Entscheidungen zu treffen, ist Teil des täglichen Lebens. Im Theater hat das Publikum da eher selten die Möglichkeit, einzugreifen. Die Tanztheaterproduktion „Your Choice“, nach einer Idee der Erfurter Tanzcompany-Leiterin Ester Ambrosino, geht da einen anderen Weg. Sie bezieht die Zuschauer:innen mit ein. Gemeinsam mit ihrem Kollegen, dem Choreografen Tomas Bünger, bringt sie diese besondere Tanzinszenierung im Rahmen des 9. Tanztheater-Festivals am Theater Erfurt auf die Bühne. Premiere ist am 19. Oktober 2024. Die Produktion findet zudem als Kooperation auch mit dem DNT Weimar statt, wo jene dann Anfang 2025 auch gezeigt werden soll.
Ambrosino und Bünger sind beide an der Ausgestaltung des Konzeptes beteiligt. „Die Bühne - wir arbeiten mit einer Drehbühne -, wird gedrittelt“, sagt die Choreografin. Jeder der Räume wird mit einer eigenen Tanzfolge gestaltet. Je einen Teil übernehmen Ambrosino und Bünger, unabhängig voneinander in Eigenregie; den dritten Bereich erarbeiten beide gemeinsam. Die Musik zu den Tanzpassagen komponierte Michael Krause, in Abstimmung mit den beiden ganz speziell für jeden Raum. „Was dabei jeweils entstanden ist“, sagt Ambrosino, „sehen auch wir erst bei den gemeinsamen Proben“. Tomas Bünger findet das spannend, auch die Idee, mit zwei gleichberechtigten Choreografen eine unterschiedliche Herangehensweise zu ermöglichen. Im Fokus steht auch der Austausch und das Miteinander, sowohl auf der Bühne, als auch zwischen Bühne und Zuschauraum, genauer zwischen Tänzer:innen beziehungsweise dem Geschehen auf der Bühne und dem Publikum.
Mit dem dreiteiligen Ansatz sind im Vorfeld drei unterschiedliche Tanzpassagen entstanden, die einem bestimmten, jeweils farblich in Rot, Gelb und Blau, festgelegten Bereich der Drehbühne zugeteilt wurden. Mit einer Art Tanz-Teaser, so beschreibt Bünger die Vorgehensweise, bekäme das Publikum einen ersten Eindruck. „Was sich die Menschen weiter vorstellen, was sie möglicherweise erwarten könnten, ist Teil des kreativen Konzepts“, so der Choreograf. Die erarbeiteten Tanzabschnitte sind, anders als im wortreichen Schauspiel, hier abstrakter. Körpersprache und Tanzschrittfolgen fungieren als mitteilende Elemente. Das habe auch viel mit Emotionen zu tun, wobei die farbliche Gestaltung eine große Rolle spielt. Was verbinden die Menschen im Publikum mit den Farben, haben sie eine Lieblingsfarbe oder gar eine, die nicht zur persönlichen Debatte steht? Ist es nur die Farbe, die als Impuls wirkt, oder könnte es auch der vorgestellte Tanzausschnitt oder die Tanzenden sein, die die Entscheidung beeinflussen könnte? Das Publikum entscheidet relativ spontan darüber, was oder wen es als Nächstes sehen möchte. Gespannt ist Ester Ambrosino, ob Besucher:innen eventuell mehrmals in Vorstellungen kommen und unterschiedliche Entscheidungsfolgen durchspielen möchten.
An dieser Stelle kommt das Publikum aktiv mit ins Spiel. Über eine App können sich die Besucher:innen einbringen und entscheiden, welche der Tanzpassagen als nächste folgen soll, ein demokratisch mehrheitlicher Vorgang. Mit drei vorgegebenen Grundteilen, sagt Ambrosino, könnten sich, bunt gemischt, sechs unterschiedliche Folgen ergeben. Spannend finden die beiden Tanzspezialisten das, eine echte Überraschung auch für sie, wie die einzelnen Abende ausgehen werden: „Wir überlegen schon“, sagt Bünger, „ob manche Farbfolgen, und so auch ein anderes Tanzerlebnis, häufiger vorkommen oder eben auch gar nicht.“ Das könne man vorab gar nicht einschätzen, macht aber für die Beiden den großen Reiz der Produktion aus. „Solche Überraschungsmomente“, ergänzt Ambrosino, „haben auch wir nicht so oft. Wir liefern die Bausteine und reichen die dramaturgische Macht an das Publikum weiter.“ Interessant wäre dabei auch, finden die beiden übereinstimmend, aus welchem Grund die Entscheidung für die eine oder andere Variante gefallen sei. Gespräche im Anschluss an die Vorstellungen könnten da einen Einblick geben.
Als einen Glücksfall bezeichnet Ambrosino das siebenköpfige Ensemble. „An unsere Tänzer:innen“, sagt sie, „stellt das Konzept ganz große Herausforderungen.“ Tänzerische Klasse ist das eine, Offenheit und spontane Flexibilität das andere. „Sicherlich“, so Bünger, „können sie die Tanzschritte einstudieren, müssen sich aber aufgrund der Publikumsentscheidung, schnell auf die jeweils geforderte Choreografie, den wechselnden Drehbühnenbereich einstellen und auch entsprechend umziehen.“ Das erfordert eine hohe Konzentration und improvisatorische Bereitschaft. Am besten wäre es, die gesamte Produktion als spannendes Spiel mit unterschiedlichen Weggabelungen zu sehen. Das gelte natürlich auch für das Publikum, das so auch erleben kann, wie unwiderruflich eine spontane Wahl Auswirkungen auf den weiteren Verlauf hat. „Im täglichen Leben“, sagt Bünger nachdenklich, „gehen Daumen bei Social-Media-Formaten oft unüberlegt nach oben oder unten. Das könne für die Betroffenen, vielleicht sogar ungewollt, dramatische Folgen haben. Auch das soll unser Konzept verdeutlichen.“
Wissenswertes zu „Your Choice“ finden Interessierte unter www.tanztheater-erfurt.de.