
Abgeschiedene Ateliers, einsame Museumsräume, konzentrierte Stille – vielleicht ist sie in den Köpfen vieler Menschen immer noch die entrückteste Kunstsparte: die bildende Kunst. Gleichzeitig brechen Kunstevents wie beispielsweise die Biennale Arte in Venedig oder die Documenta in Kassel regelmäßig Besuchendenrekorde. Die bildende Kunst ist eine Sphäre der krassen Gegensätze zwischen Vereinzelung und Masse, Künstlerexistenzen an der Armutsgrenze und Auktionen, in denen Werke im Wert von Millionen unter den Hammer kommen. Wie in der Welt der bildenden Kunst gearbeitet wird, wo sich Perspektiven verändern, das lässt sich zum einen im Gespräch mit den Künstler:innen erkennen, zum anderen lohnt sich auch ein Blick auf diejenigen, die die Kunst oft überhaupt erst sichtbarmachen, die Kuratoren. Generationenkonflikte? Machtgefälle? Zukunftsängste? Für diesen Artikel wurden jeweils zwei Blickwinkel von jung und alt einander gegenübergestellt.
Künstlerin sein damals und heute
Die familiäre Ausgangssituation könnte für die beiden Malerinnen kaum unterschiedlicher gewesen sein. Brigitta Heyduck wird in Breslau/Schlesien geboren. Ihre Eltern haben nichts mit der Kunstwelt zu tun. Sie beginnt früh damit, alles Mögliche zu malen, was, wie sie selbst betont, ja erst einmal nichts Besonderes sei: „Alle Kinder malen und sie malen schön, bis die Lehrer dazukommen und alles vermasseln“, stellt sie schmunzelnd fest. Ihr Patenonkel, selbst Professor für Malerei in Kassel, wird zu ihrem ersten Mentor. Immer wieder zeigt sie ihm Arbeiten, sucht seinen Rat, bis er sie schließlich dazu ermutigt, sich an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg zu bewerben. Sie wird angenommen und beginnt als erste Frau ihr Studium: „Das war schon hart. Meine Eltern verlangten, dass ich etwas Handfestes lerne und entzogen mir die Unterstützung. Glücklicherweise gab es das Honnefer Modell, eine Vorgängerversion des heutigen BAföG, das mir das Studium ermöglichte. Ich hatte ein winziges Zimmer in einem Turm der Nürnberger Stadtmauer – dem heutigen Krakauer Haus. Heizen konnte man da nicht wirklich und die Toilette war ganz unten im Erdgeschoss. Ich musste mich immer in der Druckerei der Akademie aufwärmen und habe dann auch mit Druckgrafiken meine Karriere gestartet.“ Leonora Prugger (*1995) stammt aus Südtirol. Ihr Vater ist Bildhauer, was das Atelier von Kindheit an für sie zum vertrauten Ort macht. Mit 13 Jahren besucht sie ein Kunstgymnasium: „Da lernten wir Modellieren, Zeichnen und vieles mehr. Das hat mir Spaß gemacht und mich darin bestärkt, mich für ein Kunststudium an der Akademie in Nürnberg zu bewerben. Meine Familie hat mich dabei immer unterstützt.“ 2021 schließt sie ihr Studium ab. Aber wie kommt man nach der Ausbildung tatsächlich ins Arbeiten als Künstlerin? Im Fall von Brigitta Heyduck geht es direkt los. Es ist ihr Professor für Druckgrafik, der ihr einen Weg in die erfolgreiche Freiberuflichkeit aufzeigt: „Ich habe ja zusammen mit Mathias Prechtl bei Prof. Dr. Krämer in der Druckerei gearbeitet. Das war kein lockeres Vorsichhinstudieren, Krämer wollte schon immer, dass da was herauskommt und aus uns was wird. Und so hat er mir eines Tages gesagt: ‚Mach doch mal ein paar Zeichnungen von der Stadt. Da gibt es ja nur scheußliches Zeug auf den Lebkuchenbüchsen.‘ Also bin ich durch Nürnbergs Altstadt gezogen, habe gezeichnet und heraus kam eine Mappe mit 12 Radierungen und einem Vorwort von niemand geringerem als Herrmann Glaser.“ Während Brigitta Heyduck mit der Unterstützung ihres Professors und einer guten Prise Unbedarftheit der Einstieg in die freiberufliche Laufbahn fast spielerisch gelingt, beschreibt die junge Kollegin für sich eine andere Situation: „Es ist hart und aus meinem Jahrgang sind nur wenige dabeigeblieben. Man bekommt von der Akademie kaum Unterstützung, wird während des Studiums nicht gut auf ein freischaffendes Berufsleben vorbereitet und als Absolventin kaum gefördert. Meine Professorin war für mich schon eine Art Leitfigur. Und sie hat uns schon auch mal für das ein oder andere Projekt vorgeschlagen, aber in anderen kulturellen Bereichen sieht Mentoring trotzdem anders aus. In der bildenden Kunst regiert das Einzelkämpfertum.“
