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Den Sinn für die Kunst wahren und pflegen

Nora Gomringer (ist) im Gespräch

veröffentlicht am 04.08.2014 | Lesezeit: ca. 9 Min.

Man muss sie in Bamberg nicht mehr vorstellen, Nora Gomringer, aber auch nicht in Solothurn, in Berlin, in Stockholm, in Poitiers und Dijon, Czernowitz, Innsbruck, Bratislava, Frauenfeld, Helsinki, noch in der litauischen Hauptstadt Vilnius oder im mittelhessischen Städtchen Lich. Das sind nur einige Stationen der gefragten Lyrikerin, Rezitatorin und Diskussionsteilnehmerin aus den vergangenen Monaten. Mitte Juni hat ihr Kunstminister Ludwig Spaenle die unbefristete Leitung des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia Bamberg übertragen, dessen Direktorin Gomringer seit April 2010 ist.

Kam denn, liebe Frau Gomringer, das Angebot der dauerhaften Direktorinnenstelle überraschend für Sie?

Überraschend insofern, als ich ja so eine Erfahrung noch nicht gemacht habe, so einen großen offiziellen Zuspruch meines Arbeitgebers, nachdem er jetzt ein paar Jahre verfolgen konnte, wie ich mich mit den anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Villa um unsere verschiedenen Gäste kümmere. Als Künstlerin hat man ja immer wechselnde Auftraggeber. Hier als Direktorin ist es das Staatsministerium unter Dr. Spaenle, das mich bestätigt. Die Leitung des Internationalen Künstlerhauses ist eine anspruchsvolle, sehr vielseitige und immer wieder überraschend hinreißende Aufgabe. Ich habe das Haus in tadellosem Zustand von Prof. Dr. Bernd Goldmann übernommen und konnte hie und da andere Akzente setzen.

Sie haben sehr viel für das Haus getan. Selbst wenn die Deutschen gegen Portugal spielen, zieht es etliche Besucher in die Concordia, um dem Werk einer zwar mit dem bedeutenden Siemens-Förderpreis ausgezeichneten, aber doch wohl den meisten eher unbekannten Komponistin zu lauschen. Hat sich das Publikum gegenüber der Ära Goldmann verändert? Ist es jünger geworden? Hat es andere Interessen? Bedienen Sie diese?

Es scheint mir, als sei eine glückliche Kombination eingetreten: Die vielen Verbindungen, die Prof. Dr. Goldmann gelegt hat, auf denen wir in unserer Arbeit als neuformiertes Team aufbauen konnten, bewähren sich jetzt in diesen Jahren. Ich habe Zusammenarbeiten mit Vereinen, Schulen, verschiedenen Universitäten, Serviceclubs und den Kunst- und Antiquitätenwochen trotzdem noch weiterforciert, habe ausprobiert, was funktioniert und was nicht. Vor allem haben meine Mitarbeiterinnen und ich über die Jahre sehr viele Führungen im Haus gegeben, in denen wir zu Geschichte, Aufgabe und Haltung des Hauses viel vermitteln konnten. Jünger ist das Publikum nur hin und wieder. Ehrlich gesagt kommt es mir nicht so sehr auf das Alter unserer Gäste an – da muss man aufpassen, dass man nicht vor lauter schönem „Jugendwahn“ das intellektuell aufgeschlossene, interessierte und muntere Bamberger Stamm-Publikum ungerecht behandelt. Durch ein Aufbrechen der Veranstaltungsformate, auch eine Loslösung vom festen Veranstaltungstag und einen regelmäßigen Newsletter, für den wir viel Erstaunen (So viel ist bei Euch los! Immer kann man einfach kommen, das macht Lust, sich das mal anzusehen!) ernten, haben wir andere Interessenten erreicht.

