
Berthold Seliger, der Berliner Konzertagent und Autor, seit vielen Jahren eine kulturpolitische Stimme in diversen Medien und mit eigenem Blog, veröffentlicht, nach dem Aufschlag "Das Geschäft mit der Musik: Ein Insiderbericht" in 2013, nun mit "Vom Imperiengeschäft" einen heftigen Nachschlag. Er knüpft prinzipiell an seine Inhalte an, entwickelt diese in die Gegenwart und geht damit weit über seine bisherige Musikwirtschaftskritik hinaus.
Wieder nimmt er die Musikindustrie ins Visier, insbesondere ihren heute verlängerten starken Arm des Ticketing und Branding und unterstreicht erneut die These der Entfremdung der Geschäftemacher von ihrem Gegenstand Musik, Kunst und Kultur; betont die Austauschbarkeit der Produkte, wenn Profit das alleinige Ziel ist. Ob Drogen, Sport oder Konzerte, der Gegenstand sei gleichgültig, so lange sich Geschäftsfelder und Wertschöpfungsketten gestalten lassen, die sehr hohe Renditen versprechen. Denn längst haben sich Anleger von Großkapital über Private Equity-Gesellschaften dieser Branchen angenommen und machen sich ihre Gelddruckmaschinen-Qualität zu eigen: als Imperiengeschäft mit hoher Marktbeherrschung. Kulturelle Erfolgskriterien und gesellschaftlicher Anspruch gingen mit dem einseitigen Blick auf die Rendite hierbei völlig verloren. Moralische Instanzen seien hierbei längst überwunden. Seliger spricht vom kapitalistischen Realismus und erweitert seine Kritik an der Musikindustrie noch stringenter als zuvor zu einer Gesellschafts- und Kulturkritik, die aktueller nicht sein könnte. Im Rückgriff auf moderne Denker reißt Seliger die relevanten Themenfelder immer wieder an. Argumentiert mit Marx, mit Adorno und wieder mit Marx, interpretiert gesellschaftliche Zustände mit Verweis auf amerikanische Fernsehserien (Breaking Bad), an deren Protagonisten er das Feld seines Buches einleitet. Zitiert zeitgenössische Soziologen (Pierre Bordieu) und Wirtschaftswissenschaftler (Shoshana Zuboff). Womit die soziale Dimension seines Buches Einzug hält, die soziale Dimension seiner Denke. Big Data und der "gnadenlose Kapitalismus", so sein Tenor, addressieren, manipulieren und beherrschen, von unbändiger Profitgier getrieben, den konsumierenden Menschen. Die großen Werte der Aufklärung - Freiheit und Gleichheit - würden hierdurch pervertiert oder aufgehoben. Während eine große Anzahl armer Menschen vollständig auf Teilhabe verzichten müssten, werden diejenigen, die es sich leisten wollen, wirtschaftlich maximal ausgebeutet, weil sie sich auf Distinktionsvorteile stürzen, statt sich auf eine gesunden Wertschätzung für kulturelle Produkte zu konzentrieren. Den dystopischen Faktoren des musikalischen Imperiengeschäfts setzt Seliger Hoffnung entgegen. Und wirkt, das ist ihm durchaus bewusst, dabei verklärt romantisch. Dennoch sieht er Mittel und Möglichkeiten den Entwicklungen und Zuständen entgegenzutreten. Er setzt auf Ordoliberalismus zur sozialen Ausrichtung und regulatorischen Beschränkung des freien Markts mit funktionierenden Preissystemen und der Verhinderung von Monopolen und Kartellen oder anderer Formen der Marktbeherrschung und macht am Beispiel Konzertgeschäft, dessen aktuellen, ungezügelten Status Quo er mit all seinen Folgen akribisch beschreibt, konkrete Vorschläge. So will er erreichen, dass die Interessen der Musikliebhaber gestärkt werden, die Konzertbesucher von ihrer Entmündigung und Ausbeutung geschützt werden und will kulturelle Vielfalt und musikalische Qualität ermöglichen und erhalten. Ein nobler Kreuzzug, zu dessen Aufbruch sein neues Buch aus vielerlei Hinsicht guten Grund und Anlass gibt.