Weit über die Grenzen der mittelfränkischen Großstadt hinaus hat sich die Tafelhalle, die ehemalige Schraubenfabrik des Tafelwerks, zu einem nicht mehr wegzudenkenden Kulturzentrum entwickelt. Vor allem die freie Tanz- und Theaterszene nutz die Tafelhalle als Spiel- und Probenort. Die programmatische Ausrichtung umfasst die Sparten Musik, Tanz und Theater. Aber auch Gastveranstaltungen, wie zum Beispiel die des Burgtheaters Nürnberg oder auch Festivals wie das Internationale Figurentheaterfestival oder die StummFilmMusikTage finden dort ihren Platz. Darüber hinaus ist die Tafelhalle Schauplatz zahlreicher Veranstaltungen, wie unter anderen der alljährlichen Verleihung des Preises der Stadt Nürnberg. Seit 1. April steht das Haus unter einer neuen Leitung. Friederike Engel, Theater-, Medien- und Literaturwissenschaftlerin und geborene Nürnbergerin übernahm das Zepter in einer mehr als schwierigen Zeit. Grund genug für uns, sie für ein Interview zu besuchen.
Friederike Engel: Ja, das ist mein offizieller Titel und ja, ich bin jetzt Angestellte im öffentlichen Dienst.
Friederike Engel: Per se denkt man ja erst einmal, dass sich das ausschließt oder zumindest ein kämpferisches Verhältnis miteinander eingeht. Tatsächlich ist das aber klar geregelt und auf das eigene Arbeiten hat das zumindest bei mir keinen Einfluss. Persönlich tut so ein Vertrag natürlich gut, man fühlt sich geschützt und hat für die tägliche Arbeit gewisse Richtlinien, die einem auch weiterhelfen. Und die Verträge im öffentlichen Dienst lassen auch einen gewissen gestalterischen Freiraum zu. Insofern sehe ich das eher positiv.
Friederike Engel: Nein, der Vertrag ist unbefristet. Die ersten sechs Monate sind als Probezeit definiert, danach ist der Vertrag unbefristet. Das ist im Kulturbereich etwas sehr Besonderes und hat mich schon gefreut. Druck, der durch befristete Verträge entsteht, halte ich nicht für förderlich im kreativen Prozess. Mit der Sicherheit eines unbefristeten Vertrags kann man freier sein und auch mal Projekte angehen, die eher längerfristiger Natur sind. Als ich den Vertrag gesehen habe wurde mir klar, dass so etwas wie unbefristete Arbeitsverhältnisse in meiner Gedankenwelt gar nicht vorkamen. Bisher habe ich immer in 1-2-Jahresfristen gedacht, daher bedeutet das nun auch für mich eine gewisse gedankliche Umstellung.
Friederike Engel: Ich bin gebürtige Nürnbergerin und habe, nach meinem bisherigen Berufsleben im Norden Deutschlands (Hamburg und Münster), hier am Nürnberger Staatstheater gearbeitet. Da meine Familie und mein Lebensgefährte in Nürnberg leben, wollte ich unbedingt wieder hier her. Die Tafelhalle ist einfach ein Ort, den ich schon seit meiner Kindheit und Jugend kenne und den ich immer sehr gerne besucht habe. Ein absoluter Möglichkeitsort – mit dem ich viele herausragende Theatererlebnisse verbinde. Als ich die Ausschreibung gesehen habe, hat mich das natürlich sehr gereizt. Die Position macht es möglich, weiter hier in Nürnberg arbeiten zu können und dann auch noch in dem Berufsfeld, für das ich mich mit Haut und Haaren entschieden habe und für das ich ausgebildet bin. Da kommt schon einiges zusammen. Durchgesetzt habe ich mich dann wahrscheinlich, weil ich eine Kombination aus offener, freundlicher Menschenführung, aber auch Ideen und ein Gespür für das Haus, also die Tafelhalle, vorzuweisen hatte. Berufserfahrung war ja auch schon reichlich vorhanden.
