Bayreuth hat’s gut, denn es besitzt zwei Opernhäuser der Extraklasse mit weltweitem Exzellenzstatus: das Markgräfliche Opernhaus und das Wagner-Festspielhaus. Ersteres wird seit seiner Wiedergeburt – nach jahrelanger Schließung wegen Renovierung – jetzt so intensiv wie hochkarätig genutzt. Das Opernfestival Bayreuth Baroque hat sich in kürzester Zeit einen exzellenten Ruf erworben und ist alljährlich zum zweiten triftigen Grund für eine Opernreise nach Ostoberfranken geworden – freilich in musikalisch großem Kontrast zu den Wagner-Festspielen auf dem Grünen Hügel. Die Gründe dafür liegen nicht nur in dem barocken Opernhaus mit seiner bezaubernden Atmosphäre, sondern auch personell bei Max Emanuel Cencic, dem künstlerischen Leiter des Festivals, der sowohl Regisseur und Produzent als auch Mitwirkender ist, letzteres als geradezu begnadeter Countertenor.
2020 begründet, nach der Wiedereröffnung des Markgräflichen Opernhauses, stellte sich das Festival zunächst in die Tradition der künstlerischen Wünsche Wilhelmines von Bayreuth, die das Opernhaus bauen und 1748 eröffnen ließ. Heute zählt es zum Weltkulturerbe der UNESCO. Es erwies sich als besonders originell, dass jene halbvergessenen Werke von Max E. Cencic wiederbelebt wurden, die Wilhelmine einst selbst ausgesucht und zur Aufführung gebracht hatte.
Seither darf behauptet werden, dass die Festival-Macher durch die Aufführung barocker „Opere Serie“ am Originalschauplatz eines der schönsten Opernhäuser der Welt aus seinem musealen Schlaf erweckt und seine Epoche sinnlich wieder erlebbar gemacht haben.
Das diesjährige Programm sieht neben den beiden zentralen Operninszenierungen diverse musikalische Formate vor, die sich jedoch auf das vokale Können der eingeladenen Künstlerinnen und Künstler fokussieren. Festivalbeginn ist am 5. September mit einer Neuinszenierung von Nicola Antonio Porporas „Melodramma“ mit dem Titel „Ifigenia in Aulide“. Festivalinitiator Max E. Cencic sorgt für eine pfiffige Inszenierung und übernimmt die Rolle des Agamemnon, der gefragte Cembalist Christophe Rousset hat die musikalische Leitung des Barockorchesters Les Talens Lyriques inne.
Die Geschichte um das Schicksal von Klytemnestras Tochter Iphigenie, die nur durch das Eingreifen des Achilles vor dem Tod bewahrt wird, ist eine der Bekanntesten aus den antiken Stoffen. Die Iphigenie wird von Jasmin Delfs gestaltet, der Achilles von Dennis Orellana.
Der preisgekrönte Breakdancer (!) und Countertenor Jakub Józef Orlińsky tritt am 6. September ebenfalls im Opernhaus auf, begleitet vom Ensemble „Il pomo d’oro“ in frühbarocken Werken von Monteverdi, Cavalli, Frescobaldi und anderen. Die Mezzosopranistin Lucile Richardot nimmt sich am Folgetag in der Bayreuther Schlosskirche die leidenschaftlichen Frauenfiguren des Hochbarock vor, begleitet von Jean-Luc Ho. Ein Konzert mit Kerzenlicht und den Talens Lyriques steht am 8. September in der Ordenskirche St. Georgen auf dem Programm.
Christophe Rousset wird auch am nächsten Tag mit einem Lunch- und einem Dinnerkonzert im Mittelpunkt stehen. Die Deutschland-Premiere von Antonio Vivaldis „Orlando furioso“, einem „Dramma per Musica“, findet am 11. September ebenfalls im barocken Theaterjuwel statt. Die katalanische Ausnahmesängerin Nuria Rial und der brillante spanische Gambist Fahmi Alqhai widmen sich anderntags unter dem Motto „Muera Cupido“ dem leider zu wenig bekannten Organisten und Komponisten Sebastián Durón.
Am 14. September geht es am frühen Nachmittag in der Bayreuther Schlosskirche unter der Devise „Nel dolce tempo“ um die Studienjahre Georg F. Händels in Italien. Der amerikanisch-schweizerische Countertenor Terry Wey widmet sich dem lange Zeit vernachlässigten Kantatenschaffen des jungen Händels. Sie sind gewissermaßen Vorstufen zur großen Oper seria, die im Kirchenstaat noch verboten war. In Venedig allerdings feierte Händel 1709 mit der Uraufführung seiner Agrippina seinen Durchbruch als Opernkomponist.
Am Abend desselben Tages steht dann wirklich die Oper im Mittelpunkt, denn die Starsopranistin Anna Prohaska bietet zusammen mit Christophe Rousset und den Les Talens Lyriques ein Konzertprogramm unter der Überschrift „Oper in Hamburg“ an. In der Hansestadt wirkten Händel, Telemann und andere Komponisten aus der ersten Reihe an der Oper am Gänsemarkt, die als erstes bürgerliches – und nicht-italienisches! – Opernhaus Deutschlands gilt.
Selbstverständlich dürfen bei einem Festival, das an solch exquisiten Orten stattfindet, auch andere Freuden außer die Musikalischen und Architektonischen nicht fehlen. So gibt es am 6. September ein „Gala-Dinner an der Tafel der Markgräfin“ in Schloss Colmdorf, ebendort auch ein „Gala-Lunch“ am 13. sowie jeweils an den Sonntagen einen „Brunch mit Werkeinführung zu Ifigenia in Aulide“ in der Orangerie der Eremitage. Viele Gründe also, im Herbst nach Bayreuth zu fahren.