürlich die Frage, wie wir von der Digitalisierung in der Kunstvermittlung profitieren können. Wir werden viel ausprobieren. Man könnte z.B. einen Ausstellungsraum via VR-Brille ins Wohnzimmer bringen, ohne dazu einen realen Ausstellungsraum zu benötigen. Den könnte man ausschließlich in der Virtualität erschaffen. Grundsätzlich gilt es herauszufinden, an welcher Stelle das reale Erlebnis weiterhin vonnöten ist und an welcher Stelle wir den Besucher zu neuen Wegen motovieren können. Das ist kulturpädagogische Vermittlungsarbeit, auf die wir einen Schwerpunkt legen wollen und müssen.
ART. 5|III: Wir würden gerne noch einmal auf die Planung des dritten Bauabschnitts des Künstlerhauses zurückkommen. Da waren Sie sicher auch als Stellvertreter schon involviert?
Ja, ich habe es als Bauherr mit geplant.
ART. 5|III: Die Tafelhalle wurde ja auch unter Ihrer Leitung renoviert. Da kann man doch bestimmt auf Erfahrung zurückgreifen.
Ja, wobei das unterschiedliche Dimensionen sind. Die Tafelhalle war eine Maßnahme von 5 Millionen und hier sind wir bei 25,9 Millionen Euro. Bei der Tafelhalle ging es allerdings auch um eine neue Konstruktion, wobei das Gebäude vermeintlich so geblieben ist. Aber auch da ging es darum, neue Wege zu eröffnen. Im wahrsten Sinne des Wortes, sprich, wie trifft das Publikum auf unsere Angebote? Wie funktioniert so ein Haus operativ? Wie kann man sich öffnen, indem man so ein Haus „neu“ baut? Wie kann man einladen und leiten.
ART. 5|III: Und welche bautechnischen, denkmalpflegerischen und organisatorischen Probleme sind im Planungsprozess des dritten Bauabschnitts aufgetreten?
Probleme treten hoffentlich erst auf, wenn wir bauen, aber während der Planung sind natürlich viele Fragestellungen zu beantworten gewesen. Zum einen haben wir uns mit unseren Angeboten im Haus teilweise selbst im Weg gestanden. Wir haben Veranstaltungsräume, die nicht gleichzeitig bespielt werden können, weil sie sich gegenseitig akustisch stören. Das klingt vielleicht ein bisschen lapidar, aber das ist eine der Hauptmaßnahmen, die auch am meisten Geld verschlingen wird, weil wir einen Veranstaltungsraum tatsächlich unter die Erde verlegen müssen. Das betrifft das Zentralcafé – das ist eine riesige Baumaßnahme. Graben Sie mal hier in Bahnhofsnähe, wo früher noch Straßenbahnen fuhren, ein paar Meter nach unten. Was da alles zum Vorschein kommt! Alte Kanäle, Leitungen etc.
Der Denkmalschutz ist natürlich auch ein sehr wichtiger Punkt. Es hat sich Gott sei Dank auch im Denkmalschutz und in der Auffassung darüber, was Denkmalschutz bedeutet, vieles gewandelt. Wir konnten mit tollen Leuten zusammenarbeiten, die nicht mehr davon ausgehen, dass das, was 1910 oder danach (ein-)gebaut wurde, in Gänze denkmalwürdig und wiederherstellbar ist, d.h. zurückgebaut werden muss etc. Und es muss umgekehrt auch nicht jeder Einbau aus den 30er-Jahren erhalten bleiben. An manchen Stellen haben die Bauforscher und Restauratoren z.B. Graffitis aus der KOMM-Zeit gefunden, die bewahrt werden, wenn es die Erhaltungsqualität zulässt. Oder ein anderes Beispiel: Wir haben herausgefunden, dass die sehr schöne Holzdecke in unserer Gastronomie „Auguste“ überhaupt nicht in unser Haus gehört, sondern aus einem Patrizier-Haus stammt und irgendwann hier eingebaut wurde. Es geht vor allem um den Erhalt der Geschichte des Künstlerhauses und da wird es ganz viele Zitate geben. Die Technik wird komplett neu gemacht – das ist ein großer Posten – ansonsten wird man ganz viel an alter Materialität wiederfinden.
