„Die ganze Welt ist Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler, sie treten auf und gehen wieder ab.“ Dieser Ausspruch aus Shakespears „Wie es euch gefällt“ ist mit Sicherheit eines der bekanntesten Zitate der Weltliteratur und treffendste Beschreibung dessen, was den Kern von Theater ausmacht: ein Abbild, ein Zerrbild und manchmal auch Vexierbild des Lebens zu sein. Was wäre das Theater ohne Figuren wie Shakespeares König Lear oder Goethes Faust, ohne Luise aus Schillers „Kabale und Liebe“ oder Kleists Käthchen von Heilbronn? Und was wäre das Leben ohne Jugend und Alter? Zwar steht heute oft auf einem anderen Blatt, wer diese unsterblichen Protagonist:innen des Dramenkanons, geschweige denn die verschiedenen, teilweise hybriden Figuren der modernen Theaterliteratur auf der Bühne verkörpert, aber mit Sicherheit lässt sich sagen: Es gibt wenig Orte, an denen alle Generationen so intensiv miteinander arbeiten, wie am Theater. Leicht ist das nicht immer, denn sowohl die Jugend als auch das Alter können in der Bühnenwelt durchaus eine harte Prüfung sein. Aber eben auch eine große Erfüllung. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, bedarf es weiterhin leidenschaftlicher Menschen auf und hinter der Bühne. Die Chancen stehen gut. Eine regionale Bestandsaufnahme.
Ein Leben für die Bühne
Elke Wollmann (*1961), seit 2021 am Theater Erlangen, und Thomas Klenk (*1962), seit 2019 am Mainfrankentheater in Würzburg, gehen dem Ende ihrer Theaterkarrieren entgegen. Ihr gesamtes Berufsleben haben beide in dieser Institution verbracht. Emma Suthe (*1997), Ensemblemitglied am Staatstheater Meiningen und Joshua Kliefert (*1998), neu am Staatstheater Nürnberg, machen gerade ihre ersten Erfahrungen im Theaterbetrieb. Zwischen den Schauspieler:innen liegen nicht nur gut 35 Jahre Altersunterschied, sondern auch einschneidende ästhetische Entwicklungen und gesellschaftliche Veränderungen, wie die Entstehung postdramatischer Spielformen und die Digitalisierung als großer medialer Paradigmenwechsel. Wie blicken Frauen und Männer aus den unterschiedlichen Generationen auf sich, ihre Altersgenossen, auf Kolleginnen und Kollegen, auf Aufgaben und Anforderungen, die an sie gestellt werden und wurden? Und wie auf das System Stadttheater?
Talent ist nicht genug
Schauspiel ist ein Handwerk. Niemand steht einfach auf der Bühne. Zwar fühlen sich die meisten auf magische Weise angezogen, von den Brettern, die die Welt bedeuten, bringen idealerweise auch Talent mit, aber ohne solide Ausbildung geht es nicht. Im Gegenteil. Zwar kam Thomas Klenk in den 80er Jahren über sein erfolgreiches Engagement im Studententheater – er war für Germanistik und Soziologie eingeschrieben – zu seiner ersten Festanstellung am Theater Heilbronn, wo er sozusagen als Eleve lernen konnte und erst aus diesem ersten Anstellungsverhältnis heraus, die Bühnenreife ablegte. Aber das war auch damals schon eine Seltenheit. Elke Wollmann erhielt neben einem Studium der Theaterwissenschaft ihre Ausbildung in Köln am Theater im Keller, auch heute noch eine der renommiertesten Privatschulen im deutschsprachigen Raum. Beide gingen nicht den direkten Weg, sondern ergriffen den Beruf erst im Laufe ihrer beruflichen Orientierung. Diese Umwege auf die Bühne sind für die jüngeren Generationen eher ungewöhnlich. Sie fangen meist früher an, sich zu fokussieren und zu spezialisieren. Emma Suthe ist hier ein typisches Beispiel. Sie steht auf der Bühne seit sie sechs Jahre alt ist. Musicalvereine, kleine Rollen im Film und vieles mehr hatte sie schon erlebt, bevor sie sich direkt nach dem Abi an die Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ nach Leipzig ging, eine staatliche Schauspielschule, von denen es nur rund 20 im deutschsprachigen Raum gibt. Die Berufseinstiegschancen von Absolvent:innen dieser Einrichtungen sind heute deutlich höher als die von Privatschulabgänger:innen. Das