Einsam im Terpentinrausch
Sowohl Brigitta Heyduck als auch Leonora Prugger sind Malerinnen. Während Heiduck von der Druckgrafik zum Malen in Öl kam und auch immer wieder mit Zeichnungen und Aquarellen arbeitet, fokussiert sich Leonora Prugger zumindest jetzt, am Anfang ihrer Karriere, ganz auf die Ölmalerei. Beide Künstlerinnen zeichnen sich durch einen eher gegenständlichen Zugang aus mit jeweils sehr unterschiedlichen Formen der Abstraktion. Bei Britta Heyduck fußt diese vor allem auf einer intensiven, ungewöhnlichen Farbgebung und auch die gewählten Ausschnitte verfremden das realistische Bild häufig. Bei Leonora Prugger entsteht eine fast surrealistische Überhöhung, die vor allem in der Konfrontation ungewöhnlicher Gegenstände miteinander und verzerrter Perspektiven wurzelt. Beide Künstlerinnen verbringen sehr viel Zeit allein im Atelier. „Am schönsten ist es immer, wenn ich in einen Malfluss komme, in dem ich ganz die Zeit vergesse“, schwärmt Leonora Prugger. „Aber leider ist das nicht andauernd der Fall. Manchmal fühlt man sich auch einsam im Terpentinrausch. Aber dann gehören ja auf der anderen Seite auch Ausstellungsbesuche und Netzwerken zum Arbeitsalltag dazu.“ Beide Künstlerinnen beschreiben, dass sie kollegiale Kontakte vor allem zu Weggefährt:innen aus der eigenen Generation pflegen: „Ich bin schon lange in der Künstlergruppe der Kreis. Hier trifft man sich gelegentlich und tauscht sich aus, gibt sich den ein oder anderen Ratschlag. Aber man muss mit diesen Ratschlägen auch aufpassen, weil insgesamt die Ellenbogenmentalität regiert und man meist vor allem Ratschläge von Männern bekommt, die sich allesamt verkannt fühlen,“ beschreibt Brigitta Heiduck schmunzelnd. „Ich habe mein Atelier in den TillyStudios und bin hauptsächlich mit Kolleg*innen aus meinem Alter in Kontakt. Ich suche oft auch bewusst das Gespräch mit anderen Frauen, weil mich ihre Perspektive auf die Vereinbarkeit von freiberuflichem Kunstschaffen und Familie interessiert – eine wirklich schwierige Frage. Wenn ich dann mal zu Hause in Südtirol bin, fällt mir auf, dass es im Umkreis von meinem Vater wirklich nur männliche Künstler über 60 gibt. Keine einzige Frau.“ Brigitta Heyduck ist in dieser Generation eben wirklich noch eine Ausnahme. Sie bedauert es ein wenig, dass der Austausch mit den jüngeren Generationen fehlt: „Ich habe das Gefühl, wir waren den Älteren gegenüber damals aufgeschlossener. Irgendwie Mauern die Jungen heute sehr.“ Leonora Prugger hat eine gegenteilige Wahrnehmung: „Es passiert ja einfach auch selten, dass einen ein älterer Kollege oder Kollegin mal unter die Fittiche nimmt und einem hilft, ein bisschen reinzukommen, obwohl sich das manche durchaus leisten könnten. Meist werden wir Jungen, so mein Eindruck, nur als die wahrgenommen, die die Arbeit wegnehmen. Ich habe da ein ganz spannendes Beispiel aus meiner Heimat. Da gibt es traditionell die sogenannte Fassmalerei. Und diese Kunst ist inzwischen fast vom Aussterben bedroht, weil es keinen Nachwuchs gibt. Irgendwann hatte die Politik entschieden, Kampagnen für diesen Beruf zu starten und Kurse anzubieten, was dann eine Gruppe von Fassmalern – alle um die 70 – ernsthaft unterbunden hat, weil sie die Konkurrenz fürchteten. Wir werden das Einzelkämpfertum in der Kunst wohl nie los.“
Was liegt im Argen?