Dann hat das Haus ein Grundproblem. Das muss man eigentlich dem damaligen Architekten ankreiden (Anm. d. Red.: Gemeint ist Architekt Konradin Walther, nach dessen Plänen das Künstlerhaus errichtet wurde). Das Haus hat keine Mitte, sondern hat sich mittlerweile mit 7 Eingängen und mindestens genauso vielen Ausgängen zu einem unüberschaubaren Konvolut entwickelt. Die organischen Wege fehlen ganz einfach. Wir kriegen jetzt – und das war der Schachzug des Architekten (Anm. d. Red.: Architekturbüro Nagler aus München) – eine neue Mitte, von der sich alles, was im Haus stattfindet, präsentieren soll. Das wird das Herz des Künstlerhauses und das gilt es jetzt zu beplanen und zu organisieren. Aber das macht total Spaß, das ist wie eine Vision.
ART. 5|III: An welcher Stelle wird sich das Herzstück dann befinden?
Es wird dort sein, wo jetzt das Restaurant „Auguste“ ist. Da werden richtige Maueröffnungen geschaffen. Derzeit ist das ein verwinkelter, hallenartiger Raum. Der wird nun großzügig gestaltet, um für das gigantisch lange Haus einen neuen Eingang zu kreieren.
ART. 5|III: Stehen in den nächsten Jahren noch irgendwelche anderen Sanierungsmaßnahmen im KunstKulturQuartier an oder hat es sich damit dann erstmal erledigt?
Oh, noch lange nicht. Jetzt wird gerade die Kunsthalle umgebaut. Die ist zwecks energetischer Dachsanierung geschlossen und öffnet erst im Mai wieder. Die Katharinenruine muss gesichert werden. Das wird eine große Baumaßnahme, die nächstes Jahr parallel hierzu laufen wird.
ART. 5|III: Nochmal zurück zum „Herz des Künstlerhauses“: Ist nicht ein Kritikpunkt der Betreiber des Café Kaya und des Musikvereins, dass sie mit dem Umbau aus dem Herzen verdrängt werden?
Verdrängt wird niemand. Und der Grund, wieso die Kulturveranstalter Café Kaya und Musikverein in eine andere Räumlichkeit umziehen müssen, hat nichts mit der neuen Mitte bzw. dem neuen Herzstück zu tun, sondern ist ausschließlich auf die Schalltrennung zwischen Festsaal und Zentralcafé zurückzuführen. Ganz im Gegenteil und darauf kann ich nicht oft genug hinweisen: nicht nur politisch festgeschrieben, sondern auch von mir ausdrücklich erwünscht und gewollt, ist die Subkultur! Die Attitude, sich nicht an vermeintlich vorgegebenen Inhalten zu orientieren, sondern tatsächlich aus dem einfachen Bedürfnis und Selbstzweck heraus, Kunst und Kultur zu machen, ist die Zukunft des Künstlerhauses.
ART. 5|III: So ist doch die Ausrichtung des gesamten KunstKulturQuartiers – haben wir jedenfalls den Eindruck.
Richtig. Uns wurde bloß ab und zu vorgeworfen, dass wir vermeintlich „ungeliebte Kinder“ irgendwie loswerden wollen. Ganz im Gegenteil, ich möchte sie sogar ermutigen, immer wieder neue Wege zu gehen.
ART. 5|III: Aber diese Stimmen müssen ja irgendwoher rühren. Haben Sie eine Ahnung, woher sie kommen? Wenn man Ihnen so zuhört, kann es an Ihnen ja anscheinend nicht liegen, oder?
Viele Unstimmigkeiten entstehen durch Missverständnisse. Also durch Kommunikationsdefizite. Durchaus auch von unserer Seite…den Schuh kann man sich anziehen. Und dann gibt es ein ganz normales psychologisches Phänomen. Wenn ich zwanzig, dreißig Jahre an einem Ort bin und ich soll mich da jetzt bewegen…
ART. 5|III: Aus der Komfortzone sozusagen…
Das würde ich nie so sagen. Aber es ist so, dass es erstmal Angst auslöst, weil es ja keine Betriebe mit Angestellten und Mitarbeitern sind, sondern freie, ehrenamtliche Gruppen. Die haben keine großen Möglichkeiten, dagegen zu steuern. Sie haben nur eine Möglichkeit, nämlich irgendwie die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Unser Verhältnis – so mein Eindruck – hat sich mittlerweile entspannt, wir haben auch wieder ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, was in der Zeit durchaus etwas zerrüttet war. Und es setzt sich mittlerweile an mancher Stelle auch der Glaube durch, dass sich alles, was jetzt in Bewegung kommt, nicht nur zu ihrem Nachteil, sondern auch zu ihrem Vorteil entwickeln kann.
