Stimmen

Ein Sammler schöner Sätze

Der bamberger Autor Alexander Windholz im Portrait

veröffentlicht am 26.09.2012 | Lesezeit: ca. 9 Min.

Bamberg. Die große Leidenschaft von Alexander Windholz ist das geschriebene Wort. Seit rund 40 Jahren sammelt der frühere Journalist Aphorismen, Sprüche, Redensarten, Sprichwörter und Weisheiten. Eine Auswahl der schönsten, lustigsten und nachdenklichsten Sprüche und Zitate hat er veröffentlicht. Seit dem Jahr 2000 sind bereits vier Bücher von ihm erschienen. Neben einer Zitaten- und Weisheitssammlung sowie einem ironischen Wörterbuch, das sich mit den Eigenheiten der deutschen Sprache beschäftigt, gehören auch zwei russische Bücher mit Aphorismen dazu.

So lebte Alexander Windholz bis 1992 in Kasachstan, wo er als Chefredakteur und Zeitungs-Verleger tätig war. In seinem neusten Werk „Schadenfreude entspringt aus dem Dachschaden“, dem fünften Buch, präsentiert der 70-Jährige nun erstmals seine eigenen Gedanken.

Der Schatz von Alexander Windholz ist eine Pappschachtel voller selbst gebastelter kleiner Notizbüchlein. Er zieht sie unter dem Schreibtisch hervor und streicht mit der Hand durch die gesammelten Büchlein. „Die sind jetzt alle im Computer“, sagt er. Alexander Windholz sitzt an seinem Arbeitstisch. Durch die zugezogenen Vorhänge fällt ein schmaler Lichtstreifen in den Raum. Über Computer und Laptop sind mehrere Regale mit schweren Büchern angebracht. Etliche der Buchrücken zeigen kyrillische Schriftzeichen.

Vor etwa 40 Jahren, so schätzt er, begann Alexander Windholz mit dem Sammeln von Aphorismen und Weisheiten. Seine Begeisterung und seine Interesse für Wörter wurden jedoch schon viel früher geweckt – im Alter von 11 Jahren in der Grundschule. Bis zu seinem siebten Lebensjahr hatte Alexander Windholz mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem deutschen Dorf in Kasachstan gelebt. Zu Hause wurde nur deutsch gesprochen. Als der Vater eine neue Arbeitsstelle fand, zog die Familie in ein russisches Dorf. „Von heute auf morgen“, fand sich Alexander Windholz als Siebenjähriger in einer Umgebung wieder, in der „alles russisch“ war.

Eine Sprache, die er kaum beherrscht. Als er mit 8 Jahren in eine russische Schule kam, verstand er nur sehr wenig. Er musste die Sprache lernen und „es musste ganz schnell gehen“. In der dritten Klasse begann er damit, Fußnoten und Wörter aus Büchern zu notieren, die er nicht verstand. „Ich wollte nicht, dass die Lehrerin mit mir schimpft. Meine Regel war immer: Ich bin kein Perfektionist, aber ich will auch nicht schlechter sein als alle anderen.“ Das Aufschreiben und Lernen der unbekannten Wörter wirkte. „Dadurch ist es mit der russischen Sprache gegangen.“ In der vierten Klasse schrieb Alexander Windholz schließlich „fast die besten Diktate“.

Doch das Aufschreiben unbekannter Wörter brachte dem Grundschüler nicht nur einen Lernerfolg, sondern es half ihm auch „die guten, schönen und tiefen Gedanken“ langsam wahrzunehmen, die er in den Texten entdeckte. „Es ist langsam gekommen. Wenn man wissen will, was das Wort bedeutet und es herausfindet, dann versteht man auch den Satz und kann die Schönheit des Satzes wahrnehmen und die klugen Gedanken.

Ich interessiere mich schon sehr lange für Weisheiten. Das Geistige fasziniert mich. Es ist so vielmehr, als man körperlich machen kann.“ Die Faszination für Wörter und Sätze blieb Alexander Windholz auch nach seiner Schulzeit erhalten. Während seiner Armee-Zeit, beim Journalistik-Studium und in seinem Beruf als Chefredakteur einer Zeitung in der kasachischen Stadt Alma-Ata, die 1993 schließlich in das heutige Almaty umbenannt wurde, „ging alles nur russisch“. Für Alexander Windholz bedeutete dies, dass „auf einmal die russische Sprache die Muttersprache für mich war“.

Statt einzelnen Wörtern sammelte er nun Aphorismen und Weisheiten. Er notierte Sätze aus Büchern, die ihm gefielen. Dazu vermerkte er den Autor und das Werk, teilweise sogar die Seitenzahl. Er schnitt Artikel aus und sammelte sie. Einfach aus Interesse und Begeisterung. „Ich habe nie gedacht, dass ich daraus mal etwas machen kann.“

Irgendwann wurde seine Sammlung an Sprüchen, Redensarten, Sprichwörtern, Aphorismen und Weisheiten so umfangreich, dass er „einen ganzen Haufen“ hatte. „Ich habe mir gedacht, was soll ich damit machen? Wegschmeißen wollte ich sie nicht. Ich hatte ja schon so viel gesammelt.“ Schließlich kam ihm die Idee „das Ganze zu systematisieren“. Alexander Windholz legte eine große Kartei mit verschiedenen Stichwörtern an. Hinter jedem Stichwort platzierte er die passenden Ausschnitte und Notizen. Irgendwann war selbst die Kartei zu klein. 1988 kam ihm schließlich der Gedanke, seine Sammlung in einem Buch zu veröffentlichen. „Ich wollte es systematisieren wie in einem Wörterbuch – mit Stichwörtern und zu den Stichwörtern thematisch die Weisheiten.“ Alexander Windholz tippte die schönsten und originellsten Sätze mit der Schreibmaschine ab.