Und das hat auch seine strukturellen Gründe. Ausbildung und Kunstmarkt haben sich in den letzten Jahrzehnten massiv verändert. Während Britta Heyduck sagen kann, sie habe glücklicherweise immer viel verkauft, lässt sich dieses Vertrauen in die Sammler:innen für junge Generationen nur schwer aufrechterhalten und das Zusammenspiel aus Galerien, Ausstellungen und Sammler:innen scheint nicht mehr zu funktionieren: „Bei meinem Vater da kamen wirklich noch Galeristen zu den Ausstellungen und haben dann ganze Serien bestellt. Das gibt es heute nicht mehr“, erinnert sich Leonora Prugger und fügt hinzu: „Aus meinem Studienjahrgang verdient niemand seinen Lebensunterhalt mit seiner Kunst. Alle haben zweite und dritte Standbeine in der Kunstvermittlung, dem Lehramt und so weiter. Das Problem ist: Je mehr man in diesen anderen Jobs steckt, desto weniger kann man sich auf seine Kunst konzentrieren und viele hören bald ganz auf.“ In den Augen ihrer älteren Kollegin, mangle es vor allem an Unterstützung seitens der Kommunen: „Die Atelier -Situation ist oft untragbar. Da müsste mehr Verantwortung für die Künstler:innen übernommen werden.“ Dennoch drängt es heute wesentlich mehr junge Menschen ins Kunststudium als das noch zu Zeiten von Brigitta Heyduck der Fall war: „Ich habe das Gefühl, früher haben sich das einfach viel weniger Leute getraut, freischaffend zu sein. Heute werden vielleicht auch mehr aus dem Elternhaus unterstützt und entscheiden sich für eine Lebensform, die sie als schick empfinden. Akademien nehmen auch viel zu viele auf, kätzerisch gesprochen vielleicht auch ästhetisch zu vieles, was auf gar kein öffentliches Interesse mehr trifft. Da bleiben oft auch Handwerk und Können auf der Strecke und die Käufer aus.“ Brigitta Heyduck fügt jedoch mit Nachdruck hinzu: „Das soll nicht abwertend den Jungen gegenüber sein. Wenn ich mir anschaue, welche Offenheit und welche Möglichkeiten in den 60ern existierten, dann sehe ich schon sehr klar: Heute ist nichts einfacher!“ Ihre junge Kollegin beschreibt vor allem das Fehlen von Führsprechern, Galerien und Strukturen als problematisch, was wiederum ins Einzelkämpfertum treibe: „Vergleichsweise verbringt man ja wenig Zeit mit seiner Kunst und wesentlich mehr mit Bürokratie, mit Projektbeschreibungen, Fördergeldanträgen, ausführlichen Werkbeschreibungen, Websitepflege und Social Media“. Natürlich ist der jungen Malerin bewusst, dass hier auch neue Chancen verborgen liegen, denn „so kriegt man manchmal einfach Sichtbarkeit mit einem Klick. Auf der anderen Seite bedeuten die ständige Verfügbarkeit und der ewige Vergleich auf Social Media Plattformen auch mehr Konkurrenzdruck. Und wie nachhaltig die Wahrnehmung ist, bleibt auch fraglich.“
Transformation wohin?