ART. 5|III: Und wurde für den Musikverein und das Café Kaya inzwischen eine Interimslösung gefunden?
Ja, das war eine sehr schwierige Aufgabe, wir haben es aber trotzdem gestemmt. Und zwar in nächster Nähe. Gleich gegenüber ist die ehemalige Bauhofkantine, auch ein städtisches Gebäude und ein sehr charmanter 60er-Jahre-Bau. Das wird für die nächsten Jahre der Ersatzort für das Zentralcafé. Aufgabe war es aber nicht nur, fürs Café Kaya und den Musikverein Ausweichspielorte zu finden, sondern für insgesamt 17 Gruppen und Vereine, also für Werkstätten wie z.B. die Schmiede, die Schreinerei, das Fotolabor und die Siebdruckwerkstatt. Sie werden im Stadtgebiet und auch in der Peripherie des Künstlerhauses untergebracht. Das war ein Kraftakt, aber wir wollen ja, dass unsere Leute und Vereine auch weitermachen können.
ART. 5|III: Sie haben vorhin ein schönes Stichwort genannt: die Bewerbung Nürnbergs zur Kulturhauptstadt Europas 2025. Da würde uns natürlich interessieren, ob sie als KunstKulturQuartier oder auch persönlich involviert sind. Wenn ja, inwiefern und welche persönliche Meinung haben Sie dazu?
Wir sind als Dienststelle involviert und können da auch mit unserem Standort mitten in der Stadt mitspielen. Wir hatten hier schon eine Diskussionsreihe – „Let‘s talk“ – die ist sehr gut gelaufen und hat zur Mobilisierung beigetragen. Wir sind in engem Kontakt – eine durchaus auch persönliche Verbindung – zu Professor Wagner, der thematisch aus einer ähnlichen Ecke kommt wie ich. Wir kommunizieren sehr viel und haben jetzt drei Projekte, die wir im Bewerbungsmodus ab Herbst für die Kulturhauptstadtbewerbung aufstellen werden (Anm. d. Red.: Hans-Joachim Wagner war Musikreferent im Kölner Kulturamt und Leiter des Festivals "Feste Musicali". Seit Januar 2018 leitet er das Nürnberger Kulturhauptstadt-Bewerbungsbüro). Dann machen wir mit der Tafelhalle ein großes Projekt: das „Rimini-Protokoll“. Das ist eine Performancegruppe aus Berlin, die sich die Stadtgesellschaft und die Stadtkultur zu eigen gemacht und ein Projekt aufgelegt hat, bei dem wir Co-Produzent sind. Dieses Projekt ist ein umgebauter LKW, der auf der Breitseite mit einer Glasfront versehen wurde und Stadtführungen anbietet. Wir helfen, wo wir glauben, dass es unseren Fähigkeiten und Themen entspricht. Ich finde vor allem die Vorbereitungszeit aufs Jahr 2025 spannend. Alles, was im Zuge dieses Bewerbungsparcours passiert, ist erstmal gut für die Stadt und deren Lebendigkeit. Also kann ich dem nur positiv gegenüberstehen.
ART. 5|III: In dem Zusammenhang kam ungefähr vor zwei Wochen die Nachricht, dass für AEG ein Investor gefunden wurde und sich die Künstler mit dem Gedanken anfreunden müssen, im September auszuziehen. Sind Sie da als Dienststelle auch involviert? Betrifft sie das? Kommen die Künstler zu ihnen und beschweren sich?
Wir haben durch die Situation Quelle und AEG in den letzten Jahren eine tolle Situation gehabt. Künstler konnten dort Leerstand für ihre Ateliers zwischennutzen. Die Situation hat sich dadurch jetzt natürlich total verschlechtert. Das ist äußerst bedauerlich.
ART. 5|III: Steht das Quelle-Gebäude nicht noch leer?
