Wer ist das Kind auf dem Pferd, das hier in prächtiger Kleidung und mit perlenbesetzter Mütze das ganze Bild ausfüllt? Mit herrschaftlicher Geste scheint es uns zuzuwinken. Die Burg im rechten Bildhintergrund dürfte mit ziemlicher Sicherheit die Veste Coburg darstellen. Und die kursächsischen Wappen, die wie zufällig an einem Baum aufgehängt sind, lassen keinen Zweifel: Es muss ein sächsischer Prinz sein, den Lucas Cranach d. Ä. auf dem 1506 datierten Holzschnitt festhielt. In Frage kommt eigentlich nur der damals dreijährige Prinz und spätere Kurfürst Johann Friedrich I., der Großmütige. Nichts an dem Bild deutet freilich darauf hin, dass der Dargestellte einmal zum Führer des Schmalkaldischen Bundes und standhaften „Glaubenshelden“ der Wittenberger Reformation werden sollte. Dass wir dem jungen Prinzen aber unwillkürlich Großes zutrauen, verdankt sich der gekonnten Inszenierung durch Cranach.
Das bezaubernde Prinzen-Bild gehört zu der beeindruckenden Auswahl von Graphiken und Gemälden, mit denen die Kunstsammlungen der Veste Coburg in ihrer diesjährigen Sommerausstellung Cranachs Rolle als Hofkünstler beleuchten. Der vor fast 550 Jahren in Kronach geborene Maler arbeitete über einen Zeitraum von fast fünf Jahrzehnten kontinuierlich für drei sächsische Kurfürsten, zunächst für Friedrich den Weisen, dann für Johann den Beständigen und schließlich für Johann Friedrich den Großmütigen. Seine Aufgabe war es, Bilder zu schaffen, die das dynastische Selbstverständnis, die politischen Ambitionen und das religiöse Bekenntnis seiner Dienstherren vor aller Welt zum Ausdruck brachten. Schon unmittelbar nach seinem Dienstantritt 1505 entstanden zahlreiche Holzschnitte und Kupferstiche, die in ihrer Prägnanz bis heute unsere Vorstellung von der höfischen Kultur seiner Zeit prägen. Cranach brillierte mit komplexen Turnier- und Jagdszenen sowie mit anspielungsreichen Motiven aus der antiken Mythologie. Hinzu kamen religiöse Darstellungen, die die ganze Bandbreite der Frömmigkeitspraxis am Vorabend der Reformation widerspiegeln.
Die Coburger Schau spannt den Bogen von den repräsentativen Porträts der Kurfürsten über religiöse und mythologische Szenen bis zu faszinierenden Turnierdarstellungen. Sie rekrutiert sich vollständig aus den reichen Cranach-Beständen der Kunstsammlungen, die jüngst in zwei schönen und lesenswerten Bestandskatalogen erschlossen wurden (Cranach in Coburg, Bd. 1: Malerei, 2018; Bd. 2: Graphik, 2020). Cranach und Coburg – das ist eine lange und enge Verbindung. Vom Spätsommer 1506 an hielt Lucas Cranach d. Ä. sich mehrere Monate auf der Veste auf, die Friedrich dem Weisen als Jagdlager diente und die als südlichste kursächsische Residenz gerade prachtvoll neugestaltet wurde. Cranach schuf dekorative Malereien mit jagdlichen Motiven für die fürstlichen Repräsentationsräume. Von ihnen hat sich leider nichts erhalten. Dafür aber lassen sich einige seiner Holzschnitte mit der Coburger Zeit verbinden, darunter das Bild des reitenden Prinzen. Unter den nachfolgenden Generationen war das Sammeln von Cranach-Werken stets auch eine Art dynastische Selbstvergewisserung, und so legten schließlich die Herzöge von Sachsen-Coburg und Gotha den Grundstein zu den heutigen Beständen.
„Lucas Cranach. Kunst im Dienste des Hofes“ ist bis 12. September 2021 zu sehen. Für Kinder gibt es ein Ausstellungs-Begleitheft, auf der Website der Kunstsammlungen führen Videos in die Thematik ein, und Online-Vorträge mit namhaften Cranach-Experten bieten Gelegenheit zur Vertiefung.
Im STUDIO der Kunstsammlungen ist unterdessen ein höchst talentierter Coburger Künstler der Romantik wiederzuentdecken. Friedrich Müllers (1795–1834) Porträt des berühmten römischen Modells Fortunata Segadori wurde als künstlerische Meisterleistung gleich mehrfach kopiert. Die jüngere Forschung hat es zeitweilig sogar Wilhelm Schadow, dem Begründer der Düsseldorfer Malerschule zugeschrieben. Die Studioausstellung „Schön wie ein Schadow“ präsentiert bis 22. August 2021 Entdeckungen um Friedrich Müller. Mit dem wiedergefundenen Bildnis eines Kamaldulenser-Mönchs hält sie zudem eine kleine Schadow-Sensation bereit.
Ein neues Ausstellungforum können die Besucherinnen und Besucher der Veste im Kellergewölbe des Herzoginbaus kennenlernen: Das LABOR soll künftig als Ausstellungsraum mit experimentellem Charakter jungen Künstler, Wissenschaftlern und Kreativen offen stehen. Den Auftakt macht die Präsentation „Glass Works. European Glass Lives in Craft, Art and Industry – Neue Perspektiven in Glas“, die bis 12. September 2021 zu sehen ist. „Glass Works“ zeigt verschiedene europäische Glaszentren und deren grenzüberschreitende Verbindungen in Vergangenheit und Gegenwart.
Die Ausstellungen können täglich von 9.30 bis 17 Uhr besucht werden. Weitere Informationen findet man im Netz unter www.kunstsammlungen-coburg.de.