Krimis gibt es ja wie Sand am Meer. Dort lesen sie sich aktuell auch am entspanntesten. Die besten Krimis aber findet man nicht am Strand, sondern in den Gemäldesammlungen dieser Welt. So zum Beispiel im Saal 56 der National Gallery in London. Dort hängt eines der wohl bekanntesten und rätselhaftesten Werke der Kunstgeschichte: „Die Arnolfini-Hochzeit“ von Jan van Eyck. Gemalt im Jahre 1434, ist dieses Gemälde in seiner Ikonographie und Ausführung einzigartig. Das Sujet wirft seitdem Fragen auf, viele Kunsthistoriker haben sich an dem seltsam abwesend wirkenden Paar, das sich in seinem Schlafzimmer so zaghaft die Hände reicht, abgearbeitet, ohne je zu einem abschließenden Ergebnis gekommen zu sein.
Jean-Philippe Postel, ein Arzt im Ruhestand, tut es nun seinem Kollegen Sir Arthur Conan Doyle gleich und versucht, das Rätsel auf die Sherlock Holmes-Art zu lösen – der, wie wir wissen, seinen treuen Kollegen Watson immer und immer wieder dazu ermahnt, einfach nur genauer hinzusehen und das Offensichtliche zu erkennen. Postels Lösung zum „Fall Arnolfini“ ist in einem jüngst erschienenen, 174 Seiten leichten Buch im Imprint Oktaven (Verlag Freies Geistesleben) erschienen.
Das Erzählen liegt dem pensionierten Arzt offenbar im Blut, das genaue Hinsehen auch. Schritt für Schritt führt er den Leser an das Thema heran, fasst anhand von Belegen gängige Interpretationsansätze zusammen und verweist auf die unterschiedlichen Provenienzen. Klingt erstmal trocken, ist es aber nicht, weil er in den bisherigen Annahmen und Forschungsergebnissen immer wieder auf Schwachstellen stößt, die ihn stutzig machen. Handelt es sich bei dem dargestellten Paar womöglich gar nicht um den italienischen Kaufmann Giovanni Arnolfini und eine seiner Gattinnen, so wie bisher angenommen? Mittels anderer, weniger populärer zeitgenössischer Quellen, auf die Postel teils zufällig stieß, und einer detaillierten Spurensuche im Bild, kann man sich auch als Leser des Eindrucks nicht erwehren, dass an der aktuell gängigen Deutungstheorie etwas nicht stimmt und – vielleicht sogar vor einem Rätsel resignierend – etwas nicht zu Ende gedacht wurde. Spannungsreich mischt Postel die verstaubte Kunstgeschichte auf und stößt bei seiner Lösungssuche auf einen Geist aus dem Jenseits, dessen Herleitungsversuche einem Krimi in nichts nachstehen.
Jean-Philippe Postel: Der Fall Arnolfini. Auf Spurensuche in einem Gemälde von Jan van Eyck, Oktaven, Deutsch, 174 Seiten, 22 €, ISBN 978-3-7725-3003-6