Eine Theater-Oase der Ruhe und Langsamkeit
Martin Neubauers Bamberger Brentano-Theater
veröffentlicht am 30.09.2014 | Lesezeit: ca. 5 Min.
Bamberg, Gartenstraße 7. Hier hat seit zwei Jahrzenten, leicht versteckt, an einem kleinen Hang gelegen, denn es geht bergauf, wenige Stufen, durch einen Garten, „so weise angelegt mit monatlichen Blumen, / Daß er vom März bis zum Oktober blüht“, hier also hat das Brentano-Theater seit 1993 sein Zuhause. „Es sollte ein kleiner Ort für leise Töne sein. Ein Ort der Romantik“, sagt Hausherr Martin Neubauer. Und dass wir eben (die Verse mit den Blumen und den Monaten) Brecht zitierten, nicht Clemens Brentano, den Namensgeber der Bühne, das sieht uns der wahrhaft belesene Anfangsfünfziger gewiss gern nach.
Denn Brecht ist ihm durchaus recht, auch wenn sein Herz am stärksten für Brentano schlägt (der in Aschaffenburg, wo er 1842 verstarb, begraben liegt). Was Brentano so besonders mache, das sei die Musikalität der Sprache, sagt Neubauer und zitiert Nietzsche: „Von allen deutschen Dichtern hat Brentano die größte Musikalität im Leibe.“ Eine Musikalität übrigens, der man in der Gartenstraße aufs Schönste nachlauschen kann. Im intimen Rahmen von nur 32 Zuschauern, denn mehr finden keinen Platz, lässt sich Sprache zart unpathetisch beleben. Da sei manches möglich, sagt Neubauer, „was auf großen Bühnen vielleicht als effektarm untergehen würde“.
Den Spielplan bestimmen seit jetzt 21 Jahren Clemens Brentano und sein Werk. Nicht, weil man es sich leicht merken kann, sondern weil Brentano, Jahrgang 1778, dann Geburtstag hat, eröffnet das Haus in der Gartenstraße grundsätzlich an einem 9. September. Zu Brentano und den Romantikern gesellen sich aber auch vergessene, einstmals beliebte Autoren, die heute kaum mehr gespielt oder gar gänzlich verschwunden sind. Eduard von Keyserling, Ludwig Fulda, Elsa Bernstein, Walter Hasenclever, Otto Julius Bierbaum, Maurice Maeterlinck sind nur einige dieser Autoren, deren Schaffen Neubauer sein Augenmerk schenkt.
Nach dem Abitur am Kaiser-Heinrich-Gymnasium besuchte Neubauer die „Neue Münchner Schauspielschule“, wo es „zu lernen und zu verkraften galt, dass die Schauspielerei zunächst einmal ein knochenhartes Handwerk ist, und nichts, was man mal so flüchtig pseudo-genialisch dahinschludert“ sagt einer, der es wissen muss. Nach fünf Jahren in der offiziellen Theaterlandschaft, mit festen Engagements in Hannover und Essen, mit einiger Rundfunk- und Fernsehtätigkeit, war dem Bamberger klar, dass er „diese Welt, in der viel Kraft mit Konflikten, Rivalitäten und Eitelkeiten aufgezehrt wird“, für sein Leben nicht wollte. Gleichwohl fügt Neubauer an: „Was ich nun zu treiben versuche, ist natürlich nicht besser oder schlechter, aber etwas total anderes.“
Die bewegendsten künstlerischen Erfahrungen seines bisherigen Lebens waren die „Begegnungen und vergönnte Zusammenarbeit mit dem wohl größten Rezitator seiner Generation“, Gert Westphal, und mit dem Jahrhundertsänger Dietrich Fischer-Dieskau. Beide, weiß Neubauer zu berichten, glühten in Innersten unermüdlich für ihre Dichter, ihre Komponisten, und keinesfalls für ihr Interpreten-Ego. Deshalb seien sie so groß gewesen, nie gleich, nie langweilig.
Dem wollte Neubauer zumindest nachstreben – ein brennender Vermittler der Poeten und ihrer Inhalte sein. So erarbeitete er literarische Soloprogramme, fuhr damit durch die Städte, und gründete 1993 das kleine Brentano-Theater. Statt fester, vorgegebener Kartenpreise heißt es in der Gartenstraße „Eintritt nach Gefallen“. Warum er sich diesem Risiko aussetze? Nun, die Vermarktung der Kultur sei eine Hauptursache ihrer Veräußerlichung und Verarmung. Also wolle er lieber im Kleinen eine noch so unzeitgemäß erscheinende Utopie zu leben versuchen. „Wo es nicht um etwas geht, das größer ist als das Ich des Darstellenden, da ist die Schauspielerei doch der langweiligste und hohlste Beruf der Welt“, sagt Neubauer.
In der Spielzeit 2014/2015 steht allerlei Neues an. So darf Neubauer, der immer auf der Suche nach neuen, gern auch außergewöhnlichen Spielstätten ist, den Galeriesaal auf der Altenburg als Bühne nutzen. Es war der Altenburgverein selbst, von dem diese Anregung kam. Gemeinsam mit Victoria Heinz, mit dem Tubisten Heiko Triebener und dem wunderbaren Berganza-Quartett der Bamberger Symphoniker hat Neubauer unter dem Motto „Bamberger Burgtheater“ ein Programm entworfen, das ganz auf die Altenburg als Projektionsfläche romantischer Burgsehnsüchte zugeschnitten ist.
Dann folgt in der Gartenstraße die Zusammenarbeit mit bewährten, aber auch neuen Kräften: Heike Bauer-Banzhaf, Andreas Ulich und Beatrix Doderer, die viele Jahre an den Münchner Kammerspielen und am Residenztheater gespielt hat. Natürlich wolle man auch unterhalten. „Aber wichtiger ist es uns“, bringt Neubauer sein und seiner Mitspieler Anliegen auf den Punkt, „einen kleinen Ort für Fragen, Sehnsüchte und Träume anzubieten, auch eine bescheidene Theater-Oase der Ruhe und Langsamkeit in einer immer schneller und lauter werdenden Zeit.“ Es sei wunderbar, sich in diesem Boot, dank Kollegen und treuem Publikum, nicht allein zu wissen.
Copyright Foto: Brentano-Theater