wusste auch Joshua Kliefert. Anders als seine Berliner Kollegin war er eher theaterfern auf dem Land in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen. Doch auch ihm war klar, eine staatliche Schule musste es sein, auch wenn der Aufnahmeprozess hart ist. Mehrmals ging er vorsprechen, bis es endlich in München an der Otto Falckenberg klappte. In der Schauspielausbildung werden dann vor allem Sprache, Stimme und Bewegung gelehrt – vom chorischen Sprechen bis zum Bühnenkampf. Der Fächerkanon und auch die Ausrichtung auf den Stadttheaterbetrieb scheint sich von Wollmanns Erfahrungen Ende der 80er Jahre in Köln bis zu Emmas und Joshuas zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Leipzig und München im Kern nicht grundlegend verändert zu haben, dennoch ist die Ausdifferenzierung des Lehrangebots stetig gewachsen. Die Spielweisen im Theater haben sich in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer größeren ästhetischen Formensprache enorm vervielfältigt. „Neben ganz verschiedenen Workshops an der Hochschule, hat auch die enge Kooperation mit den Münchner Kammerspielen den Horizont der Studierenden für freiere Formen geöffnet“, erzählt Joshua Kliefert, „aber eine klassische Rollenarbeit musste man trotzdem abliefern.“ Seine junge Kollegin ergänzt um ihre Erfahrungen aus Leipzig: „Ich habe es immer so wahrgenommen, dass die Schule uns dafür ausbildet, im Theaterengagement alles bedienen zu können.“ Und dazu gehören heute nicht mehr nur Gretchen, Romeo und Co, sondern auch Sprechchöre, Textflächen und dokumentarisches Theater. Und dann ist es in der Praxis doch immer ganz anders als an der Hochschule: „Man ist im Studium schon sehr auf sich selbst fokussiert, kann sich Zeit und Raum nehmen. Das ist im Arbeitsalltag jetzt anders. Da steht die Gemeinschaftsarbeit im Fokus und da muss man sein Tempo anpassen“, beschreibt Joshua Kliefert seine Erfahrungen.
Der eigene Platz im Ensemble
Alle Befragten wollten nach ihrer Ausbildung ins Festengagement an ein Landes-, Stadt- oder Staatstheater und nicht zu Film und Fernsehen oder in die freie Arbeit. Mit dem Eintritt in ein Ensemble beginnen viele Fragen und Auseinandersetzungen um den eigenen Platz im sozialen Gefüge Theater, in Sachen Alter und Geschlecht. Heute kommen vermehrt auch noch andere Fragestellungen dazu, die um persönliche und aber immer auch die Berufsidentität kreisen. „Uns hat man in der Ausbildung, wir waren sieben Frauen und fünf Männer in der Klasse, schon darauf vorbereitet, dass dieses Verhältnis konträr zum Betrieb ist, da es in den Ensembles in der Regel weniger Frauen gibt, weil es im literarischen Kanon wesentlich weniger Frauenrollen gibt.“ Was Elke Wollmann hier beschreibt, wird von ihrer jungen Kollegin Meiningen sogar noch zugespitzt formuliert: „Wenn man die klassischen Stücke betrachtet - das ist ein bisschen wie in der Oper, die junge Hübsche oder die Alte Hässliche als Klischee. Das ist oft sehr eindimensional und zeigt, dass die vielen männlichen Autoren wenig Fantasie für Frauenfiguren haben oder einfach deren Realität gar nicht kennen.“ Dazwischen ist in den mittleren Jahren wenig Platz für Frauen. „Aber es ist auch eine generelle Tendenz“, gibt Thomas Klenk zu bedenken. „Als ich angefangen habe, Ende der 80er, waren die Ensembles noch richtig breit aufgestellt. Da gab es mehrere Spieler*innen in jeder Altersstufe. Das hat oft für massive Konkurrenzsituationen gesorgt, war aber auch Motivation. In Darmstadt, meinem zweiten Theater, hatten wir beispielsweise um die 35 Leute im Ensemble. Das war Standard, Hannover und Essen dann ähnlich und im Zuge der 90er wurde es dann weniger. Heute ist das eigentlich nicht mehr vorstellbar, außer am Burgtheater in Wien natürlich. In den mittleren oder älteren Jahren stehen die Chancen auf ein Engagement heute schlechter. Man bekommt zum gleichen Preis ja auch zwei Anfänger:innen“, spitzt Klenk zu.