Das Quelle-Gebäude ist wieder an eine neue Firma/Investor verkauft worden. Aktuell ist Leerstand, aber ich maße mir nicht an, zu behaupten, wie es besser laufen könnte. Wir haben eine sehr kulturfreundliche Stadtspitze. Wenn es irgendeine Möglichkeit gegeben hätte – so glaube ich – das Quellkollektiv länger dort drinnen zu behalten, wäre es auch in Betracht gekommen. (Anm. d. Red.: Das Quellkollektiv ist ein Verein von Kreativ- und Kulturschaffenden im Großraum Nürnberg, der seit der Versteigerung des Quelle-Gebäudes 2015 in Verhandlungen mit dem portugiesischen Investor Sonae Sierra und der Stadt Nürnberg stand, um das ehemalige Heizhaus der Quelle für Werkstätten, Ateliers und Start-Ups nutzbar zu machen). Bei AEG ist es ein bisschen anders. Auf AEG hat sich die Stadt ein Stück reserviert. Da ist auch die Kulturwerkstatt drin, da gibt es Probenräume vom Staatstheater. Bei den Räumlichkeiten auf AEG, um die es jetzt geht, haben alle Künstler und Veranstalter gewusst, dass es nur eine Zwischennutzung ist. Das war im Gegensatz zu Quelle nichts Überraschendes.
ART. 5|III: Ist denn seitens der Stadt angedacht, etwas zu tun und den Leuten zu helfen? Oder können vielleicht sogar Sie helfen? Eventuell so wie bei Musikverein, Café Kaya etc. oder übersteigt das Ihre Möglichkeiten?
Unsere Möglichkeiten übersteigt das auf jeden Fall. Da besteht Nachholbedarf, bei dem alle in der Stadt zusammenarbeiten müssen: Kulturverwaltung, Liegenschaftsamt und freier Immobilienmarkt. Es braucht u.a. ein intelligentes Leerstandmanagement.
ART. 5|III: Haben Sie nicht Angst, dass ein Teil der Kultur- und Kunstszene wegbrechen könnte, wenn man für die Leute auf AEG oder auch Quelle keine Lösung findet?
Klar. Nürnberg hat ja die Problematik, keine Stadt mit einem üppigen Galeriewesen zu sein, in der sich Kunst leicht verkaufen lässt. Dies wiederum ist aber wichtig für die Ansässigkeit eines Künstlers. Und natürlich ist jetzt eine Fluktuation möglich und zu befürchten. Natürlich bekommen wir das mit und wir sind auch betroffen durch unsere Kunst- und Ausstellungshäuser, weil wir ja stark mit der regionalen Kunstszene zusammenarbeiten.
ART. 5|III: Letzte Frage: Können sie Kunst- und Kultur selbst überhaupt noch genießen – auch in ihrer Freizeit? Wenn ja, wo und was?
Ich bin natürlich ganz viel in der Kultur unterwegs, in erster Linie da, wo ich glaube, sein zu müssen. Das kann eine Ballettpremiere sein, das sind aber auch die Bayerischen Theatertage. Wenn es die Zeit zulässt, bin ich viel im musikalischen Bereich unterwegs, vor allem in der zeitgenössischen Klassik und im Jazz. Ich bin gern auf Konzerten, ich bin gern in München. Ich schau mir gerne an, was mein Kollege Matthias Lilienthal in München so macht, solange er jetzt noch da ist (Anm. d. Red.: Matthias Lilienthal ist Intendant der Münchner Kammerspiele, sein Vertrag läuft 2020 aus). Und ich bin interessehalber und aufgrund meiner neuen Funktion viel in Ausstellungen, wobei ich mir nicht anmaße, ein Kunstsachverständiger zu sein. Ich habe über viele Jahre ein Bauchgefühl entwickelt und kann ganz gut über Kunst- und Kultur sprechen, maße mir aber nicht an, überall Experte zu sein. Dafür habe ich tolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
ART. 5|III: Wir bedanken wir uns herzlich für das Gespräch und wünschen für alles anstehende viel Erfolg und Kraft!
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Michael Bader, Foto © Pressefoto
An dieser Stelle im Innenhof wird zukünftig eine Brücke die beiden Bereiche verbinden, Foto © 2mcon
Noch ist die „Auguste“ an ihrem alten Platz, bald entsteht hier eine neue Gebäudemitte, Foto © 2mcon