Friederike Engel: Das war zwar in den Gesprächen schon Thema, aber ich musste jetzt keinen Spielplan vorlegen. Bei dem Job handelt es sich ja nicht um eine Intendanz, wie bei einem Stadt- oder Staatstheater. Hier bei der Tafelhalle macht man nicht „tabula rasa“ und baut alles von neuem auf, sondern hier kommt man in eine gewachsene Institution, die sich in einem Netz aus Kooperationen mit festen Partnern befindet, das natürlich fortbesteht. Dieses Netz muss man erkennen, dafür ein Gespür entwickeln, Schwachstellen identifizieren und Neues in dieses bestehende Netz integrieren und es ausweiten. Auch die Position der Tafelhalle in den Gesamtrahmen „Stadt Nürnberg“ muss gepflegt werden sowie ihr Platz im KunstKulturQuartier. Ich komme als Einzelperson in eine bestehende Struktur mit teils langjährigen Mitarbeiter*innen, da geht es mehr um Integration und gemeinsames Entwickeln von Visionen.
Friederike Engel: Ja, ich habe anfangs sehr viele Gespräche geführt, mit meinen Mitarbeiter*innen, Künstler*innen und Projektpartnern, also den anderen Veranstaltern und Institutionen, mit denen wir kooperieren. Diese Gespräche werde ich auch fortführen, denn der kontinuierliche Austausch ist sehr wichtig für mich. Dann will ich auch unbedingt mit dem Publikum in Kontakt treten, um dort Erkenntnisse zu gewinnen. Das erweist sich leider in Zeiten von COVID-19 als sehr schwierig. Dass auf längere Sicht an den Strukturen gearbeitet werden muss, ist aber schon deutlich geworden. Mein Ziel hier ist es, eine gewisse Nachhaltigkeit bei den Eigenproduktionen zu erreichen. Die sind sehr personal-, zeit- und mittelintensiv und ich finde, dass man diese eingesetzten Ressourcen länger auf der Bühne sehen sollte, Produktionen also öfter gezeigt werden und künstlerische Prozesse sichtbarer werden sollten. Dafür müssen neue Formate gefunden werden. Als ich am 1. April begonnen habe, stand die Spielzeit 2020/21 schon nahezu komplett und ich war damit an getroffene Vereinbarungen gebunden. Deswegen wird diese Saison für mich auf ganz neue, andere Weise sehr wichtig. Inspiriert von einer Produktion, einer interaktiven Stadtentdeckung, des Brachland-Ensembles (Premiere im Januar 2021) ist die Leitfrage der Spielzeit „Wer sind wir denn?“ entstanden, die ich nach innen und außen richten möchte und die sowohl die Corona-Situation, als auch unseren Neuanfang als Team Tafelhalle reflektieren soll.
Friederike Engel: Es ist eine Mischung aus allem. Ich bin schon in gewisser Weise künstlerisch tätig, da ich selbst Visionen von Formaten, von künstlerischen Konstellationen brauche, die ich zusammenbringen möchte oder auch von thematischen Aspekten im Spielplan, die mir im Zusammenklang etwas erzählen und die ich deshalb aufeinander abstimmen möchte. Aber auch Organisation, Repräsentation und ein bisschen Politik, wie zum Beispiel in der Kommunikation mit anderen Häusern werden Teil meiner Arbeit sein und natürlich die verwalterische Seite, die mit Verträgen, Budgetverwaltung und ähnlichen Dingen gefüllt ist.
Friederike Engel: Es kommen viele Anfragen aus der freien Szene, weil dort der Bedarf an Räumen, Technik und Personal einfach sehr groß und für viele nicht leistbar ist. Insofern ist das Angebot Tafelhalle schon sehr attraktiv, aber auch nicht für jeden. Manche wollen gar keinen Bühnenraum wie ihn die Tafelhalle anbietet, weil unser Raum sehr groß ist somit auch gefüllt werden muss. Für kleinere Produktionen gibt es sicherlich auch geeignetere Räumlichkeiten, wie beispielsweise das Künstlerhaus im KunstKulturQuartier. Die Begehrlichkeiten sind aber da und wir müssen sorgfältig auswählen, was wir auf die Bühne bringen. Es gilt auf der einen Seite Beständigkeit zu pflegen und langfristige Entwicklung zu ermöglichen, auf der anderen Seite Neues zu injizieren.
