Die Geschichte des Porträts ist lang und vor allem spannend. Sie reicht vom byzantinischen Bilderstreit über Grabplastiken, Stifterbildnisse, verschlüsselte Charakterstudien gegen Ende das Quattrocento – perfektioniert in Da Vincis Mona Lisa – bis hin zu autonomen Künstlerbildnissen in der Renaissance, der Fotografie im 19. Jahrhundert und der wieder neuen Wahrnehmung und Interpretation des Porträtbegriffs im 20. Jahrhundert. Besonders die Fotografie als Kunstgattung bietet aufgrund des steten technischen Fortschritts immer neue Möglichkeiten und (Selbst-)Darstellungsformen in unaufhaltsamer Wandelbarkeit. Seine bisherige Vollendung – will man es denn so nennen – findet das fotografische Porträt, man ahnt es, im Selfie.
Die aktuell im Nürnberger KunstKulturQuartier laufende Sonderausstellung „Mit anderen Augen – Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie“, beschäftigt sich mit dieser Wandel- und Wahrnehmbarkeit und setzt die zeitgenössische Porträtfotografie mitunter auch in den Kontext jener zu Beginn der 1990er-Jahre. Zu sehen ist die Ausstellung noch bis zum 15. Januar 2017 sowohl in der Kunsthalle Nürnberg als auch im Künstlerhaus. Erstmals werden die Kapazitäten und Potenziale des KunstKulturQuartiers (KKQ) in Bezug auf Sonderausstellungen in vollem Umfang ausgeschöpft – das allein ist Grund genug, mal im KKQ vorbeizuschauen. Konzipiert und entwickelt wurde das Ausstellungsprojekt, das sich nun eben auch in Nürnberg präsentiert, vom Kunstmuseum Bonn und der Photographischen Sammlung/SK-Stiftung Kultur in Köln.
Ausgewählt wurden über 40 deutsche und internationale Künstler, deren Porträtfotografien, zumeist serielle Arbeiten, exemplarisch zeigen, wie sich das künstlerische sowie professionell-kommerzielle Porträt – hier verlaufen die Grenzen fließend – vor allem im letzten Jahrzehnt verändert hat. Die Blick- und Herangehensweisen der Künstler sind dabei so unterschiedlich wie facettenreich. Sie alle haben jedoch eines gemein: sie wollen einzelne Charaktere oder – und das ist vielleicht nicht zwingend ein Kontrast – Menschen als Botschafter gesellschaftlicher und sozialer Begebenheiten repräsentieren. Ob die Porträtfotografie in der Lage ist, Wesensanalysen einzelner Porträtierter zu erstellen oder genau das nicht kann, darüber gehen die Meinungen der Künstler auseinander.
Der erste Versuch einer sachlich-fotografischen Typologisierung zur repräsentativen Darstellung der Gesellschaft geht auf die Kappe von August Sander, der 1925 ein enzyklopädisches Konzept zur Darstellung der damaligen Gesellschafts- und Berufsgruppen entwickelte. Mit seiner 600 Aufnahmen umfassenden Porträtreihe „Menschen des 20. Jahrhunderts“ leistete der Reinland-Pfälzer fotografische Pionierarbeit, die in ihrer Ästhetik und Konzeption noch heute Maßstäbe setzt. Künstler wie Charles Fréger, Bernhard Fuchs, Hiroh Kikai, Joerg Lipskoch oder Mette Tronvoll greifen diese in ihren seriellen Porträtaufnahmen von Menschen in ihrem Arbeits- und Berufsumfeld auf. In der Ausstellung „Mit anderen Augen sehen“ sind sowohl ihre Arbeiten als auch jene von Thomas Struth, Wolfgang Tillmans und Tobias Zielony zu sehen, die den Menschen als Individuum porträtieren und auf Vertrauen zwischen Fotograf und Porträtiertem setzen. Dass das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft durchaus ambivalente Züge annimmt, lässt sich nicht nur am Beispiel des Selfies ablesen. Der Schweizer Künstler Beat Streuli beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit dem Themenkomplex der Fotografie im öffentlichen Raum und präsentiert im Projektraum der Kunsthalle Nürnberg eine Installation aus Fotografien und Filmen, die im Juni 2016 zwischen den Anschlägen in Istanbuls Straßen aufgenommen wurden.
Überhaupt sind die Themenfelder und Herangehensweise der Fotografen und ihrer Arbeiten, die in der neuen Sonderausstellung des KKQ‘s gezeigt werden, sehr unterschiedlich. Porträtiert wurden u. a. Familien, Einzelpersonen oder Passanten. So mannigfaltig wie die Modelle selbst sind schließlich auch die entstandenen fotografischen Erzeugnisse in ihren Darstellungsformen. Vom Passbild über die Reportage bis hin zur surrealen Inszenierung ist alles vertreten. Damit einher gehen verschiedene künstlerische Mittel, die zur Anwendung kommen: Verfremdung, Montage oder der Rückgriff auf gängige Bildtraditionen. Genau jenes Spiel mit Darstellung, Wahrnehmung und Interpretation macht die Porträtfotografie entsprechend spannend.
Zur Ausstellung erschienen ist ein 360 Seiten umfassender Katalog mit Fachbeiträgen von Klaus Honnef, Gabriele Conrath-Scholl, Claudia Schubert, Stefan Gronert und Barbara Hofmann-Johnson. Zahlreiche in der Ausstellung gezeigte Fotografien, denen Jeweils ein Künstlerinterview vorangestellt ist, sowie ein abschließender biographischer Teil komplettieren den umfangreichen Ausstellungskatalog, der viele interessante Hintergrundinformationen rund um die Ausstellung liefert.
Copyright Fotos:
Jana Koelmel - Kaffeehaus, 2011, Foto © Jana Koelmel
Daniel Schumann, International Orange David Peter, 2013, Foto © Daniel Schumann