Im tristen Coronajahr 2020 war die Bayreuth Summertime in den Wilhelminenauen einer der wenigen Lichtblicke im Kulturleben der Wagnerstadt. Auch wenn es in diesem Frühjahr noch ganz anders aussah: der Sommer 2021 bietet deutlich mehr Anlass zur Lebensfreude. Ein Sonnenuntergang am See, Open-Air-Konzerte, (fast) zwangloses Beisammensein –einer der besten Orte in Oberfranken dafür ist die Wilhelminenaue in Bayreuth. Auf dem ehemaligen Landesgartenschaugelände findet diesen Sommer ein großer Teil der Open-Air-Aufführungen der Bayreuth Summertime statt. Die Macher des Bayreuther Friedrichsforum haben nach dem vielbestaunten Debüt im Vorjahr ihre Synergien genutzt und am Fuße des Kulturkiosk eine Neuauflage im altbewährten Stil auf die Beine gestellt.
Angesichts des großen Erfolgs der Premiere ist es kein Wunder, dass es in diesem Sommer eine Neuauflage gibt. Teil eins der Summertime absolvierten die Verantwortlichen im Juni und zu Beginn des Monats erfolgreich. Im August wartet mit dem Seebühnenfestival auf die Besucher ein kleines Feuerwerk für die Gehörgänge. Dabei sollte man die Augen jedoch nicht verschließen. Schließlich gelten die Sonnenuntergänge in den Auen immer wieder als reizvolles Spektakel. Die Symbiose von einem herrlichen Sonnenuntergang mit lauschigem Wetter und den Tönen verschiedenster Instrumente, gepaart mit einem Aperol Spritz – alternativ auch in der alkoholfreien Variante – verspricht allerhöchsten Sommergenuss.
Eingebettet in die „Bayreuth Summertime“ holt das Bayreuther Seebühnenfestival auch dieses Jahr wieder zahlreiche bekannte Künstlerinnen und Künstler nach Bayreuth. Natürlich, wie es sich in Zeiten wie diesen gehört, mit einem umfassenden Abstand- und Hygienekonzept, in dessen Rahmen das sonst 2000 Besucher fassende Gelände mit einer überwiegend aus Zweierplätzen bestehenden Bestuhlung für bis zu 700 Gäste ausgestattet wird – die niedrigen Inzidenzzahlen der Wagnerstadt machen es möglich.
Den Auftakt macht am 1. August eine kultverdächtige lokale Formation. „Mit dem Konzert von Six Pack wollen wir bewusst ein Zeichen setzen, dass auch lokale Künstler auf der Seebühne einen Platz finden sollen“, meint Matthias Mayer von der veranstaltenden Bayreuther Konzertagentur Motion Kommunikation. Die beliebte A-cappella-Comedy-Truppe hatte kurz vor Ausbruch der Pandemie ihr neues Bühnenprogramm „Goldsinger“ vorgestellt –seitdem ruhte das Geschehen um Frontmann Markus Burrucker. Für Fans der sechs Sängerknaben aus der oberfränkischen Hauptstadt nun eine ideale Gelegenheit, das neue Programm endlich kennenzulernen.
Ganz andere musikalische Akzente setzen hingegen Hans Söllner und seine Band Bayaman’ Sissdem am 6. August. Das schon im Vorjahr geplante Konzert auf der Seebühne wird ein Jahr später nachgeholt. Und an Themen wird es dem streitbaren Liedermacher aus Berchtesgaden nicht mangeln. Er darf sich von Beginn seiner Karriere an mit dem Namen „Querdenker“ schmücken, lange bevor das Wort die heutigen Konnotationen auslöste. Der selbsternannte bayerische Rastafari, dessen Songs ebenso im Reggae wurzeln wie in der amerikanischen Liedermachertradition, singt gegen die Mächtigen und für eine bessere Welt – und das auf eine grantelnd-schelmische Art und Weise, die den besten Kabarettisten des Landes zur Konkurrenz gereicht.
