Die Novemberstürme sind vergangen, die Herbstsonne wurde von winterlicher Heimeligkeit abgelöst. Erste Schneeflocken rieseln sanft hernieder, fallen auf blattlose Bäume und kokett zurechtgestutzte Büsche in einer malerischen Gartenanlage. Die bodenhohen und reichlich vorhandenen Fenster geben den Blick auf das Schneeschauspiel frei. Wir befinden uns in der Lichtentaler Allee 8B in Baden-Baden und neben dem kunstvollen Außenareal hält diese Adresse eine überaus bedeutende und herausragende Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst bereit, handelt es sich hier doch um das Museum Frieder Burda.
Der in diesem Jahr verstorbene Frieder Burda wurde als passionierter und engagierter Sammler bekannt, der die Liebe zur Kunst stets als Bestandteil seines Lebens ansah. Sein Augenmerk lag besonders auf Arbeiten der letzten 100 Jahre, sodass der Abstrakte Expressionismus, der Deutsche Expressionismus, Deutsche Malerei ab 1960 sowie Picasso Schwerpunkte seiner rund 1000 Gemälde, Skulpturen und Arbeiten auf Papier umfassenden Sammlung bilden. Herausragende Namen wie Mark Rothko, Alexej von Jawlensky, Isa Genzken, Wilhelm Lehmbruck, Niki de Saint-Phalle, August Macke und Günther Uecker stellen besondere Glanzlichter dar. Für Frieder Burda standen die Farben und emotionalen Ausdrucksmöglichkeiten von Kunst seit jeher im Vordergrund und manifestierten sich als zentrale Entscheidungsgrundlage beim Erwerb hochkarätiger Kunst für seine Sammlung, die wegweisende Positionen der Malerei des 20. und 21. Jahrhunderts zusammenführt.
Eröffnet wurde das Museum am 22. Oktober 2004, wodurch es verglichen mit anderen Häusern der deutschen Museenlandschaft sehr jung erscheint. In Ruf und Bedeutung steht das Museum Frieder Burda länger bestehenden Häusern jedoch in nichts nach. Nicht nur die Sammlung ist international überaus angesehen, auch die Architektur beeindruckt über unsere Landesgrenzen hinaus. Der dreigeschossige Bau steht klar, geradlinig, hell und clean vor seinem Betrachter. Ein lichtes Atrium fordert den Besucher geradezu auf, einzutreten und der Kunst zu frönen. Weiße Ausstellungsräume mit einem White-Cube-Charakter wirken akkurat auf die ausgestellten Werke abgestimmt, ohne ihnen die Schau zu stehlen. So wurde diese architektonische Meisterleistung in New York mit dem amerikanischen Architekturpreis „New York Chapter Design Award“ ausgezeichnet.
In diesen heiligen und prämierten Hallen finden sich neben der Präsentation der Sammlung auch wechselnde Ausstellungen, die sich thematisch an den Interessen und Schwerpunkten Frieder Burdas orientieren. Bis zum 8. März 2020 ist eine Schau über Karin Kneffel zu sehen, welche die erste Retrospektive der Künstlerin seit zehn Jahren darstellt. Karin Kneffel war Meisterschülerin Gerhard Richters und entwickelte ihren ganz eigenen realistischen Stil, den sie mit Sinnlichkeit paart. Wie bei Gerhard Richters Werken wird auch hier eine bisweilen geheimnisvolle Distanz gewahrt, ihre Inhalte sind jedoch ganz andere. Kneffel bevorzugt überdimensionale Fruchtarrangements und üppige Interieurs, die sie in großformatigen Ölgemälden präsentiert. Stets erzählen ihre Bilder Geschichten und weisen beinahe gelöst von der Darstellung eine beachtliche Tiefe und inhaltliche Dichte auf. Sie greift Fragmente aus der Kunst- und Filmgeschichte sowie der Literatur auf und lässt bisweilen auch biographische Bezüge zu. Dabei arrangiert sie subtile Spiegelungen, Motivvermengungen und Schichten von Bildebenen, die ebenfalls einen seichten Bezug zu ihrem Lehrer zulassen, ohne jemals eine Kopie darin zu sehen.