Bleibt Ihnen, bei all den in die Villa investierten Tagen und Nächten, auch bei den Reisen zu Literaturfestivals zwischen Solothurn und Stockholm, überhaupt noch Zeit zum eigenen, kreativen Schreiben? Wird man von der Lyrikerin Nora Gomringer bald wieder hören? Immerhin hat Heinrich Detering Ihre „Monster Poems“ zum wichtigsten Lyrikband des vergangenen Jahres erkoren.

In der Regel versuche ich beide Berufe, den der Direktorin und den der Dichterin, zu trennen. Ich bemerke, dass das nicht wirklich immer funktioniert... Überall, wo ich mich zur Villa äußere, schwärme ich natürlich von unseren Gästen und versuche, Zusammenarbeiten, Sponsoring und auch Mitgliedschaften für unseren engagierten Freundeskreis anzuregen. So geht viel, was ich zur Verbreitung meiner dichterischen Arbeit tue, auch in die Arbeit für die Villa ein. Insgesamt glaube ich, dass es meinem Amt gut tut, dass ich noch eine andere Welt kenne, ein anderes Leben habe, das ich irgendwie mit den Stipendiatinnen und Stipendiaten teile, mein Künstler-Sein. In den nächsten Jahren sind der zweite und dritte Teil der Monster- Morbus-Mode-Trilogie – alle Bände dann illustriert von Reimar Limmer – geplant. Ich muss dafür meine Stadtschreiberschaft in Helsinki im September sehr gewissenhaft einsetzen und schreiben, schreiben, was das Zeug hält. Ich habe durch das Direktorium gelernt, mich noch besser selbst zu organisieren und setze andere Schwerpunkte in meinem Leben. Im Moment steht die Arbeit – das Direktorin- UND das Dichter-Sein – vor allem.

Wo sehen Sie die Villa in, sagen wir, einer Dekade, wo sehen Sie sich selbst?

Die Villa wird vom Ministerium hoffentlich noch bewusster als erfolgreiche Dienststelle in Oberfranken bewertet. Ich hoffe, meinen Traum eines ausgebauten Dachgeschosses des Ebracher Hofs auf einen guten Weg bringen zu können. Dann erhalten endlich auch die Autorinnen und Autoren jeweils ein eigenes Atelier. Bisher haben sie „nur“ die Wohnungen, in denen sie dann leben und arbeiten sollen. Die Bildenden Künstler und die Komponisten haben beides: Appartement und Atelier. Persönlich werde ich dann hoffentlich weitere Zusammenarbeiten wie mit der Jazzpianistin Ulrike Haage vertieft haben und mich freuen können an einem weiterhin arbeitsreichen Künstlerleben, ob in Bamberg und in der Villa oder da, wo man mich haben möchte oder wo ich gebraucht werde... Auch meine Eltern führen in Rehau ja ein ganz außergewöhnliches Kunsthaus.

Die Zusammenarbeit mit den Bamberger Symphonikern besteht nach wie vor?

Diese Zusammenarbeit findet gerade ihre Parameter und formuliert ihre Aufgaben und Ziele. Mal sehen, was wird. Eines steht fest: Schon jetzt war mir der Blick hinter die Kulissen beides – große Freude und große Ehre!

Sie waren selbst oft in Künstlerhäusern oder ähnlichen Einrichtungen zu Gast, gehen bald auf einen Monat nach Helsinki. Was sind Ihre Erfahrungen als Stipendiatin? Inwiefern profitieren die Bamberger Pendants davon?

In Künstlerhäusern – und hoffentlich wird es den Bambergern zunehmend bewusster, dass das Künstlerhaus in Bamberg ein großes Kleinod und sehr eigen in seiner Art und Anlage ist – leben die Künstler von den Bindungen, die entstehen. Während eines elfmonatigen Aufenthaltes passiert so viel. Wir mit der Villa, ja die gemachte Erfahrung in Bamberg werden biographisch. Meine Stipendien in Venedig, New York, Berlin und Nowosibirsk sind fest in meiner Erinnerung, die dort gemachten Erfahrungen und Freundschaften halten zum Teil heute noch besonders fest. Man erlebt etwas außergewöhnliches, denn eigentlich sind die meisten Künstler Solitäre auf die eine oder andere Weise. Ich fühle, dass viele unserer Gäste dieses Wissen bei mir suchen. Sie wollen sich aufgehoben, verstanden und ein bisschen daheim fühlen können durch ein freundliches Lächeln, unser Zuhören und auch das Ermöglichen sozialer Kontakte. Dann klappt es in der Regel auch mit der Arbeit. Und dann sind Künstler am glücklichsten: wenn sie schaffen, arbeiten können, wahrgenommen werden.

