„Wenn du es nur sehen könntest“ – schrieb Goethe 1782 an Charlotte von Stein und bewunderte dabei einen „köstlich illuminirten“ Kupferstich. Was war damit gemeint?
Die neue Sonderausstellung „Prachtvoll illuminirt“ im Georg Schäfer Museum bietet noch bis 15. August 2018 die einzigartige Möglichkeit, anhand einer Auswahl besonders prachtvoll kolorierter Werke einen vergessenen Bereich der Kunst wiederzuentdecken und zugleich die Rolle der Farbe in der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts neu zu bewerten. Seit der Antike wurden Blätter, Buchseiten und später auch Einzelgraphiken mit feinem Pinsel illuminiert. Der Versuch, diese zeitraubende Technik durch Farbdrucke zu ersetzen, scheiterte u. a. an der hohen Farbqualität des Handkolorits. Erst mit dem Aufkommen der mehrfarbig gedruckten Chromolithographien endete um 1870 eine Tradition, welche in der Druckgraphik über 400 Jahre lang währte.
Zu Beginn ihrer spannenden Geschichte umfasste das Illuminieren lediglich die Ausgestaltung der Anfangsbuchstaben (Initialen), die ornamentale und szenische Illustration von Texten sowie die Darstellung von Tieren und Heilpflanzen. Auftraggeber waren vor allem Kirchen und Fürsten, aber auch wissenschaftliche Korporationen. Später eroberte es sich weitere Gebiete und erreichte als dekorative Graphik via England und Frankreich auch das wohlhabende bürgerliche Publikum. Als „Zimmerverzierung“ hinter Glas und Rahmen entstanden Werke, die mit Gemälden konkurrieren sollten.
In der Forschung erfolgte bislang keine Würdigung dieser Technik als eigenständige Kunstform. Dazu trug unter anderem die lange bestehende Vorstellung bei, dass das Illuminieren entlang der graphischen Vorgabe der Stecher erfolgte und damit lediglich „Ausmalen“ von Flächen gewesen sei. Eine Verwechslung gab es auch mit dem seit dem 15. Jahrhundert angewandten Schablonenkolorit, das oft nachträglich mit dem Pinsel verfeinert wurde.
Dagegen überraschten bereits im 16. Jahrhundert entstandene Arbeiten mit teils recht flott aufgepinselten Aquarell- und Gouachefarben, welche ab und zu über die vom Stecher vorgegebene Kontur der Figuren hinausragen. Damit stellten sie eine erstaunliche Befreiung aus den Grenzen der zugrundeliegenden Graphik dar. Während der Dürer-Rezeption des Manierismus erfuhr das Handkolorit im sogenannten Fürstenkolorit einen ersten neuen Höhepunkt. Echtgold und Silber wurden dabei auf das Papier übertragen. Ende des 17. Jahrhunderts griffen die Koloristen zu dünnen Pinseln und Lupen, um beispielsweise für wissenschaftliche Werke im Bereich der Botanik zarte Blüten, kleine Knospen und Blätter in Farbe zu fassen.
Ihren gestalterischen Höhepunkt fand die Illuminierung schließlich im 18. und 19. Jahrhundert. So warben Verlage in diesem Zeitraum damit, Spezialisten von weit her geholt zu haben. Für herausragende Werke mussten hohe Preise bezahlt werden. Längst wurde die Illuminierung unter ästhetischen Aspekten gewürdigt; „Farbe-Belustigung“ war wichtiger als Naturwahrheit. Die sogenannte Dekorative Graphik umfasste naturhistorische Motive ebenso wie Militaria, Modedarstellungen und Karikaturen.
Illuminieren war en vogue. Liebhaber und Dilettanten belegten nun Kurse, um selbst das Kolorieren zu erlernen. Für den Eintrag in Haus- und Freundschaftsalben des Biedermeier, vor allem für die Souveniralben der reisenden kamen auch Einzelgraphiken zum Einkleben auf den Markt. Selbst die Jugendlichen sollten in Lehrbüchern durch kolorierte Bilder „ergötzt“ werden. Diese Freude am Kolorit ist auch dem Brief Goethes von 1782 anzumerken. „Ein köstlich illuminirt Kupfer nach Raphael hab ich bey dem Herzog gesehn. Durch die obgleich immer sehr unvollkommne Nachbildung sind mir wieder ganz neue Gedancken aufgeschlossen worden. Wenn du es nur sehen könntest.“
Die Ausstellung in Schweinfurt (zu sehen bis 15. August 2018) verfolgt das Ziel, anhand von über zweihundert für die Entwicklung des Handkolorits wichtigen Werken die weltweit erste Übersichtsschau zu diesem Thema zu bieten. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit der Privatsammlung Frank, Stuttgart, und dem Museum Otto Schäfer, Schweinfurt. Ergänzt wird sie durch kostbare Leihgaben der Staatsbibliothek Bamberg und den Kunstsammlungen der Veste Coburg. Im Hirmer Verlag erscheint ein prachtvoll bebilderter Katalog.
Fotocredits:
Choir of the Cathedral of Beauvais, altaquarellierte und goldgehöhte Aquatinta, Charles Wild, aus: Foreign Cathedrals, comprising the Choicest Specimen of Ecclesiastical Architecture of the Middle Ages, chiefly in France, London 1831, Sammlung Frank, Stuttgart
Lahnstein, altgouachierte Umrissradierung, nach Anton Radl, 1813, koloriert um 1820 von Anton oder Georg Balzer, Sammlung Frank, Stuttgart
Christus begegnet dem Hauptmann von Kapernaum, altaquarellierter und -gouachierter Kupferstich, Nicolaes de Bruyn, 1603, koloriert von Hans Thomas Fischer 1678, Kunstsammlungen der Veste Coburg