Von Zeit zu Zeit erscheinen Fotobücher, die berühren. Oftmals sind es nicht die dicken, opulenten Bände mit vielen hundert Seiten, die auf den Kaffeetischen eine gute Figur machen. Im Gegenteil: Es braucht oft nicht mehr als ein paar Dutzend Seiten, um eine gute Geschichte zu erzählen.
Giulio Rimondis Werk „Italiana“ ist so ein Buch. Rimondi ist ein Fotograf, der in seiner visuellen Sprache zwischen Abbild und Bild schwankt. Er ist ein Dokumentar seines Heimatlandes Italien, das er von Norden nach Süden bereist hat, um Bilder zu finden, die keinen dokumentarischen Anspruch haben. In ihnen ist das Flüchtige, Dunkle, Momenthafte, Geheimnisvolle, Instabile – in ihnen ist die Einsamkeit. Wir sehen Chiffren, symbolhafte Bilder für ein Land, das sich verändert hat. Die Stichworte, der Hintergrund für diesen fotografischen Sound: sinkendes Wirtschaftswachstum. Instabile Politik. Entkräftung. Krise.
Doch nicht alles ist hier Dunkel. Es gibt Lichtblicke. Immer wieder mischt sich ein empathischer Humanismus in diese Bilder. Rimondi trifft Menschen wie Rosario oder Chiko, fotografiert in stillen Gegenden wie Irpinien und an vergessenen Orten wie Africo in Kalabrien oder Aliano in Basilikata. Wir sehen düstere Bilder aus dem Aspromonte-Gebirge in Südkalabrien, wo in manchen Dörfern noch Grekaniko gesprochen wird, ein aus dem Alt- und Mittelgriechischen hervorgegangener Dialekt.
Dem 1984 geborenen Fotografen gelingen Fotografien eines abseitigen Italiens, einem Italien der dunklen Nebenstraßen, der schmutzigen Slums, der öden Provinz. Landschaftsbilder stehen neben Details, Interieurs neben Porträts. Manches ist verschwommen, anderes zeigt er uns ganz scharf und konturiert. Alles hat dieselbe Tiefe. Dieselbe Bedeutung. „Man braucht ein Heimatland, wenn auch nur der Freude wegen, es zu verlassen“, schreibt der große italienische Autor Cesare Pavese. Diese Zeilen sind dem Buch vorangestellt.
Christian Caujolle und Giulio Rimondi (Hrsg.): Italiana. Kehrer Verlag Heidelberg, Englisch, 96 Seiten, € 35, ISBN: 978-3-86828-718-9