Es lohnt sich, anlässlich der Wiederaufnahme von Leoš Janáček „Die Sache Makropulos“ am Würzburger Opernhaus die Ersatz-Heimstätte namens „Theaterfabrik Blaue Halle“ aufzusuchen, zumal wenn man mit der Neugier auf die Operntauglichkeit dieser temporären Spielstätte ausgestattet ist. Weit außerhalb jeglicher Fußläufigkeit, fast schon in Veitshöchheim, ist das mit mancherlei Röhreninterieur versehene Haus gelegen, doch der Bus-Shuttle ab Bahnhof und „altem“ Theater funktioniert perfekt. Dass die nüchterne Halle in blau getaucht ist – Ehrensache.
Man wird sich in Würzburg wohl mit diesen Verhältnissen für einige Jahre arrangieren müssen, und das bedeutet u.a. den Verzicht auf Drehbühne oder ähnliche Bühnentechnik, die heutzutage selbstverständlich erscheint. Das ist aber kein Malheur, wenn man aus der Not eine Tugend zu machen versteht und sich beim Bühnenbild auf zwei einfach zu verwandelnde Container beschränkt. Auf denen kann man ebenso gut herumkrabbeln wie aus ihnen unvermutet an anderer Stelle hinaustreten als dort, wo man herein kam.
Die von Karel Čapek ersonnene und von Janacek vertonte Geschichte spielt mit den Dämonen der Vergangenheit und ist eine geradezu kafkaeske Versuchsanordnung, in der es um den Wert des Lebens und die fatale Sehnsucht nach Unsterblichkeit geht. Emilia Marty nahm zu Beginn des 17. Jahrhunderts, damals noch als in Kreta geborene Elina Makropulos, ein Elixier zu sich, das ein Leben um 300 Jahre zu verlängern mochte, also für den normalen menschlichen Zeithorizont quasi unsterblich machte. Mit einem langen Leben wird man aber nicht zwangsläufig glücklich, weshalb Emilia nach Ablauf dieser langen Zeit für das Leben und die Lebenden nur noch Verachtung übrig hat.
Sterben will sie trotzdem nicht, schon deshalb nicht, weil es da noch eine uralte Erbgeschichte zu regeln gibt, die wiederum mit jenem Elixier zusammen hängt, dem sie ihr langes Leben verdankt. Als dessen Wirkung allmählich nachlässt, versucht sie mit allen Mitteln, an die Formel des Mittels heranzukommen. Die Story lebt wesentlich von der Verwirrung jener Mitmenschen, denen die Identität der Protagonistin nicht klar ist, denn sie war ja zu sehr unterschiedlichen Epochen präsent und schon deshalb mit sehr unterschiedlichen „Rollen“ ausgestattet. Dankenswerterweise haben die Programmheftmacher eine genealogische Übersicht mit dem Titel „300 Jahre Leben“ abgedruckt, die sich hilfreich liest.
Die anspruchsvolle Partie der Emilia Marty alias Makropulos alias Müller etc. (sie lebte ja 300 Jahre lang unter wechselnden Namen) wird von Ilia Papandreou mit Bravour bewältigt, schauspielerisch wie sängerisch. Ein Feuerwerk der Affekte, imposant! Auch die anderen Rollen sind durchwegs ausgezeichnet besetzt, weshalb es schwerfällt, irgendjemanden hervorzuheben. Oder doch: Michael Tews als Rechtsanwalt beeindruckte mit seiner prägnanten Stimme ganz besonders.
Dass die Würzburger es schafften, den äußerst kurzfristig ausgefallen Kosma Ranuer (als Jaroslaw Prus) durch einen aus Prag herbeigeeilten Sängerdarsteller zu ersetzen, ist bemerkenswert. Angesichts klar durchorganisierter Personenregie erwies sich die Integration des tschechisch singenden Akteurs als problemlos. Und dass der Gast eine markante Stimme hat, soll hier nicht unerwähnt bleiben.
Die schnörkellose Inszenierung Nina Russis lenkt zu Recht den Blick auf die Protagonistin. Mutet sie eingangs wie eine Frau an, die herrisch Aufklärung verlangt, quasi wie in Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“, so erinnert sie später aufgrund ganz anderer Lebensrollen, die in der Erinnerung diverser Männer geblieben ist, an eine verführerische Carmen, auf die alle narrisch waren. Emilia entscheidet sich letzten Endes dafür, die Formel, derer sie habhaft werden konnte, nicht mehr nutzen zu wollen, gibt sie aber weiter an eine andere junge Frau, Christa, die das Papier ohne zu zögern verbrennt.
So absurd die Gemengelage dieses Plots erscheinen mag, er bleibt modern und aktuell, denn gerade in Zeiten von KI und virtueller Existenzformen behält die Möglichkeit bzw. Illusion eines lebensverlängernden Elixiers ihre trügerische Faszination. Am kommenden Sonntag, 19. November, gibt es die letzte Möglichkeit, diese sehenswerte Inszenierung zu erleben.
Hier geht es zur Homepage des Mainfranken Theaters: https://www.mainfrankentheater.de