Weniger grantelnd, dafür musikalisch in einem anderen – nicht immer leicht zu verstehenden, dafür aber umso brillianteren – Kosmos unterwegs ist einer der grandiosesten und vielleicht unterschätztesten Musiker der Republik. Helge Schneider gibt sich am 8. August erneut die Ehre an den Wilhelminenauen, mit denen – vor allem mit den dort beheimateten Enten – er im Vorjahr schon tiefes Freundschaft schloss. Der Mann, dessen neues Programm „Let’s Lach“ seine Kunst bestens beschreibt schafft es als einer der wenigen Standup-Comedy, tiefgreifende Sinnbotschaften, puren Slapstick UND musikalische Virtuosität unter einen Hut zu bekommen. Wer bei seinem Konzert im Vorjahr auf der Seebühne dabei war, weiß, dass Schneider sowohl hemmungslosen Wortwitz als auch geniale Jazzeinlagen meisterhaft beherrscht. Ihm zur Seite stehen die „Snyders“, seine sechsköpfige Band – inklusive des längst Kultstatus genießenden Teekochs Bodo.
Ebenfalls bereits im Vorjahr zu sehen war Martina Schwarzmann, die am 9. August um 17 Uhr und 20.30 Uhr mit ihrem Programm „Genau richtig“ gleich zwei Mal zu Gast auf der Seebühne sein wird. Die seit Jahren schon riesige Hallen füllende Kabarettistin war im ersten Coronajahr ein absolutes Highlight. Sparsam häuslich eingerichtet auf der Bühne, im Gegensatz zur gigantischen Showkulisse anderer Comedians – die Schwarzmann überzeugt mit witzigen Geschichten aus dem Alltag. Mehr braucht sie nicht. Lachsalven und wild eingestreute Pointen inklusive. Sie war es, die im Vorjahr am meisten beim Bayreuther Publikum punkten konnte. Womit? Mit Recht!
Mit Konstantin Wecker kehrt der wohl bekannteste deutsche Liedermacher am 10. August, nach über acht Jahren für ein Konzert nach Bayreuth zurück. „Poesie und Musik können vielleicht nicht die Welt verändern, aber sie können denen Mut machen, die sie verändern wollen“, lautet das Credo des mittlerweile 74-jährigen Münchners. In seinem Soloprogramm gibt Wecker ganz intim allein am Flügel Einblicke in sein jahrzehntelanges Schaffen – von Stücken wie „Der alte Kaiser“ und „Genug ist nicht genug“ bis hin zu Songs von seinen neueren Alben wie „Ohne warum „und „Poesie und Widerstand“. Eines ist dabei garantiert: Sozialkritisch wird der anscheinend nie alternde, selbsternannte, Anarcho wie fast schon gewohnt, Akzente setzen. „Mein Traum ist eine Welt ohne Herrschaft, Machtstreben, Unterdrückung und Gehorsam“, sagte er jüngst in einem Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung – und lässt dabei einmal mehr deutlich hören, was er von den aktuellen Entwicklungen, positiv wie negativ, hält.
Steht bei Wecker immer das Wort im Vordergrund, kommt das Herbert Pixner Projekt ganz ohne Worte aus. Das einzigartige und vielumjubelte instrumentale Musikprojekt aus Süd- und Osttirol, am 11. August auf der Seebühne zu sehen, zählt seit Jahren zu den beliebtesten Acts der „progressiven Volksmusik„. Mit einer Vielzahl an Instrumenten wie Kontrabass, Harfe, Harmonika, Trompete, Gitarre oder Klarinette bauen die Ausnahmemusiker Brücken zwischen den verschiedensten musikalischen Welten – mal mit verspielt-lasziver Sanftmut, mal mit wuchtigen Rock- und Bluesriffs, immer mit brillanter Technik und enormer Spielfreude.
