In diesem Jahr wäre Karl Marx 200 Jahre alt geworden und – anders als noch vor einigen Jahren – wird wieder viel über den bedeutenden Ökonomen und Philosophen und seine Ideen gesprochen. Es scheint, dass die Analyse von Marx’ Hauptwerk „Das Kapital“ keineswegs abgeschlossen ist, beschreibt Marx doch die Ungleichheit zwischen arm und reich als ein von Menschen gemachtes Verhältnis, welches in den letzten Jahrzehnten – im Zeitalter der Globalisierung – dramatisch zugenommen hat. Dabei bestimmt das „Kapital“ nicht nur die Wege in Wirtschaft und Politik, sondern beeinflusst auch soziale, kulturelle, wissenschaftliche und ökologische Entwicklungen. Die Möglichkeiten, sich diesem grenzüberschreitenden Modus zu entziehen, scheinen gering und fristen – angesichts der hieraus resultierenden Verwerfungen – in den aktuellen Diskursen noch immer ein Schattendasein.
Am 15. April 1841 wurde Karl Marx an der Universität Jena mit einer Arbeit zur Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie zum Doktor der Philosophie promoviert. Dieses wissenschaftshistorische Ereignis war der Stadt Jena Anlass für ein Symposium, bei welchem sich Wissenschaftler und Künstler Anfang Mai 2018 in Jena begegneten. Parallel zum Symposium zeigt die Kunstsammlung Jena vom 5. Mai bis 12. August 2018 eine Ausstellung mit dem Titel „DYSTOPIA. Zum 200. Geburtstag von Karl Marx“. Die Ausstellung illustriert jedoch nicht das Symposium. Vielmehr untersucht sie als eigenständige Veranstaltung die Haltbarkeit bzw. Denkbarkeit von Utopien im Zeitalter des Finanzkapitalismus. Dabei sollen weniger die faktischen, historischen Verortungen ausgebreitet werden, sondern künstlerische Interventionen im Mittelpunkt stehen. Gleichwohl geht die Ausstellung davon aus, dass die von Marx eingeleitete Kritik an der politischen Ökonomie weder an Dringlichkeit noch an Tragweite verloren hat. Hinzu kommt eine Perspektive, die Karl Marx zwar angerissen hat, die jedoch in ihrer komplexen Dramatik kaum vorhersehbar war: die Endlichkeit all jener Ressourcen, die ein friedliches und gutes Leben auf diesem Planeten ermöglichen. Dass davon nicht nur die Art unseres Wirtschaftens, sondern auch alle politischen, sozialen und kulturellen Bereiche betroffen sein werden, ist hinlänglich bekannt. Trotz dieser verbreiteten Einsichten konnten neue gesellschaftstheoretische Ideen kaum an Raum gewinnen. Damit ist unser „Utopia“ wieder zu einem „Land ohne Ort“ geworden, so fern wie zu Zeiten von Thomas Morus und gespickt mit den immer gleichen Wünschen nach einem gerechten und sicheren Leben in einem Land mit einem Maximum an Gleichheit und einer Gemeinschaft ohne Ausbeutung. Auch wenn das Scheitern der kommunistischen Weltgesellschaft lange Schatten nach sich zieht, so bleibt die Entwicklung von Utopien existenziell für jede nur denkbare friedvolle Zukunft der Menschheit.
Genau hier setzt Ágnes Heller (Hannah Arendts Nachfolgerin an der New School for Social Research in New York) an und verlangt einen realistischeren Blick auf unsere Geschichte, auf genau jene gescheiterten Ansätze, die regelmäßig in totalitären Strukturen endeten. Mit Querverweisen auf George Orwell („1984“), Aldous Huxley („Schöne neue Welt“) und Michel Houllebecq („Unterwerfung“) beschreibt Heller eine Welt ohne Happy End, die zugleich das Ergebnis eines Lernprozesses ist, denn „ein gerechter Staat würde ein Staat sein, wo niemand sagt, dass es ungerecht ist. In einer modernen Gesellschaft werden nie alle Menschen das, was existiert, als gerecht anerkennen. […] Das würde eine fürchterliche Sache sein. Ich sage nicht nur, dass ein gerechter Staat nicht möglich ist, ich sage eher, dass es nicht wünschenswert ist.“
Die Abschaffung privaten Eigentums führt nach Heller nicht zu persönlicher Freiheit und Gleichheit, sondern fördert Tyrannei und politische Ungleichheit, die jeden Rest freien Denkens erstickt.
Anhand verschiedener künstlerischer Interventionen zeigt die Ausstellung Arbeiten von KünstlerInnen, die sich kritisch mit unserer ökonomischen und sozialen Gegenwart und deren ideellen Hintergründen auseinandersetzen. Dabei koexistieren Optimismus und Pessimismus in einem ähnlich fragilen Zusammenhang, wie das für die Dichotomie zwischen Utopie und Dystopie der Fall ist. Krisen und Kriege, Armut und Migration, technologische Entwicklungen und ökologische Veränderungen sind nur einige jener Faktoren, die das Gleichgewicht vergangener Jahrzehnte, die Verheißungen der Moderne, bedrohen und Veränderungen ankündigen, die uns alle betreffen werden. Utopische und dystopische Erzählungen sind typisch für Zeiten des Umbruchs, und die Reflexionen der KünstlerInnen dieser Ausstellung wollen dazu beitragen, Widersprüche aufzeigen und Weg zu neuen Sichtweisen öffnen.
Die KünstlerInnen der Ausstellung sind: Inci Eviner, Felix M. Furtwängler, Susann Maria Hempel, Sven Johne, Sebastian Jung, Tilman Knop, Christin Lahr, Elodie Pong, Gunter Reski, Julian Röder, Henrik Schrat und Nasan Tur.
Fotocredits:
Protests against EU-Summit in Thessaloniki, Greece, 2003, Foto © Julian Röder
Elodie Pong. After The Empire. 2008. Videostill 1., Foto © Elodie Pong
Gunter Reski. Raumjournal fuer Schweinezyklen. 2017. Ausstellungsansicht 2. Foto © Gunter Reski