Die „Berliner Operette“ der 20/30er Jahre musste ab 1933 ins Exil gehen, weil sie eine fast ausschließlich jüdische Erfindung war. Dass aber Paul Abrahams „Märchen im Grand-Hotel“, seinerzeit äußerst erfolgreich in Wien uraufgeführt, bis 2018 auf die deutsche Erstaufführung warten musste, ist kaum zu glauben. Das Nürnberger Staatstheater hat das Werk jetzt als Wiedereinstudierung einer Inszenierung von Otto Pichler auf die Bühne gebracht. Oder sollte man besser sagen: in einer Choreographie? Der Regisseur ist nämlich bekannt für seine überschäumende Tanzfreude.
Der Plot handelt von der originellen Idee, die Gäste eines Grand Hotels ihre eigenen Geschichten in einem Film spielen zu lassen. Und so geht es auch gleich los mit dem übergroßen Logo einer Filmgesellschaft, freilich nicht mit dem Löwen von Metro-Goldwyn-Mayer, sondern dem Gorilla von Universal Pictures. Vorne fläzt sich ein Impresario, der großspurig behauptet, Themen für Filme fänden sich genügend auf der Straße, z.B. in der Boulevard-Presse. Die hatte gerade groß aufgemacht mit der Meldung über die Ankunft der spanischen Infantin.
Die Adelige, mit souveräner Herablassung von Anna Martha Schultemaker gespielt, wehrt sich lange gegen nähere Kontakte mit den „Republikanern“ im Hotel, muss sich aber wegen schwindender Geldreserven alsbald auf Kompromisse einlassen und verliebt sich auch noch in einen Hotelpagen. Die wertvolle Perlenkette ist ihr letztes Kapital, doch stellt sich später heraus, dass diese leider gefälscht ist. Als das wertlose Stück von der Gräfin Inez de Ramirez präsentiert und besungen wird, darf man sich über die grandiose Stimme Almerija Delics freuen, die von sonoren Tiefen bis in schlackenlose Höhen reicht.
Zwischendurch gibt es mehrfach Interventionen von Marylou, der Tochter des Filmmagnaten, die das Ganze organisiert hat. So wird das Doppelbödige dieser Geschichte, das Spiel im Spiel, in Erinnerung gerufen. Als es am Ende zu einem plötzlichen Cut kommt und die Regiestühle wieder auf das Filmprojekt verweisen, fehlt das eigentlich fällige Happy End. Doch die Infantin und der von Jörn-Felix Alt brillant gespielte Hotelpage, der sich als Sohn des Hotelbesitzers (Ulrich Allroggen) outet, haben längst zueinander gefunden, freilich nicht ohne vorher handfest zu streiten.
Nach dieser rasanten Darbietung des Ensembles, die beim Publikum auf einhellige Begeisterung stieß, kommt man fast betäubt aus dem Staatstheater – mitgerissen von der Virtuosität der Tanzeinlagen, vom durchwegs brillanten Niveau der Stimmen, von der überschäumenden Spiellaune, von der perfekt organisierten Dramaturgie, vom Witz der Einfälle und vom frischen Musizieren der kleinen Staatsphilharmonie-Combo. Letztere war bei Sándor Károlyi in kundigen Händen. Jan Freese sorgte für die Bühne, Falk Bauer für die Kostüme.
Wiebke Hetmanek oblag die Dramaturgie und die Abfassung des ausgezeichneten Einführungstextes im Programm. Einmal mehr zeigte sich in Nürnberg, dass Operette und Musical nur reüssieren können, wenn sie das Opernfach an Spielbegeisterung und Perfektion noch übertreffen. Und dass sich dann große Kunst ereignet.