Du hast (k)ein Alter!
Die weniger altersdifferenziert aufgestellten Ensembles heute verlangen eine große Variabilität vom Einzelnen, was Emma Suthe deutlich macht: „Wir haben im Ensemble in Meiningen unter den Frauen eine Alterslücke zwischen 26 und 40, deswegen muss ich eine große Range bedienen – von 14 bis 36 war es in der letzten Spielzeit. Die älteren Rollen fallen mir schwer, man kauft es mir nicht ab. Eigentlich will ich Rollen auch am liebsten unabhängig von Geschlecht und Alter spielen. Meine flirrige, schnelle, körperlich agile Spielweise ist aber meistens jung.“ Eine Altersspanne ist für Schauspieler:innen ein realer Faktor im Berufsleben. Ist sie breit, kann sie ein echtes Pfund sein, um an möglichst viele Rollen zu kommen. Sie kann aber auch immer wieder Einschränkungen bedeuten. „Ich habe in meinem Berufsleben oft älter gespielt, als ich auf dem Papier war. Das hat mich nie gestört. Die junge Naive ist an mir vorbeigegangen. Das war ich einfach persönlich nie. In die Verlegenheit jünger zu spielen kam ich selten und hatte jetzt plötzlich auch ein Problem damit, als ich zur Spielzeiteröffnung dieses Jahr als Akadina in Tschechows „Möwe“ besetzt wurde. Ich bin ja über 60. Aber die Regisseurin hatte eine Vision von der Figur, in der ich mich dann sehr gut wiederfinden konnte.“ Thomas Klenk hatte umgekehrt eine ähnliche Erfahrung, als er 2006, neu im Ensemble des Staatstheaters Nürnberg mit Anfang 40 den Faust spielen sollte: „Das hat mich erstmal schon eingeschüchtert. Aber während der Arbeit war das Alter dann schnell vergessen. Man kann im Theater ja auch einfach behaupten. Das ist essenzieller Teil der darstellenden Kunst.“ So kann das fluide Spielen zwischen den verschiedenen Lebensaltern durchaus auch den eigenen Blick auf das Alter neugestalten. Joshua Kliefert beschreibt seine Erfahrung mit einem Recherchestück über das Sterben, in dem er einen Wirt am Ende seines Lebens verkörperte: „Ich wollte diese Figur keinesfalls klischeehaft alt spielen und habe meine eigene Übersetzung dafür gesucht. Das hat mich selbst viel näher an das Thema Tod und Sterblichkeit herangebracht als ich es eigentlich in meinem Alter bin. Da ist der Beruf unglaublich schön, weil er einem das ermöglicht.“
Identitätsfragen
Die Kraft der theatralen Behauptung, die alle Kategorisierungen und Grenzziehungen einreißt, die Alter, Geschlecht und andere Identitätsmerkmale überspielen kann, scheint allen Befragten ein hohes Gut zu sein und dennoch deuten sich auch Konflikte zwischen den Generationen an. „In meiner Ausbildung haben wir ein Jahr lang Tierimprovisationen gemacht. Danach weißt du: Du kannst alles spielen. Ich finde es schade, dass sich viele junge Kolleg:innen heute von vorneherein so einschränken, sich einer Art Selbstzensur unterlegen“, bemerkt Elke Wollmann. Und auch bei ihrem Altersgenossen klingt etwas Ähnliches an: „Ich vermisse manchmal die Identifikation, die Hingabe vor allem an fremde, vielleicht problematische Figuren. Darf ich das sagen? Darf ich das spielen? Sind heute oft relevante Fragen auf der Probe. Ich bin Schauspieler geworden, weil ich der Gesellschaft den Spiegel vorhalten wollte und da gibt es erstmal kein Tabu. Da darf man die negativen Seiten doch nicht einfach weglassen. Ich bin immer tief in die Figuren rein, auch in die fiesen Kerle, die Täter und in die Gebrochenen. Heute wird das oft so aseptisch mit kühlem Blick hingestellt oder verweigert, weil das ja nicht ginge. Aber warum ist man dann Schauspieler?