Christoph Willibald Glucks Oeuvre ist in Franken, speziell in Nürnberg, schon seit langem angesagt, doch nun sollte man nach Thüringen reisen, um eine ganz besondere Gluck-Ausgrabung zu bewundern. Das Theater Erfurt bringt ab 22. April (Premiere) den 1765 entstandenen „Telemaco“ auf die Bühne, also jene Story aus der Odyssee, die den Sohn des Trojahelden in den Mittelpunkt stellt. Aber stimmt das eigentlich?
Der Originaltitel des Werkes lautet nämlich „Telemaco ossia l’isola di Circe“, und die Herangehensweise von Regisseur Stephan Witzlinger bestätigt die zentrale Rolle der Zauberin Circe, auf deren Insel sich nicht nur Odysseus befindet, sondern auch dessen Sohn Telemach, der auf der Suche nach dem Vater ist. Er verliebt sich in eine der Nymphen aus dem Gefolge der Zauberin, Asteria, was sich eingangs als fatal erweist, am Ende jedoch der Schlüssel zum lieto fine ist.
Das Agens dieser Oper ist der unbedingte Wille der Circe, Odysseus an sich und ihre Insel zu binden. Nachdem auch Asteria an Telemach hängt, wird die Sache mit der Rückkehr nach Ithaka kompliziert. Odysseus fürchtet die Rache der Circe, wenn er nicht nur selber entkommt, sondern auch noch eine der Nymphen quasi entführt. Die Lösung, nämlich Asterias wahre Identität, erschließt ein Muttermal: sie ist die Tochter von Idomeneus, dem alten Freund des Odysseus, und war ohnehin als Telemachs Ehefrau vorgesehen.
Also wird sie nun doch mitgenommen, doch das wird eine knappe Geschichte. In dem Moment nämlich, als die Schiffe ablegen, kommt die wutentbrannte Circe an den Strand, wo sie nur noch feststellen kann, dass sie tatsächlich verlassen wurde. Sie, die doch bislang das ganze Personal wie Marionetten zu lenken vermochte, tötet daraufhin alle Bewohner der Insel und zerstört das Eiland gänzlich.
Hank Irwin Kittels Bühnenbild arbeitet fast ausschließlich mit beweglichen und in den verschiedensten Farben leuchtenden Mikadostäben, die schon für sich genommen ein faszinierendes Schauspiel garantieren. Diese Lichtnadeln haben eine magische Wirkung, bleiben aber in ihren Bedeutungsmöglichkeiten eher abstrakt. Naheliegend ist natürlich die Vermutung, dass sie den für Telemach verwirrenden Zauberwald symbolisieren, in dem ihm von sprechenden Bäumen – in die Odysseus’ Gefolgschaft verwandelt wurde – verkündet wird, dass ihm Unheil drohe.
Die Inszenierung, deren Generalprobe wir besuchen konnten, lebt nicht nur von dem geradezu überwältigenden Lichtarrangement, sondern ebenso von der ausgeklügelten Personenregie. Schon jetzt kann verraten werden, dass die Besucher des ab 22. April beginnenden Vorstellungsreigens auch in musikalischer Hinsicht ein vorzügliches Niveau erleben werden, was zum einen an der exquisiten Besetzung der Soli liegt und zum anderen am Gestaltungsvermögen von Dirigent Nicolas Krüger, dem ein diese spätbarocke Musik kundig interpretierendes Orchester zur Verfügung steht.
Glucks „Telemaco“ gehorcht noch weitgehend dem Prinzip der Barockoper, was sich auch an der obligatorischen Abfolge von affektgeladenen Arien ablesen lässt. Der Racheaffekt kommt besonders zur Geltung, was an der hervorgehobenen Stellung der Circe in dieser Personenkonstellation liegt. Alles in allem ist dem Erfurter Opernhaus eine rasante Inszenierung dieser mit sehr ansprechender Musik aufwartenden Oper gelungen, man wird sich darauf freuen dürfen.