Friederike Engel: Ja, im Prinzip schon. Wenn man hier koproduziert, dann hat man eben das spielfertige Haus, das Personal und eine bestimmte Bezuschussung von uns. Grundsätzlich reicht dies aber noch nicht aus und es müssen noch zusätzliche Gelder von außen dazu kommen. Insofern bieten wir nicht ein All-inclusive-Paket, aber wir stellen schon ziemlich viel zur Verfügung. Bei anderen Kooperationen, wie zum Beispiel mit dem Ensemble Kontraste, einigt man sich auf ein Beteiligungsmodell an den Eintrittseinnahmen. Da gibt es verschiedene Arten des Kooperierens.
Friederike Engel: Wir arbeiten eigentlich nicht mit einem festgelegten Budget. Wir schätzen ab was die Veranstaltungen (plus alles was zu ihrer Durchführung nötig ist) pro Jahr kosten und was durch sie eingenommen werden kann. Im Idealfall hält sich das die Waage. Unterdeckungen bei Veranstaltungen müssen bestenfalls durch Mehreinnahmen bei anderen Veranstaltungen aufgewogen werden.
Friederike Engel: Wir haben uns kürzlich die Zahlen von 2012 bis 2019 einmal angeschaut und festgestellt, dass die Anzahl der Eigenproduktionen jährlich zugenommen hat. Von Anfangs vier oder fünf sind wir mittlerweile bei zehn (2019) angekommen. Das ist ein schwieriger Punkt, weil Eigenproduktionen für die freie Szene wichtig sind, Spaß machen, aber wie ich es bereits gesagt habe, viel Zeit, Personal und Raum verlangen, was wir eigentlich nicht in ausreichendem Maße haben. Wir brauchen zum Beispiel dringend eine adäquate Probebühne. Zehn Eigenproduktionen sind kaum leistbar. Deshalb schauen wir gerade gemeinsam mit der technischen Mannschaft darauf, was wir mit unserem Personal und unseren Räumlichkeiten auf die Beine stellen können. Ich denke, es wird sich so auf sechs bis sieben Eigenproduktionen pro Spielzeit einpendeln und die Anzahl der Gastspiele bleibt wohl unverändert. Aber auch da arbeite ich daran, eine bessere Balance in der Verteilung zu finden. Jedes Gastspiel beschränkt natürlich die Möglichkeiten für die freie Szene zu proben und da würde ich gerne mehr anbieten können. Umgekehrt darf man nicht vergessen, dass die Gastspiele bzw. die damit verbundenen Einnahmen mitunter die Arbeit der freien Szene erst möglich machen.
Friederike Engel: Meine Erfahrungen mit COVID-19 waren sehr seltsam, da ich mitten im Lockdown meine neue Stelle angetreten habe. Man beginnt also voller Elan und Ideen und wird erst einmal durch die Pandemie ausgebremst. Die ersten Kontakte zu meinen neuen Kollegen haben ausschließlich über Zoom stattgefunden, das war schon etwas schräg. Aber auch erstaunlich, wie schnell man über diese Kanäle miteinander ins Gespräch kommen kann. Gott sei Dank hat die Stadt recht schnell ein System entwickelt, das auch Präsenz im Büro zuließ. Letztlich galt es, trotz aller widrigen Umständen, zu planen und die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. In der Katharinenruine hat das mit einem sehr spontanen, lokalen, mehrwöchigen Open-Air Programm sehr gut funktioniert – obwohl wir erst am 15. Juni wirklich wussten, dass wir am 18. Juni auch wirklich loslegen können. Man muss sich daran gewöhnen, Dinge zu veröffentlichen, ohne zu wissen, ob dann schließlich alles so umsetzbar sein wird. So haben wir zum Beispiel auch das Programm für September/Oktober gedruckt obwohl wir ahnen, dass die ein oder andere Veranstaltung vielleicht nicht stattfinden wird.