“ Haben manche gesellschaftliche Diskurse bestimmte Vorstellungen von Darstellung tatsächlich schon so tief durchdrungen? „Wir haben uns als Studierende durchaus mit sogenannten woken Themen auseinandergesetzt. Für mich, der ich ja vom Land und aus dem Osten komme, war das enorm bereichernd, beispielsweise in Inszenierungen an den Münchner Kammerspielen zu sehen, wie man inklusiv arbeiten kann. Und dann ziehe ich für mich eben die Konsequenz, dass ich einen Menschen mit geistiger Behinderung nicht einfach so spielen kann. Ich sollte darüber zumindest diskutieren müssen und vielleicht mehr zuhören als sagen. In anderen Bereichen schießen woke Forderungen dann manchmal über ihr Ziel hinaus. Wenn man zum Beispiel eine Triggerwarnung machen muss, weil in einem Stück eine Militärjacke getragen wird, fängt das Ganze an irgendwann hohlzudrehen. Obwohl ich manche Triggerwarnungen auch richtig finde. Ich würde mir einfach grundsätzlich eine größere Offenheit in der Diskussion um solche Themen wünschen und nicht immer gleich verhärtete Fronten.“
„Auf der Bühne in der Rolle ist fast jeder Privatismus, wozu auch das Alter gehört, egal. Da geht es um Inhalte, da begegnen sich Figuren, nicht wir selbst“, postuliert Emma Suthe. Und dennoch hat man im Theater auch immer mit dem drohenden Verschwimmen von Person und Profession zu kämpfen. Die eigene Identität und vor allem der eigene Körper sind bei aller kreativer Freiheit auch Tatsachen, mit denen es umzugehen gilt. „Zum Text lernen brauche ich heute schon wesentlich länger. Aber dafür habe ich auch das Gefühl, bewusster zu spielen als früher. Da konnte ich mir alles immer so schnell merken und musste gar nicht ganz tief rein in den Gedanken“, beschreibt Thomas Klenk den Alterungsprozess. Seine gleichaltrige Kollegin betont den Gewinn, den gewisse Einschränkungen im Alter mit sich bringen sogar noch deutlicher: „Ich weiß einfach viel besser, wie ich mir meine Kräfte einteile. Ich bin dadurch sogar weniger anfällig als als junge Spielerin, wo ich mich oft viel zu sehr und viel zu schnell verausgabt habe und nach den Premieren meist erstmal krank war. Ich weiß das jetzt besser zu dosieren und so was ist gerade im Festengagement unverzichtbar“, und doch gesteht sie schmunzelnd ein „steh ich manchmal auch nur da und bin entsetzt darüber, wie viele Falten ich habe. Da bin ich dann froh, dass ich nicht beim Film bin. Denn Nahaufnahmen lügen nicht.“ So wird die Auseinandersetzung mit dem eigenen Alter auf der Bühne auch zwingend. „Die älteren Kollegen nehmen sich manchmal ganz schön viel Raum. Dann werde ich schon mal ungeduldig und denke mir, müssen wir das jetzt wirklich noch mal machen? Wir müssen doch weiterkommen. Und dann bei einer Vorstellung sehe ich es, was den Unterschied macht, wenn man sich die Zeit nimmt“, schildert Joshua Kliefert seine Erfahrungen aus dem noch neuen Arbeitsalltag. Auch Emma Suthe hat eine generelle Anerkennung für die Älteren Kolleg:innen, mit gewissen Einschränkungen: „Da gibt es Leute, die es schaffen, bei einer Krise auch mal einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht an die Decke gehen oder die Schuld bei sich suchen. Es gibt Produktionen, die laufen super, aber die meisten sind schwierig, das ist eine bittere aber nüchterne Erkenntnis. Man muss nicht jeden Kampf kämpfen, vor allem, wenn man gegen Steinwände rennt. Manche nehmen ihren Beruf aber nicht mehr so richtig ernst und geben zu früh auf, finde ich, die wollen nicht mehr so viel. Ein Maß zu finden ist wichtig, denke ich.“
Perspektiven