Können Sie uns zwei, drei Höhepunkte der kommenden Wochen und Monate in der Concordia nennen?

Spannende, ja „Wundertüten-Abende“, sind die Vorstellungsabende unserer Stipendiaten. Man weiß nicht, was einen erwartet und hat größtes Entdeckungspotenzial. In den nächsten Wochen werden sich der Komponist José-María Sánchez-Verdú (am 19. August) und die Autorin Christine Pitzke (am 26. August) vorstellen. Meine Stellvertreterin Stephanie Weiß plant federführend den Abend unseres größten Sponsors, der aber geschlossene Gesellschaft mitbringen wird. Und besonders freue ich mich über Rückkehrer, also ehemalige Stipendiaten, die ich bitte, neue Arbeiten, die seit ihrem Aufenthalt in der Villa entstanden sind, auszustellen. Ryszard Kajzer zeigt seine Ausstellung neuer Plakate noch bis zum 24. August. In der Zukunft möchte ich dieses Format ein bisschen ausweiten auf „Come again, bring a friend“, so werden unsere Alumni dann einen Künstler ihrer Wahl mitbringen können und ihr Werk in Kontrast, Kommunikation und Kontakt zum Werk des eingeladenen Kollegen zeigen. Unsere Stipendiaten erleben wir dadurch nicht nur als Künstler, sondern auch als Kuratoren und Unterstützer anderer.

Beim zumeist freien Eintritt wird es bleiben?

Das will ich doch sehr hoffen!

Zum Schluss, wenn Sie mögen, noch diese Frage: Grüne Sauce, blaue Zipfel oder doch lieber rote Bete?

Das scheint eine Insiderfrage zu sein... Frankfurt, Bamberg oder? Für was steht die Rote Bete? Also wenn es so farbig sein soll, dann sage ich: Für mich buntes Gemüse aus lokalem, fränkischem Anbau, jeden Tag!

Und: Was macht Bamberg für Sie lebens- und erlebenswert?

In Bamberg hab ich nach Wurlitz und der Gegend um Rehau, wo mein Herz „an der Biegung der Schweßnitz begraben liegt“, ein neues Zuhause gefunden. Ich bin hier zur Schule gegangen, habe Freunde gewonnen, die nun überall auf der Welt leben, und mit denen ich via Facebook in Kontakt stehe. Ich laufe auf meinen morgendlichen Laufrunden der Concordia entgegen oder ziehe meine Bahnen im Bambados und war in dieser Stadt schon viele Jahre glücklich. Gerade habe ich eine schwierige persönliche Zeit erlebt und in Bamberg viel Halt gefunden. Die Stadt ist auf einem guten Weg für die Zukunft, wenn sie in ihre bunte Bewohnerschaft vertraut, für die Welt offen bleibt, die Konversion als große Chance versteht und stets den Sinn für die Kunst wahrt, pflegt und mit diesem Geist dann auch die anderen Aufgaben anpackt, egal ob basketballrund oder neubaueckig.

Wir danken Ihnen, liebe Frau Gomringer, für dieses interessante Gespräch und wünschen für die Zukunft Ihnen und dem von Ihnen betreuten Haus nur Gutes, nur Schönes. Auf eine fruchtbare Zeit!

Copyright Fotos:

Norga Gomringer 1 © Jürgen Bauer

Nora Gomringer 2 © Cella Seven

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