Seit einem Vierteljahrhundert ziehen die Freiluft-Opernaufführungen auf der berühmten Treppenanlage vor dem Erfurter Dom die Musenfreunde aus aller Welt an. Die DomStufen-Festspiele dürfen mit Recht beanspruchen, zu den Höhepunkten des mitteldeutschen Kultursommers zu zählen und im Bereich des Musiktheaters sogar die Veranstaltungsreihe par excellence zu sein. Nach Puccinis „Tosca“ (2016) und Verdis „Troubadour“ (2017) steht mit Georges Bizets „Carmen“ heuer ein weiterer Blockbuster des Opernrepertoires auf dem Programm. Inszeniert wird die Geschichte um die verführerische Zigeunerin vom Hausherrn des Erfurter Theaters, Guy Montavon, der zuletzt (2015) am selben Ort Webers „Freischütz“ in Szene gesetzt hatte.
Ob mittelalterliche Stadt, riesiger Schiffsrumpf oder Märchenwald: noch jedes Jahr ist es den Festivalmachern gelungen, die Besucher der Festspiele mit phantasievollen und farbenfrohen Bühnenbildern zu überraschen. Schöne Eindrücke davon vermittelt eine diesbezügliche Ausstellung im Gebäude der Landesbank Hessen-Thüringen, die bis zum 23. August zu sehen ist. Die Ästhetik jenes Bühnenbildes, das ab Festivalbeginn die Domstufen schmücken wird, ist jedoch alles andere als pittoresk. Ausstatter Hank Irwin Kittel hat ein spektakuläres Ensemble aus Schrottautos entworfen, das die Handlung von vorneherein an den Rand der Gesellschaft verortet. Wenn dann im vierten Akt noch schicke Autos mit Chauffeur aufkreuzen sollen, lässt sich denken, welche Welten da aufeinander treffen werden…
Es wird also inszenatorisch spannend werden, doch auch in musikalischer Hinsicht darf man mit großen Erwartungen nach Erfurt fahren, denn neben hochkarätigen Gesangssolisten (bei den Hauptrollen zum Teil in Dreifachbesetzungen!) stehen die Chöre des Theaters auf der Bühne, natürlich begleitet vom Philharmonischen Orchester. Das wird erstmals geleitet von Myron Michailidis, dem neuen Erfurter Generalmusikdirektor. Zum einmaligen Dreigespann von Erfurts DomStufen-Festspielen gehören jedoch nicht nur Inszenierung und Musik, sondern auch die besondere Atmosphäre auf dem Platz zwischen Dom und Severinskirche. Premiere ist am 3. August und bis zum 26. des Monats darf die Devise lauten: auf ins schöne Erfurt!
Drei Fragen an Guy Montavon, Generalintendant des Theaters Erfurt und Künstlerischer Leiter der DomStufen-Festspiele Erfurt:
ART. 5|III: Herr Montavon, verfolgen Sie, wenn Sie sich an die Neuinszenierung einer Oper machen, immer auch den Anspruch einer Neudeutung des Werkes?
Natürlich, es muss stets unsere Aufgabe sein, den jeweiligen Text grundsätzlich neu zu befragen: aus der eigenen Perspektive, aus dem eigenen Erfahrungshorizont, aus den aktuellen Zeitumständen. Jeder Regisseur bringt seine individuellen Voraussetzungen mit und hat daher das Recht, ja die Pflicht, diese daraus resultierende eigene Handschrift prägend in eine Neuinszenierung einzubringen. Das ist mir seit der Zusammenarbeit mit Götz Friedrich zur Selbstverständlichkeit geworden. Im Falle der „Carmen“ ist übrigens schon der Vergleich des Librettos von Meilhac und Halévy mit der Novelle Prosper Merimées erhellend und fordert zu interpretatorischen Akzentsetzungen heraus.
ART. 5|III: Zu welcher Art von Randgruppe wird das Zigeunermilieu bei Ihnen mutieren, zu Migranten beispielsweise?
Nein, eine Aktualisierung in dieser Richtung wird es nicht geben, denn es macht keinen Sinn, die sehr eigenständige Welt der Zigeuner und Vorstadtbewohner, so wie sie in der „Carmen“ dargestellt wird, mit was auch immer zu amalgamieren. Es ist und bleibt ein Milieu der Schmuggler, Arbeiterinnen und Bohemiens, das schon bei Bizet genügend Kontraste zur bürgerlichen Welt bietet.
ART. 5|III: Das Bühnenbild, so viel wurde bereits verraten, soll u.a. aus einer Anhäufung von Autowracks bestehen. Beabsichtigen Sie einen scharfen Kontrast zum Dom im Sinne von profan versus sakral oder zielen Sie auf Recycling-Assoziationen?
Zum Erstgenannten ein klares Nein, denn der Dom steht ganz für sich allein und musste – gewollt oder ungewollt – schon ganz andere Kontraste aushalten, z.B. einige Panzer, die jüngst bei einer Präsentation der Bundeswehr auf dem Platz vorfuhren. Da gibt es keine Berührung – und übrigens auch keinerlei Probleme mit dem zuständigen Ordinariat. Die Recycling-Vorstellung kommt meinen Absichten schon näher, aber ich würde eher von Ausplünderung und Wiederverwertung sprechen. Die Zigeuner hatten ja viel mit Alteisenhandel und Schmiedehandwerk zu tun, insofern passt das zu ihrem typischen Lebens- und Arbeitsumfeld. Natürlich sind wir hier auch auf der Müllhalde der Gesellschaft, beim reisenden Volk am Rande der Großstädte.
Fotocredits:
Der Troubadour bei den DomStufen-Festspielen 2017, Foto © Lutz Edelhoff