Überdies hält das Untergeschoss des Museums einen weiteren künstlerischen Höhepunkt bereit: Hier befindet sich eine ausschließlich für das Museum Frieder Burda konzipierte Raum-Licht-Installation des Land-Art-Künstlers James Turrell. Wer Turrell kennt, weiß, wie sehr seine häufig begehbaren Werke ihre Betrachter in eine andere Welt entführen. Eine Welt voll Leichtigkeit, die zum Verweilen und Durchatmen einlädt, voll Ästhetik, voll Licht, Wärme, einer unaussprechlichen Sehnsucht nach mehr von diesem unbeschwerten Gefühl, das die Schwerkraft aufzuheben und uns fast schweben lässt, ganz sorglos und unbekümmert.
So auch die Arbeit „Accretion Disk“, deren Titel der Astrophysik entlehnt ist, in welcher er eine aus Gas oder interstellarem Staub bestehende Scheibe bezeichnet, die um einen neugeborenen Stern rotiert. Turrells „Accretion Disk“ besteht aus einem weiß gestrichenen Raum, in dessen Mitte eine Sitzbank steht, die auf eine gebogene Wand gerichtet ist. In diese Wand ist eine elliptische Öffnung samt Glasscheibe eingelassen, hinter welcher sich ein LED-Lichtfeld befindet, das kontinuierlich, jedoch kaum merklich die Farbe ändert. So scheint das Licht beinahe zu schweben und sich zu einer Materie zu manifestieren, die den Betrachter sanft und beinahe wie eine gleichermaßen dichte und durchlässige Wolke umfasst, wodurch alleine das Betreten dieses Raumes bereits zu einem unvergleichlichen Erlebnis wird.
Neben dem herausragenden Bau in Baden-Baden verfügt das Museum Frieder Burda über eine Außenstelle in unserer Hauptstadt: den Salon Berlin. Mitten in Berlin Mitte finden sich wechselnde Ausstellungen, die einzelne Positionen der Sammlung Frieder Burda in einen Dialog mit anderer Kunst der Gegenwart stellen. So avanciert der Salon Berlin vom Projekt- und Schauraum zu einem Ort des Austausches und der Diskurse, der sucht, neuartige künstlerische Ausdrucksformen zu fördern und zu vermitteln.
Zurück von Berlin in die Kurstadt Baden-Baden gilt es im Museum Frieder Burda noch eine weitere Besonderheit zu erwähnen. Im ersten Stock befindet sich eine gläserne Brücke, die eine Verbindung zur angrenzenden Kunsthalle Baden-Baden darstellt, wodurch in Deutschland erstmalig ein privates Kulturengagement mit einem staatlichen Kulturauftrag in Beziehung tritt. Selbstverständlich verstehen sich beide Einrichtungen als partnerschaftliche Ergänzungen, jedoch gleichzeitig als eigenständige Museen, die eine ganz eigene architektonische Identität aufweisen.
So ist die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, die bereits 1909 eröffnet wurde, in neoklassizistischem Stil erbaut worden, der sich durch Dreiecksgiebel, Wandpfeiler mit ionischen Kapitellen sowie ein Kranzgesims mit Eierstab zu erkennen gibt. Gegensätzlich zu dem modernen, cleanen, unverzierten Bau des Museum Frieder Burda scheint sich hier auf einem kleinen Hügel beinahe ein Tempel zu erheben, der an eine arkadische Idylle erinnert. Auch die herrschaftliche Freitreppe, die zum Eingang der Kunsthalle führt, bestätigt diesen Eindruck, wird sie doch von zwei numinos anmutenden Skulpturen gesäumt. Beide stammen aus der Werkstatt des Karlsruher Bildhauers Hermann Binz und verkörpern passend zu dem Haus, dem sie vorangestellt sind, die Malerei und die Bildhauerei. Als Attribute sind ihnen ein Hammer und eine Palette beigegeben.