Im Beruf alt werden ist die Wunschvorstellung der Jungen. Und das ist gar nicht einmal leicht zu erreichen. „Nach 15 Jahren an einem Haus ist man unkündbar. Da man als Schauspieler:in aber ständig die Häuser wechselt und in verschiedenen künstlerischen Teams arbeitet, kommt es oft nicht dazu. Als junger Mensch muss ich mich noch nicht fest an einen Ort binden, vor allem, weil ich noch keine Familie habe. Aber wenn doch, dann hat man echt Pech und ist abhängig von der Institution Theater. Das Theater kann einem den eigenen Lebensplan schon komplett zerschießen. Man muss immer flexibel bleiben. Deswegen findet man ja auch so wenige ältere Frauen in dem Beruf, weil es oft fast unmöglich ist“, schildert Emma Suthe die Problematik. Thomas Klenk und Elke Wollmann konnten sich behaupten. Dennoch räumt Wollmann ein: „Ich weiß, dass ich einfach richtig Glück hatte. Als ich Mutter wurde, konnte ich am Staatstheater Nürnberg auf einen Drei-Rollen-Vertrag wechseln, was mir die nötige Luft für die Familie verschafft hat. Jetzt da meine Tochter so gut wie aus dem Haus ist, habe ich in Erlangen noch mal die Gelegenheit, richtig tolle Rollen zu spielen. Das kann nicht jede Schauspielerin von sich sagen.“ Joshua Kliefert ist beispielsweise immer noch bestürzt über die Begegnung mit einer Münchner Kollegin, die ziemlich zentral am Residenztheater gespielt hatte und mit der er sich nach ihrer Rückkehr aus der Elternzeit in einer studentischen Produktion wiederfand: „Da habe ich es plötzlich gesehen, wie schnell man vergessen wird in diesem Betrieb und was man unter Umständen dafür opfern muss, Familie haben zu wollen.“ Dass das nach wie vor so ist zeigt, dass Strukturveränderungen am Theater bitternötig sind. Diese Ansicht teilen alle vier. Da ist die generelle Unsicherheit durch kurze Vertragslaufzeiten, Arbeitsverhältnisse, die aus „künstlerischen Gründen“ auch leichter aufzulösen sind als die meisten anderen in unserer Berufswelt und überhaupt der fehlende Arbeitnehmerschutz im Normalvertrag Bühne, der zwar ein anerkannter Tarifvertrag ist, mit Residenzpflicht und anderen juristischen Besonderheiten aber (Selbst)-Ausbeutung in hohem Maße begünstigt. Wobei Thomas Klenk auch ein wenig den Advocatus diaboli geben muss: „Mich nervt schon auch, wenn Kollegen in ihrem ersten Jahr gleich mit der Work-Life-Balance kommen und sich weigern, bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Da denke ich mir dann auch, fangt doch erstmal an. Lernt doch mal fünf bis sechs Rollen pro Spielzeit. Das müsst ihr schon auch bringen. Zu einem „Nein“ muss man kommen. Dennoch unterstütze ich aufs Gesamte gesehen die derzeit erfreulich intensiven gewerkschaftlichen Bemühungen um die Modernisierungen des NV Bühne.“ Das Wichtigste, da sind sich alle einig, ist jedoch, einander zugewandt zu bleiben, über alle Altersschranken hinweg. Sowohl Thomas Klenk als auch Elke Wollmann betonen, dass ihnen der Kontakt zu den jungen Kolleg:innen wichtig ist. Auch Emma Suthe und Joshua Kliefert schätzen den Austausch mit den Älteren. Thomas Klenk gesteht zwar ein, dass betagtere Kollegen oft vielleicht etwas abschätzig wirken mögen. So habe er sie in seinen jüngeren Jahren jedenfalls oft wahrgenommen, Joshua Kliefert mildert die Selbstkritik aber ab: „Es gab schon mal Situationen, in denen ich korrigiert wurde. Aber das war ehrlich unterstützend gemeint und dafür war ich dankbar. Da bewundere ich ältere Kollegen manchmal schon, um ihren erfahrenen Zugriff auf Texte. Mir fällt das oft noch nicht so auf, im Eifer des Gefechts.