Nun war es also endlich so weit und man muss anerkennen, dass die Idee, die der ersten Inszenierung nach der Wiedereröffnung des Bayreuther barocken Opernhauses zugrunde lag, auf geradezu bestechende Weise überzeugte. Regisseur Balázs Kovalik begnügte sich nämlich nicht mit der getreuen Darstellung eines historischen Stoffes, sondern verquickte die Geschichte aus dem Persien des Großkönigs Xerxes mit der Vita jener Königstochter, der die Bayreuther ihr einmaliges Opernhaus-Juwel verdanken: Wilhelmine von Bayreuth, Tochter des preußischen Soldatenkönigs und Schwester Friedrichs des Großen. Genauer gesagt befand sich diese bewegte Geschichte sogar im Vordergrund, ja war wie eine Art Folie über den Opernstoff gelegt, der allerdings wegen der Musik stets präsent sein musste.
Möglich war das aufgrund einer Eigenheit barocker Opernpraxis, nämlich der Bedeutung der Affekte. Nicht die genaue Entsprechung zweier Geschichten zählt, sondern das Vorkommen gleicher Affekte wie Trauer, Stolz, Eifersucht, Wut etc., die mit musikalisch formelhaften und dem barocken Opernpublikum sattsam bekannten musikalischen Mitteln dargestellt wurden. Diese Kongruenz herzustellen gelang dem Regisseur auf eindrucksvolle Weise, obwohl es natürlich notwendig war, Kürzungen vorzunehmen, um das Drama zielgenau und zeitgleich zu Ende zu bringen. Ein fatales Ende übrigens, denn wie in der Barockoper verurteilt auch im wahren Leben der Wilhelmine ein König einen Nahegestellten zum Tode. Bei Hasse ist es der Königssohn, in der Welt des Soldatenkönigs ist es der enge Freund Friedrichs und Wilhelmines, der tragische Katte.
Die große Überraschung des Inaugurationsabends ist der Auftritt der schon fast legendären Sänger-Heroine Anja Silja, die in den sechziger Jahren bei den Festspielen auftrat und nun, knapp 80-jährig, wieder nach Bayreuth zurückfand. Sie spielt mit einer beeindruckenden Mischung aus Stoizismus und Würde die Wilhelmine, ihre Lebensgeschichte erzählend und erleidend. Und so müssen auch ihre Mutter und der ständig bedrohlich präsente Soldatenkönig die persische Geschichte doubeln. Das ist so gut gemacht, dass die Affekte immer passen, obschon man zugeben muss, dass die eigentlich zugrunde liegende altpersische Geschichte fast unterbelichtet ist und wohl nur gegenwärtiger hätte sein können, wenn die italienischen Arientexte projiziert (oder im Textbuch publiziert) worden wären.
Musikalisch ist die Premierenaufführung bei Michael Hofstetter und seiner Hofkapelle München in besten Händen. Da diese Inszenierung auf der Zusammenarbeit zwischen der Theaterakademie August Everding und der Hochschule für Musik und Theater München (bzw. dessen Master-Studiengang Musiktheater/Operngesang) beruht, ist verständlich, dass kein auswärtiges Sangespersonal mit Glamourfaktor eingesetzt wurde, sondern junge Nachwuchssänger und –sängerinnen. Die allerdings überzeugten durchwegs, auch wenn die Beweglichkeit mancher Stimmen noch nicht den höchsten Perfektionsgrad erreicht hat. Fazit: die Bayerische Schlösserverwaltung hat alles getan, um die lang ersehnte Wiedereröffnung des Markgräflichen Opernhauses zu einem ebenso festlichen wie gehaltvollen Ereignis zu machen. Nun bleibt zu hoffen, dass dieses prachtvolle Haus nicht zum Museum erstarrt, sondern auf ähnlichem Niveau genutzt und gefüllt wird.
Hinweis: Weitere Vorstellungen der „Artaserse“ finden im Cuvilliéstheater München statt:
Fr 11.05.2018, 19.30 Uhr
So 13.05.2018, 19.30 Uhr
Di 15.05.2018, 19.30 Uhr
Fotocredits:
Markgräfliches Opernhaus Bayreuth nach der Restaurierung, Zuschauerraum, Blick auf die Fürstenloge, die Ränge und die Decke, Foto © Bayerische Schlösserverwaltung