Die zunächst wahrgenommene architektonische Gegensätzlichkeit der benachbarten Museen wird indes durch einige moderne Kunstwerke, welche das Außenareal der Kunsthalle zieren, abgemildert. So weist der Hügel vor dem Ausstellungshaus eine Arbeit Richard Serras auf, die aus zwei rechteckigen Stahlplatten besteht. Des Weiteren wurde an der Fassade 1989 die Außenarbeit „ To the people of Baden-Baden“ des Lichtkünstlers Dan Flavin angebracht, die sich aus roten und gelben Leuchtstoffröhren zusammensetzt. Auf diese Weise wird der neoklassizistische Baustil um Aspekte moderner und gegenwärtiger Kunst ergänzt, wodurch ein Vorausblick auf die mannigfachen wechselnden Ausstellungen der Kunsthalle, die keine eigene Sammlung besitzt, gewährt wird. Bezugnehmend auf die Arbeiten Serras und Flavins liegt der Schwerpunkt der Expositionen auf internationaler Gegenwartskunst. Ihr Ziel ist es stets, die Veränderungen und Unterschiede einer global vernetzten Welt erfahrbar zu machen, was sich auch in der aktuellen Schau widerspiegelt. Bis zum 16. Februar 2020 kommen die Besucher der Kunsthalle in den Genuss, Werke des 1938 in der Ukraine geborenen und zu den bedeutendsten zeitgenössischen Photographen zählenden Boris Mikhailov zu betrachten. Sein künstlerischer Ansatz bewegt sich im Bereich des Experimentellen, indem er sich seinen Motiven performativ-konzeptuell nähert. Vor allem der menschliche Körper, auch derjenige des Photographen, steht im Vordergrund. Dabei treibt Mikhailov seine Photographien beinahe an die Grenzen normativer Zeigbarkeit und löst somit Erstaunen, aber auch pure Freude an seinen Werken aus. Dies erzielt er nicht zuletzt, indem er kritisches Denken mit spielerischer Herangehensweise und Abgründiges mit Humorvollem vereint. Auch politische Aspekte finden Eingang in sein Œuvre.
Gezeigt werden zahlreiche Werkzyklen von 1965 bis heute, wodurch ein dezidierter Einblick in das Schaffen des Künstlers und seine Hintergründe gewährt wird.
Neben ihren durchdachten und stets vielschichtig konzipierten Ausstellungen lässt die Kunsthalle seit Ihrem Entstehen auf eine beeindruckende Liste wechselnder Direktoren blicken, die jeweils ein Charakteristikum hinterließen und sie auf ihre eigene Art und Weise prägten. Mit jedem ihrer Leiter entwickelte sich die Kunsthalle kontinuierlich weiter, lernte dazu, wurde durch Experimente wagemutiger und wuchs an ihnen, ohne jedoch jemals ihre Wurzeln zu vergessen oder ihnen untreu zu werden. Vor Ort gilt es, Kunstgeschichte neu zu entdecken, die sich immerwährend mit neuen Entwicklungen verknüpft, wodurch ein Konzept der Präsentation von Kunst geschaffen wird, das seinesgleichen sucht. Auch die Verbindung zum benachbarten Museum Frieder Burda stellt einen besonderen und einmaligen Aspekt in der deutschen Museumslandschaft dar. Andere Häuser in nächster Nähe, die ähnliche Schwerpunkte aufweisen, würden sich möglicherweise als Konkurrenz betrachten, ganz anders jedoch diese beiden Aushängeschilder der Kurstadt Baden-Baden. Vielmehr betrachten sie sich als wertvolle Ergänzung zueinander, woraus nicht zuletzt ein Vorteil für ihre Besucher resultiert.