
Am Ende werden sie alle noch einmal herbeizitiert, die göttlichen und halbgöttlichen Bewohner Walhalls, und ihr Chef Wotan muss sich leicht pikiert anhören, dass ausgerechnet seine verstoßene Lieblingstochter Brünnhilde ihm die Absolution erteilt. Eigentlich hat der Göttervater in der „Götterdämmerung“ nichts mehr zu suchen, denn schon im „Siegfried“ durchstreift er als „Wanderer“ die eher profane Welt. Doch Stefan Herheim will es in seiner Neuinszenierung von Richard Wagners „Götterdämmerung“ an der Deutschen Oper Berlin genauer wissen: dass die Götter endgültig abgedankt haben, sei auch für sie eine Erlösung. Zuvor schon ist es dem Chef der Schwarzalben nicht anders ergangen. Auch Alberich wird herbeizitiert und muss erfahren, dass sein Sohn Hagen durchaus keine Neigung verspürt, seine Beute zu teilen, nachdem er Siegfried erschlagen hat.
Das Finale der Berliner Tetralogie hat Herheim als Breitwand-Bühnenspektakel inklusive einer grandiosen Lichtregie entworfen. Bühnenbild und Bühnengeschehen sind von Konstanten geprägt, die sinnstiftend wirken und schon deshalb das Publikum nie alleine lassen. Selbst die vordergründigste Anspielung, das Zitat jenes Mobiles aus dem Foyer, das wohl jeder Kulturberliner kennt, hat Bedeutung und will das Theater als Raum in die Bühne integrieren. Im Übrigen sind Kofferstapel, zwei ausgewachsene Konzertflügel und riesige wallende Stoffbahnen die Requisiten, von denen die Inszenierung dominiert wird. Die Koffer sind zu Beginn wie ein Scheiterhaufen geschichtet und weisen so auf den finalen Weltenbrand hin.
Das kündigt sich schon in der Eingangsszene an, die das Personal des Dramas als Partygesellschaft vorführt, bevor dann die Nornen ihre Fäden ziehen. Als das Seil reißt, wird alles in grelles Licht getaucht und man spürt, dass es wieder in das diesseitige Leben geht, die mythologische Welt also verlassen wird. In die Gibichungenszenerie am Rhein platzt ein grotesk kostümierter Siegfried (mit strahlendem Tenor: Clay Hilley) hinein, der in dieser Gewandung bis zum Schluss ein Fremdkörper bleiben wird. Die Damen sind wallend gekleidet, die Herren geschäftsmäßig. Gunther sieht aus wie Armin Laschet und benimmt sich mit seinen Albereien auch so – man darf das wohl als einen tagesaktuellen Einfall werten…
Die Waltrautenerzählung auf dem feuerumkreisten Walkürefelsen wird zum Höhepunkt des ersten Aktes, und das hat einen Namen: Okka von der Damerau findet hier zu einer stimmlich überragenden und eindringlichen Darstellung. Der Betrug an Brünnhilde wird zu einem Gemeinschaftswerk, denn Gunther (Thomas Lehman) und Siegfried erklimmen gemeinsam den Felsen und teilen sich die Partie per Wechselgesang. Die beiden undankbarsten Rollen der ’Götterdämmerung’ sind mit Thomas Lehman (Gunther) und Aile Asszonyi (Gutrune) hervorragend besetzt, was keine Selbstverständlichkeit ist. Gleiches gilt für die notorischen Bösewichter Hagen und Alberich, denen Albert Pesendorfer und Jürgen Linn ihre markanten Stimmen leihen.
Mit Nina Stemme ist die weibliche Protagonistin prominent besetzt. Diese Brünnhilde ist eine Wucht, vor allem im dritten Akt, nachdem sie zuvor noch zu grellem Flackern neigte. Vollends der Schlussgesang, mit dem sie Wotan auf’s Altenteil schickt, gerät zu einem tief berührenden Erlebnis. Den Schwarzalben hat Herheim eine recht triumphale Rolle zugebilligt, die in Hagens Bemächtigung von Siegfried Schwert und Kopf kulminiert. Geradezu apokalyptisch wird es am Ende, wenn der Bühnenraum sich nach einer grellen Lichtkanonade von Scheinwerfern völlig entkernt präsentiert und eine Putzfrau die Reste wegfegt, aber die Frage „Ist das Kunst oder kann das weg?“ gar nicht zu stellen vermag. Diese Herheim-Inszenierung ist rundum überzeugend, was nicht zuletzt daran liegt, dass ihr auch das Dirigat Donald Runnicles gut tut. Dem GMD der Deutschen Oper stehen ein blendend aufgelegtes Orchester und robuste Chöre zur Verfügung, mithin beste Voraussetzungen für Wagners Tetralogie.