Wer an Jena denkt, der assoziiert damit vielleicht eine unscheinbare, kleine Stadt. Womöglich erinnert er sich auch noch wage an den Geschichtsunterricht und die bittere Niederlage der Preußen und Sachsen gegen Napoleon in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt. Wie gähnend langweilig es war, Schlachten auswendig zu lernen, daran erinnert man sich aber höchstwahrscheinlich um einiges besser. Interessanter ist da schon das Carl-Zeiss-Unternehmen, das zwar heute leider nicht mehr seinen Hauptsitz in der Stadt hat, dessen Geschichte aber hier beginnt und bis heute nicht geendet hat. Doch ist die Stadt längst nicht nur Wiege der Weltraumoptik oder irgendeine verlorene Schlacht; Jena bedeutet auch Fußballgeschichte – eines der ersten Regelwerke wurde hier verfasst – und überdies Technikgeschichte jenseits von Carl Zeiß, Ernst Abbe und Co. Jena ist Pionierstadt, was den deutschen Hochhausbau angeht und und und…
Davon zu berichten weiß der gebürtige Jenaer Medienkünstler und Autor Matthias Pick in „111 Orte in Jena, die man gesehen haben muss“. Das Format des Emons-Verlages hat sich schon bei vielen anderen Städten und Orten bewährt und enttäuscht auch in der Jenaer Ausgabe nicht. Doch was ist Jena nun für eine Stadt? Der Autor selbst beschreibt sie als „sehr langweilig und trotzdem besonders“. Langweilig wohl höchstens für den oberflächlichen Betrachter. Denn Picks Tipps bieten viele Anregungen, die Stadt auf eigene Faust zu erforschen. Vor allem der, der gerne hinter die Fassade blickt und den Puls der Stadt fühlen möchte (oder auch nach ungewöhnlichen Fotomotiven sucht), kann sich mit dem Buch in der Tasche ganz ungezwungen treiben lassen, sich in der Kahlaischen Straße zwischen 50.000 Schallplatten eingraben, über rätselhafte Leuchtschriften an Häuserwänden stolpern oder vor der Hologrammfassade im Jenaer Zentrum tanzen. Wem das zu viel urban culture ist, findet im Buch auch zahlreichen Orte, die ob der durchaus eindrucksvollen Geschichte für Aha-Effekte sorgen. Und auch Gaumenfreunde kommen auf ihre Kosten, sowohl gut bürgerlich als auch erfreulich unkonventionell. So lässt es sich flanieren und verweilen in der Licht- und Universitätsstadt, in der schon Novalis, Marx, Tucholsky u.v.m. studierten und lebten. Ganz und gar nicht unscheinbar.
Matthias Pick: 111 Orte in Jena, die man gesehen haben muss, Emons, Deutsch, 16,95 €, 240 Seiten, ISBN 978-3-7408-0427-5