Dass sich alles in einem großen Umbruch befindet, nehmen beide Künstlerinnen stark wahr – für ihr eigenes Schaffen hat das unterschiedliche Folgen. Leonora Prugger ist sich sicher, „dass Digitalität und Technologie noch stärker in den Vordergrund treten werden. Die Themen werden aber politischer. Soziale-, Umwelt-, Identitätsfragen werden zunehmen. Es wird noch interaktiver und partizipativer werden mit der Hoffnung, Zugang für alle Menschen zu schaffen.“ Ob das allerdings gelingen kann? Brigitta Heyduck sieht es als kritisch für die Zukunft an, „dass es immer weniger fundierten Austausch über bildende Kunst, über Ästhetik und Qualität gibt. Die Tagespresse zum Beispiel schreibt ja kaum noch über Kunst. Von der katastrophalen Bildungspolitik gar nicht zu sprechen. Unsere Wahrnehmungsfähigkeit verkümmert zunehmend.“ Für die junge Kollegin wird es ein harter Kampf bleiben: „Zehn Jahre muss man erstmal durchhalten, bevor sich was abzeichnet. Ich hoffe einfach, dass ich meine Leidenschaft und meinen Ehrgeiz nicht verliere.“ Brigitta Heyduck ist sich sicher, dass es bei ihr weitergeht: „Ich habe mein Leben lang mein Ding gemacht und mir wenig von anderen hineinreden lassen. Ich bin mir treu geblieben und das wird auch noch ein wenig weitergehen, wenn ich gesund bleibe.“ Dennoch räumt sie ein: „Für den gesamten Kunstbetrieb fürchte ich schon eine weitere Zunahme von Willkürlichkeit. Dass Erfolg einfach immer weniger mit Qualität zu tun haben wird und Künstler:innen immer abhängiger von Kurator:innen und deren ganz persönlichem Geschmack sein werden.“
Kuratieren…
Es ist kein Geheimnis mehr, dass Schweinfurt ein Eldorado für Kunstliebhaber:innen ist. Die beiden Häuser, das Museum Georg Schäfer und das Museum Otto Schäfer, sind renommierte Publikumsmagneten. Ihre beiden Direktoren und Ausstellungskuratoren Prof. Dr. Wolf Eiermann (*1960) und Jan Soldin (*1995) haben über die Bedeutung ihres Berufs, die Kunst- und Museumswelt, ihre Zukunft und kollegiale Verhältnisse nachgedacht. „Eine sinnstiftende Auswahl zu treffen, eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schaffen und idealerweise Besuchenden die Frage zu beantworten, was diese alten Stücke Papier mit ihnen zu tun haben könnten“, so beschreibt Jan Soldin seine Arbeit als Kurator in einem Haus, das auf Druckgrafiken, insbesondere die von Albrecht Dürer spezialisiert ist. Auch sein Kollege – das Museum Georg Schäfer repräsentiert vor allem die Kunst des 19. Jahrhunderts – sieht Kuratieren als Sinnstiften an, aber auch als „das Aufzeigen von Wissenszusammenhängen, die im Laufe der Zeit verloren gegangen sind. Es gibt Künstlergruppen, auch Künstlerinnengruppen, Sezessionen und Kunstideologien, von denen wir gar nichts mehr wissen. Das erschließt sich oft nicht einfach aus den Bildern. Wir Kuratoren lehren also schon ein wenig das Sehen.“ Den eher kritischen Beigeschmack der Willkürlichkeit, wie er in der Aussage von Brigitta Heiduck anklang, erkennen beide Kuratoren an: „Bei der Gegenwartskunst hat man tatsächlich manchmal das Gefühl von Beliebigkeit und denkt, hier werden einfach ‚schöne‘ Bilder ausgewählt, die gut an die Wand oder mit Ach und Krach unter ein Thema passen“, gesteht Jan Soldin ein. Sein Kollege Prof. Dr. Eiermann liefert einen kurzen historischen Abriss dazu: „Kein Museum kann heute mehr ohne Ausstellungen bestehen, also nur noch von seiner Sammlung leben, was den Ausstellungskurator immer wichtiger gemacht hat. In den 90ern haben viele Häuser in großen Städten angefangen, das zu zeigen, was die Leute sehen wollten: die großen Künstler:innen im Original. Und das hat dann schnell nicht nur in München, Berlin oder Köln funktioniert, sondern auch Tübingen wollte seine Cézanne-Ausstellung. Das waren Riesenerfolge an der Kasse. Um die 20 Jahre später brachen die Erfolge etwas ein und den Kuratoren wurde nach und nach der Rang von den Geschäftsführern abgelaufen und Ausstellungen mussten fortan marketingstrategisch konzipiert werden, womit sich Kurator:innen immer weiter von ihrer eigentlichen Aufgabe wegbewegen mussten. Und das hat dann leider auch Tor und Tür für ich nenne sie mal Trittbrettkuratoren geöffnet, die versuchen Geld mit Billigausstellungen von Picasso-Tassen, Dali-Fotografien und Reproduktionen zu machen. Warum werden denn diese und jene Künstler für die Art Basel oder die Art Cologne ausgesucht? Weil sie Besucher bringen. So was wie die Biennale in Venedig würde ohne gigantisches Marketing gar nicht funktionieren und deshalb gibt es heute immer weniger Ausstellungen mit einer wirklichen These. Es wird Chagall gezeigt, weil der eben gerade gut läuft.“
Eventmanager versus Experten?