Friederike Engel: Beim Open-Air war das unserer Erfahrung nach eigentlich kein Problem, obwohl wir bei der Vermarktung auch ein wenig Anlaufzeit gebraucht haben – alles digital, daran müssen sich die Zuschauer erst gewöhnen. Aber Innenraumveranstaltungen sind da eine andere Sache. Da muss man dem Publikum schon ein sehr starkes Gefühl von Sicherheit vermitteln, indem man das Hygienekonzept stark macht. Man merkt es ja an sich selbst, dass man sich draußen wohler und sicherer fühlt als mit anderen Menschen in einem Innenraum. Diese Gefühle muss man bestenfalls versuchen spielerisch aufzugreifen und was Spannendes daraus machen. Wir brauchen aber dringend wenigstens eine Aussicht auf stärkere Normalisierung, sowohl für die Künstler als auch für das Publikum.
Friederike Engel: Das Herbstprogramm könnten wir auch vor weniger Leuten zeigen, was die Produktionen noch unwirtschaftlicher werden lässt, als sie es ohnehin derzeit schon sind. Wichtig ist aber, dass wir die Versprechen, die wir gegenüber der freien Szene eingegangen sind, so gut wie möglich halten können. Wenn es im Umfeld der Tafelhalle dann tatsächlich zu Infektionen kommen sollte und diese uns in eine Quarantäne zwingen würden, dann sprengt uns das sicherlich den Ablauf. Ins Digitale ausweichen können wir nur bedingt, dazu braucht es mehr und andere Expertise. Einfach nur streamen um des Streamens Willen, das ist für uns kein sinnvoller Ansatz. Vieles was auf der Bühne passiert, lässt sich nicht einfach ins Netz übertragen.
Friederike Engel: Ja, in gewisser Weise ist dies so. Ganz einfach, weil so viele Bestandteile des Tagesgeschäftes immer wieder neu durchdacht werden mussten. Man arbeitet recht viel für den Papierkorb, weil sich oftmals die Rahmenbedingungen ändern. Auch den sogenannten „Plan B“ muss man immer mitdenken und -anpassen. Da würde ich mir eine Aussicht wünschen, um die Energie wieder voll aufdrehen zu können.
Friederike Engel: Ich bin erfolgreich, wenn die Zuschauer*innen die Tafelhalle als einen Ort ansehen, den sie gerne besuchen, von dem sie sich gerne überraschen lassen, an dem sie einer offenen Kommunikation begegnen und an dem sie etwas Außergewöhnliches, Einschneidendes, ja vielleicht sogar Unvergessliches erleben können. Das bedeutet nicht zwingend Erfolg an der Kasse, obwohl ich gegen den auch nichts habe. Und: wenn die Künstler*innen zu guten Bedingungen – frei – arbeiten können.
Friederike Engel: Tatsächlich kann ich hier die berufliche und die private Person nur schwer trennen. Wenn ich mir irgendwo eine Vorstellung anschaue, dann denke ich sofort darüber nach, wie und ob man das auch am eigenen Haus zeigen könnte. Ob es mich privat anspricht, fällt dann schnell hinten herunter. Prinzipiell bin ich aber in der Oper genauso anzutreffen, wie bei Performances im öffentlichen Raum, bei Tanzabenden, Lesungen und Ausstellungen. Das ganze Spektrum finde ich großartig. Wenig bin ich auf Pop-, oder Rockkonzerten, das ist allerdings familiär bedingt. Grundsätzlich versuche ich mir eine gewisse Neugier, gerade auch gegenüber neuen Formaten zu erhalten.
Frau Engel, wir bedanken uns sehr für das offene Gespräch!