Kurzopern haben es schwer, denn sie sind nicht abendfüllend und müssen sich daher die Kombination mit einem anderen Werk gefallen lassen. Am Frankfurter Opernhaus ließ sich jüngst die Kombination einer bekannten Orff-Oper mit einem heute auf den Spielplänen rar gewordenen Werk Kurt Weills erleben. Dessen 1928 uraufgeführte und seinerzeit jahrelang erfolgreiche Oper mit dem atypischen Titel „Der Zar lässt sich fotografieren“ wurde mit Carl Orffs „Die Kluge“ verbandelt. Gemeinsam ist beiden Werken die Frage nach der Wahrheit: was ist Realität, was ist Schein, was ist Vorwand, wo versteckt sich die Rechtschaffenheit hinter der Lüge?
In Weills Zarenstück, einer komischen Oper par excellence, gibt der Wunsch des russischen Potentaten, sich ausgerechnet in Paris von einer gewissen Angèle fotografieren zu lassen, den Startschuss für einen ziemlich absurden Plot. Der hat in der Tat mit einem Schuss zu tun und geht so: Eine Gruppe von Verschwörern bekommt Wind von dem Fototermin und will ihn für ein Attentat nutzen; sie verschaffen sich Zugang zum Fotostudio, überwältigen Angèle und installieren in ihrem Fotoapparat eine Pistole; als der Zar kommt, trifft er auf eine falsche Angèle, die jedoch alsbald seinem Flirten geneigt ist; zunehmend gerät die Sache außer Kontrolle, doch bevor eine(r) der beiden den Auslöser betätigen kann, wird der Komplott aufgedeckt; die richtige Angèle taucht auf, die Attentäter können fliehen, der Zar bekommt sein Porträt.
Keith Warner hat sich für seine originell durchdachte Inszenierung von Boris Kudli?ka ein Bühnenbild hinstellen lassen, das durch das mittlere Drehelement sinnstiftende und insofern kommentierende Einblendungen erlaubt. Gleich zu Beginn sitzt die Zarenfamilie der Romanows wie eingefroren auf dem Podest, gleich so, wie man es von den Bildern kennt. Und man weiß, dass sie bald komplett ausgelöscht werden. Es folgt, das Geschehen jeweils nur kurz unterbrechend, die Präsentation weiterer Attentat- und Mordvariationen – so der Mord des Brutus an Cesar.
Die große Halbkreiswand im Hintergrund ist übersät mit Luken, aus denen zunächst skelletierte Gesichter schauen, die bald durch die Photos von Politikern aus Geschichte und Gegenwart (von Napoleon bis Trump) sowie Künstlern (von Brecht bis Monroe) ersetzt werden. Dass die Attentäter als Kleriker und Nonnen gewandet sind, ist eine nette Gemeinheit. Interessant ist, wie Weills Oper im damaligen Russland aufgenommen wurde. Man warf ihm vor, er betrachte den Zaren ebenso wie die Revolutionäre nur satirisch und stelle sich auf keine Seite.
Regie und Besetzung dieser Inszenierung überzeugen bis in jegliche Details und stellen dem „Opernhaus des Jahres“ einmal mehr das beste Zeugnis aus. In der Besetzung dominieren Domen Krizaj als Zar und Juanita Lascarro als falsche Angèle mit ihrem Spielwitz und ihren stimmlichen Tugenden diese Aufführung, die auch in den weiteren Rollen exzellent besetzt ist.
Wenn es nach der Pause mit Orffs in einem problematischen Jahr (1943) uraufgeführter Kurzoper „Die Kluge“ weitergeht, stellt sich die Frage, ob wir es mit einer Parabel auf den Verlust der Tugenden oder mit einem machiavellistischen Lob auf die konfliktlösende Notlüge zu tun haben. Wie in der Weill-Oper werden hier keine Werte verhandelt oder gar Handlungsstränge zielgerichtet verfolgt.
Schließlich endet ja das Zarenstück banal, denn der Protagonist bekommt sein Photo, fertig. Und Orff verlegt sich für seine Märchenoper auf den Listenreichtum einer Klugen. In Frankfurt bekommt das eine zusätzliche emanzipatorische Note durch den Einfall, die Kluge langsam heranwachsen zu lassen. Sie reift über mehrere Marionettenstadien zur Erwachsenen, während der König am Ende als winzige Puppe von der Bühne verschwindet. Frauenpower? Nein, einfach ein charmanter Einfall. Wie auch immer, am Ende gilt: wer klug ist, wählt Betrug und List, weil anders nichts zu holen ist. Auch hier sind die Hauptrollen mit Elisabeth Reiter und Mikolaj Trabka vorzüglich besetzt.