Hört man diese Ausführungen zur Veränderung kuratorischer Strategien, könnte man meinen, ein leises „früher war alles besser“ durchzuhören. Doch so möchte es der Leiter des Museums Georg Schäfer nicht verstanden wissen: „Ich tausche mich hauptsächlich mit Kolleg:innen aus, die jünger sind als ich. Gerade auch, weil ich die anderen Sichtweisen verstehen möchte. Kein Museum kann heute ohne Kooperationen bestehen, ich schätze sie insbesondere wegen des Austauschs und die Jungen haben es keinesfalls leichter als meine Genration. Klar, die Recherche, die ist mit der Digitalisierung wesentlich leichter geworden. Heute braucht man keine drei bis vier Jahre mehr für die Vorbereitung einer Ausstellung. Dafür ist das ganze Handling am Kunstmarkt, z.B. die Kommunikation mit Leihgebern wesentlich schwerer geworden, einfach, weil man oft gar keinen wirklichen Kontakt mehr hat, massenweise digital angefragt wird und sich kein Vertrauensverhältnis etablieren kann.“ Sein junger Kollege gibt weiterhin zu bedenken: „Die Wirtschaftlichkeit ist ein immer bestimmenderer Faktor geworden und im Gegensatz zu meinem Vorgänger am Museum Otto Schäfer, verstehe ich mich nicht mehr als Fachwissenschaftler, sondern als Kulturmanager mit Schwerpunkt bildende Kunst. Mit mir gibt es kein akademisches Museum. Dafür hätte man einen Dürer-Spezialisten holen müssen. Mein Auftrag ist ein anderer. Ich treibe massiv den Öffnungsmechanismus voran und kann mich gar nicht mehr so zeitintensiv wissenschaftlich um die Sammlung kümmern, weil ich noch ganz viele andere Jobs wie Formate-Entwickeln, Medienpräsenz-Generieren, Verkauf, Social Media zu bewerkstelligen habe. Eventkultur ist ja eher negativ konnotiert, ist aber typisch für meine Generation und auch ich setze einen größeren Fokus auf Veranstaltungen, weil es die Schwelle zur Institution Museum abbauen könnte.“ Soldins Perspektive zeigt eine strukturelle Veränderung des Arbeitsfeldes auf. Er räumt ein: „Mir werden zwar Freiheiten für einen neuen Weg gewährt, ich bekomme beispielsweise mehr Geld für die Öffnung als mein Vorgänger, aber ich muss mich schon auch immer mehr behaupten, die Ellenbogen ausfahren und bekomme nicht so schnell dasselbe Vertrauen geschenkt wie die älteren Fachwissenschaftler. Dennoch, oder gerade deswegen, halte ich große Stücke auf den Rat unseres Kuratoriums, alter Professoren sowie Kolleg:innen und nehme deren Vorschläge sehr ernst. Ich will das Stammpublikum ja nicht verlieren. Aber man muss auch Neues wagen.“ Sein älterer Kollege ergänzt: „In jungen Jahren hat man ja immer ein wenig mit den Hierarchien zu kämpfen. Was ich da an unbeantworteten Anfragen schlucken musste. Wenn man älter wird, schätzt man diese Mechanismen dann, weil man manches einfach abwimmeln muss. Beim Besserwissen ertappe ich mich selten. Natürlich hat man mehr Erfahrungen, kennt Zusammenhänge, die Jüngere noch nicht kennen können. Und Tipps wie, ‚lass mal die Finger davon, weil Stadtrat XY dazu noch nicht bereit ist‘, klingen immer blöd, sind aber meist wirklich gut gemeint. Wobei ich schon auch eingestehe, dass den Jungen von den Alten oft auch auf die Finger geklopft wird, weil sie etwas ausprobieren, das die Alten gerne selbst ausprobiert hätten. Der Ablösungsprozess ist schwer. Aber nicht nur in der Kunstwelt.“ Da hakt Jan Soldin ein: „Ja, aber genau das wünsche ich mir, dass ältere Kolleg:innen den Mut haben, abzugeben und die Jungen weiterhin den Drang, Dinge umzukrempeln. Es hat ja niemand ein Interesse daran, ein Erbe zu zerstören und dennoch erfordert die Zukunft bestimmte Veränderungen.“ „Aber die Jungen müssten dann auch wirklich mutig sein. Ich erlebe meine Studierenden beispielsweise oft so wirtschaftlich orientiert, so zielstrebig und auf Erfolg fixiert. Ich wünsche mir schon, dass sie es sich nicht immer so leicht machen, sich mehr an die schwierigen Themen heranwagen würden, nicht immer die Kunstautobahn nehmen, auf der alles funktioniert, sondern die verschlungenen, ungewissen Seitenwege gehen, auf denen noch wenig geforscht wurde“, gibt Prof. Dr. Eiermann zu bedenken.