Den Abschluss des Seebühnenfestivals bestreitet schließlich am Sonntag, dem 15. August, mit Bodo Wartke ein wahrer Meister der Worte. In seinem neuen Programm „Wandelmut“ erforscht der norddeutsche Klavierkabarett ist das Wechselspiel von Stetigkeit und Wandel und plädiert in Zeiten von Klimawandel und dem Erstarken demokratiefeindlicher Ansichten für Mut, Phantasie und klare Kante. Der unzählige Male preisgekrönte Liedermacher, Sohn eines Ärzteehepaares, hat sich in der Coronazeit mit Online-Auftritten beholfen. Jetzt giert er auf die Rückkehr vor Publikum. „Das ist quasi mein Mitspieler. Ich lebe von der Interaktion mit den Leuten“, lässt er schon einmal erahnen, dass Improvisation bei der Bühnenshow des smarten 43-Jährigen einer der zentralen Bestandteile sein wird.
Nicht nur auf der Seebühne darf man sich auf kulturelle Veranstaltungen freuen. Parallel zur „Holländer“-Neuinszenierung am grünen Hügel zeigt die Studiobühne Bayreuth in der „kleinen Scheune“, dem Steingräber Hoftheater, eine neue Sicht auf das Werk des jungen Wagner. Parodistisch zugespitzt taucht die Mannschaft um Kult-Autor und Regisseur Uwe Hoppe in die tiefenpsychologischen Abgründe des damals noch ungestümen Dichter-Komponisten. Unausgesprochenes wird unverblümt herausgeschleudert, Absurdes wird in Skurrilität überzeichnet und die Romantik wird an den Rand des Kitsches getrieben. Eine junge Frau zwischen zwei Männern, vor der Wahl, ins bürgerliche Leben zu stranden oder sich in die Unsicherheit eines Künstlerlebens bis in den Tod zu stürzen. Schräg, aberwitzig, derb und tief in die Poesie abgleitend, ein Spiel um Leben und Tod, zwischen verzweifeln, weinen und lachen bis zum Bauchschmerz.
Ebenfalls bespielt mit bei der Summertime der Reichshof in der Fußgängerzone. Das ehemalige Traditionskino, vor wenigen Jahren von einigen findigen Köpfen umgestaltet zur Veranstaltungsbühne, ist am 21. und 22. August Gastgeber für das kulturaffine Bayreuther Publikum. „Der Friedensengel“ von Siegfried Wagner steht auf der Agenda. Die zehnte Oper Wagners, vollendet im Kriegsjahr 1914, ist ein Plädoyer für Frieden, Freiheit und Glück des Individuums in restriktiven Gesellschaftsformen. Die erste szenische Realisierung dieses Werkes seit 95 Jahren thematisiert die aktuellen Krisen der Gegenwart. Siegfried Wagners Melodienfülle und plastische Charakterisierung der Figuren belegen das breite Spektrum seiner Tonsprache zwischen Romantik und Impressionismus.
Nicht zuletzt wird auch die bezaubernde Bühne am Wasserturm in der Bayreuther Eremitage eine Renaissance erleben. Nur wenige Meter vom römischen Theater entfernt hat sich im ehemaligen Biergarten des Restaurants die Studiobühne Bayreuth häuslich eingerichtet. Bis weit in den August hinein dürfen die Schauspieler des etablierten Hauses vor bis zu 100 Zuschauern ihrem liebsten Hobby nachgehen. Mit „Immer dieses Theater“, einer herrlichen, vor Selbstironie nur so strotzenden Inszenierung feiern die Theaterleute das Theater – natürlich nicht, ohne eine Vielzahl von Klassikern aus dem Genre von Shakespeare, Goethe, Kishon, Tucholsky und vielen anderen darzubieten. Ebenfalls auf dem Kalender steht mit „Der Heiratsantrag / Der Bär“ ein Einakter. Die beiden Werke aus dem Jahr 1888 zeigen mit burleskem Charme die komplizierten und immer wieder neuen Fallstricke der Liebe von völlig verschiedenen Seiten. Anton Tschechows Werke glänzen dabei mit vielzähligen Katastrophen und überraschenden Wendungen. „Am liebsten erinnern sich die Frauen an die Männer, mit denen sie lachen konnten“, sagte der Autor einst. Ein Motto, dass die männlichen Parts beim Summertime 2021 mit Sicherheit beherzigen sollten – zumindest, wenn sie in Erinnerung bleiben wollen.