„Es war eine große Arbeit.“ 1990 schloss er das Manuskript ab. Über einen Freund fand er einen Verleger, der das Buch veröffentlichen wollte. „Er hatte sich schon vier oder fünf Tonnen Papier besorgt und wollte es drucken.“ Doch dann begannen die Preise zu steigen. Papier, Druckfarben und Arbeitskraft wurden immer teurer. Irgendwann musste der Verleger eingestehen: „Wir schaffen es nicht“. Das Buchprojekt war auf den letzten Metern gescheitert.

1992 änderte sich die Situation für Alexander Windholz jedoch grundlegend. Mit seiner Frau Valentina und seinen beiden Söhnen Sergej und Eugen verließ der 50-Jährige Kasachstan und kam als Spätaussiedler nach Deutschland. In einer Bamberger Spielothek fand der ehemalige Journalist eine Anstellung als Servicekraft. Neben Teilen seiner russischen Bibliothek hatte er auch sein Schreibmaschinen-Manuskript aus Alma-Ata mitgebracht. Alexander Windholz bot es mehreren Verlagen an. Doch die wollten das Buch nur auf einem elektronischen Datenträger. Alexander Windholz beschloss, dass seine russische Aphorismen- und Zitaten-Sammlung nie erscheinen würde. „Ich war damals gegen Computer.

Ich habe gesagt, das ist nichts mehr für mich, das schaffe ich nicht mehr.“ Eine Einstellung, die sich erst langsam durch einen jungen Spielotheken-Besucher änderte. Alexander Windholz unterhielt sich mit dem Wirtschaftsstudenten, der öfters zum Flippern kam und erzählte von seiner früheren Tätigkeit als Journalist. Im Lauf der Zeit freundeten sich die beiden an. Als der junge Mann von dem Buchprojekt erfuhr, redete er solange auf Alexander Windholz ein, sich einen Computer zu kaufen, bis dieser schließlich zustimmte. Das war 1998. Mit dem Computer tippte Alexander Windholz 600 Schreibmaschinen-Seiten ab. 2000 erschien schließlich sein erstes Buch mit den gesammelten russischen Aphorismen und Zitaten. Doch sein Interesse ging weiter.

Bereits nach der Ankunft in Deutschland hatte er begonnen fast nur noch deutsche Bücher zu lesen und deutsche Sätze und Sprüche zu sammeln. Aus seinen gesammelten Zitaten, Aphorismen, Sprichwörtern und Redewendungen entstand schließlich 2005 seine Zitaten- und Weisheitssammlung. 15.000 Zitate – unterteilt in 3.000 Stichwörter – sind in dem Buch vereint. Allein die Liste der zitierten Autoren umfasst 2.300 Namen, die Quellenangabe 3.000 literarische Werke und Artikel. Alexander Windholz ist ein Vielleser, aber kein sehr schneller Leser. „Ich lese nicht schnell. Ich spreche es immer innerlich aus.

Das ist ein Nachteil, aber auch ein Vorteil, weil man kriegt es durch und durch mit. Das bleibt besser im Gedächtnis.“ Seine Beschäftigung mit Texten hat Alexander Windholz auch zu seinem neusten Buch inspiriert. Es trägt den Titel „Schadenfreude entspringt aus dem Dachschaden – Gedankensplitter“. Auf 190 Seiten präsentiert der 70-Jährige seine eigenen Gedanken. „Wenn man die Texte von Autoren liest, entwickelt man eigene Gedanken oder ist gegenteiliger Ansicht. Immer, wenn mir so ein Einfall gekommen ist, habe ich ihn aufgeschrieben. Das war auch schon in Kasachstan so“, sagt Alexander Windholz. Aus diesem Grund hat er stets ein kleines, selbst gebasteltes Notizbüchlein mit einer Kugelschreibermine einstecken.

Eine Auswahl seiner skurrilsten und lustigsten Einfälle, aber auch nachdenkliche und ernste Gedanken hat er in seinem Buch versammelt. „Man verliebt sich in das Äußere eines Menschen, leben aber muss man mit seinem Inneren“ oder „Wenn das Leben nur ein Spiel ist, sind wir alle Spekulanten, weil wir nur gewinnen wollen“ sind Beispiele daraus. Auf Stichwörter hat Alexander Windholz in seinem jüngsten Buch verzichtet. „In einem Wörterbuch liest man nicht lange. Aber bei so einem Buch, denke ich mir, hätte der Leser mehr Lust weiter zu lesen“, sagt er. Dann blickt er auf die Pappschachtel mit seinen gesammelten Notizbüchlein, die er auf den Computer übertragen und dort zu seinem Buch verarbeitet hat. Auf die Frage warum er sein Buch nicht „Meine Gedanken“ genannt hat, schließlich ist es seine kreative Leistung, winkt Alexander Windholz bescheiden ab: „Ich bin kein großer Denker und kein großer Philosoph. Wenn ein Mensch einen schönen Satz für sich in meinem Buch findet, dann freut mich das sehr.“

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