Brennpunkt Publikum
In einem sind sich beide Kuratoren einig: Es wird sich einiges verändern (müssen). Neben einem Fachkräftemangel, der sicher auch bald den Kulturbetrieb treffen wird, muss vor allem die Entwicklung des Publikums bedacht, analysiert und gestaltet werden. Jenseits der großen Kunstevents in Venedig oder Kassel kämpfen alle Museen um ihre Besuchendenzahlen. „Corona hat uns natürlich einen Knick verpasst“, erinnert Dr. Eiermann, „aber wir haben uns zurückgekämpft. Im Museum Georg Schäfer suchen wir uns tatsächlich auch sehr gezielt unser Publikum. Wir versuchen mit jeder Ausstellung andere Zielgruppen zu erreichen, immer in Balance zum Stammpublikum, aber das kommt auch nicht in drei Ausstellungen im Jahr. Wir haben also meist zwei Ausstellungen für breiteres Publikum und die dritte ist gewagter. Wir haben auch schnell dafür gesorgt, Publikum von außerhalb anzuziehen. Ist arbeitsintensiv, aber lohnt sich.“ Jan Soldin bringt für sich die Thematik auf den Punkt: „Auch wenn viele Kulturschaffende in der Corona-Zeit immer darunter gelitten haben, dass wir unter Freizeitangebot subsummiert wurden, ist es doch einfach so: Wir sind ein privilegierter Teil der Freizeitindustrie – wir stehen in Konkurrenz und ich will einfach daran arbeiten, dass Kunst ein Teil des Lebens und kein Extraausflug ist. Ich will das Museum als öffentliches Kunst-Wohnzimmer verstehen, das Bildung und Unterhaltung gleichermaßen spielen kann und ja, vielleicht steht dann manchmal auch mehr die soziale Interaktion bei einer Veranstaltung im Vordergrund als die Bilder an der Wand.“ Prof. Dr. Eiermann sträubt sich gegen die Betitelung als Freizeiteinrichtung, die in seinen Augen, den Bildungsauftrag zu sehr in den Hintergrund geraten lasse. Ein Generationenunterschied? Vielleicht… „Kunst- und Kultur sind keine Insel der (Un)Glückseligen – überall ist Mangel an Menschen und Geld. Das betrifft das gesamte Freizeitangebot, wenn wir denn bei dem Begriff bleiben wollen. Zum einen wird sich hier die Konsumentenmentalität ändern müssen. Denn der Service, den wir gewohnt sind, wird sich nicht aufrechterhalten lassen und ja, vielleicht muss man einfach auch kritisch fragen: Gibt es nicht zu viel Angebot? Vielleicht muss auch mal jemand schließen. Wenn wir uns schon in einen Freizeit-Vergleich begeben, warum sollte das dann anders als bei Restaurants und Schwimmbädern sein?“ Haben wir zu viel von allem? Dieses Argument würde radikal gegen die Öffnungsstrategie von Jan Soldin sprechen, weil sich Theater, Veranstaltungshäuser, soziokulturelle Zentren etc. auch gerne als öffentlich Orte etablieren wollen. Aber: wieviel brauchen wir davon? Zumal das Kultur-Interesse nach wie vor nicht zurück auf Vorcoronaniveau ist. Dr. Eiermann hat hierfür eine zukunftsorientierte These: „Wenn ich mir die Demografie in Schweinfurt anschaue und vor allem die Migrationszahlen – ca. 50% der Schweinfurterinnen haben Migrationshintergrund – dann denke ich mir: da liegen auf jeden Fall verlorene Generationen. Wer in dieses Land kam, hatte erstmal keine Kapazitäten, sich mit Kunst und Kultur in Deutschland auseinanderzusetzen. Die Existenzsicherung stand im Vordergrund. Die zweite Generation von Einwanderern fängt dann langsam damit an, aber vermutlich kann man erst die dritte wirklich erreichen. Da klafft gerade eine Lücke. Ich denke, das prinzipielle Interesse an Kunst wird es immer geben – genau wie neue Formen und Moden. Und ja, es muss Öffnung geben, auch in andere Kulturen – dafür fehlen uns leider oft noch die Expert:innen. Aber es gibt einen Zukunftsauftrag und Menschen zu gewinnen.“ Jan Soldin setzt dem noch nach: „Wir müssen uns aufeinander beziehen. Auch die Künste untereinander. Das ist mir wichtig. Keine Rolle rückwärts in die heilige Institution Museum.“