“ Wichtig bleibt, der gegenseitige Respekt und das angst- und vorurteilsfreie Arbeiten miteinander. Und die Devise, sich in keinem Fall gegeneinander ausspielen zu lassen. „Eigentlich finde ich Schauspieler:innen, die alt sind, aber noch nicht fest, sondern offen und neugierig am allerspannendsten und interessantesten, weil da so viel Erfahrung drin steckt, die können gar nicht lügen, die können nur noch schöpfen und erzählen, da steckt die größte Wahrheit und Authentizität drin – aber bis dahin ist es für mich noch ein weiter Weg“, gesteht Emma Suthe. Dass sie diesen Weg durch ein Berufsleben am Theater gehen kann, setzt einiges voraus. „In meiner Heimat wurden drei Theater zusammengelegt und auch während meines Studiums in München habe ich die Kürzungen an den Kammerspielen mitbekommen. Man merkt, dass es Krisenzeiten für das Theater sind“, stellt Joshua Kliefert fest. „Andererseits gibt es gerade eine große Vielfalt in den Darstellungsweisen. Da kann ich so viel ausprobieren. Das ist vielversprechend.“
Ein Plädoyer für mehr Vielfalt
Das Theater lebt von den vielen Generationen. Wenn es weiterhin Querschnitt der Gesellschaft sein will, dürfen sich Ensembles auf keinen Fall weiterhin so drastisch verjüngen, wie es in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu beobachten war. Denn die Gesellschaft und somit auch das Publikum befinden sich im umgekehrten Prozess. „Klar, man sieht schon gerne mal eine junge Truppe auf der Bühne, aber ein Abbild der Gesellschaft ist es nicht und auf Dauer muss uns das beschäftigen. Dass die einzigen „Alten“ in einem Ensemble, dann oft die Unkündbaren sind, denen wiederum oft mangelnder Einsatz vorgeworfen wird, weil ihre Stellen ja sicher seien, das ist auch schief“, sagt Elke Wollmann. Und wie bereits angeklungen, für Frauen stellt sich die Situation dann noch mal zugespitzt dar, wie ihre junge Kollegin aus Meiningen nicht müde wird zu betonen: „Es gibt in allen Stücken zusammen nicht nur viel mehr männliche Figuren insgesamt, gerade wenn es ums Alter geht – mehr als zwei Frauen Ü40 sieht man meist nicht auf der Bühne. Als ob die Frau nur in ihrer weiblichen Blütezeit eine interessante Figur für die Bühne ist. Das ist ja ein total männlich gelesenes Bild, vor allem ist das komisch, wenn man bedenkt, dass 70-80% des Publikums Frauen sind und der Altersdurchschnitt in Meiningen grob geschätzt bei 60 aufwärts liegt. Das beschäftig mich schon, weil ich den Beruf ja noch länger als 15 Jahre machen will. Und ich will auch ein bisschen mitreden, was ich da spielen soll und will. Und ich sehe viele Beispiele, wie es mir noch nicht gefällt und bin dankbar über jeden neuen Ansatz.“ Es heißt also zusammenzustehen und nach vorne schauen: „Dass es heute mehr Frauen in Leitungsfunktionen gibt und das erstmal grundsätzlich paritätischer gedacht wird, ist doch eine positive Entwicklung. Da hat es das Patriarchat schwerer, sich durchzusetzen. Auch andere vielfältigere Geschichten in der Dramenliteratur werden folgen. Deswegen muss Dorfrichter Adam in Kleists „Der Zerbrochene Krug“ bitte aber nicht von einer Frau gespielt werden. Denn es macht einfach keinen Sinn. Und das sollte es doch aber, oder?“, fasst Thomas Klenk die Situation für sich zusammen. Wie es mit den Entwicklungen im Stadttheater weitergeht? Wie sich Diversität, Digitalisierung und ein drohender Fachkräftemangel hier auswirken werden? Kontinuierliche Veränderungen bleiben eine Zukunftsaufgabe für alle Altersgruppen auf und hinter der Bühne. Eine besondere Verantwortung tragen hierbei vor allem die Theaterleitungen, denn ihrer Führung müssen sich Ensembles schließlich erstmal anvertrauen. Sie sollten die verschiedenen Perspektiven hören und notwendige Veränderungen durchsetzen. Wie sich auch Intendant:innen-Generationen freundschaftlich und mit viel gegenseitigem Respekt ablösen können, lässt sich derzeit am Stadttheater Fürth beobachten.