Gerhard Richter, Joseph Beuys, Jörg Immendorf. Drei in der Virtuosität ihrer Werke so unterschiedliche Künstler, die dennoch eine Gemeinsamkeit verbindet: ihr Bezug zum Rheinland.
Während wir uns in der letzten Ausgabe der Bundeskunsthalle Bonn widmeten, zieht es uns nun nach Köln, bis wir in der übernächsten Ausgabe die nächste Rheinmetropole, Düsseldorf, und ihre Museen betrachten.
Ema schreitet unbekleidet und erhaben eine Treppe herab, seichte Vermalungen verstellen den klaren Blick auf diesen einmaligen Akt, welcher das erste Werk der Photomalerei Gerhard Richters darstellt, für welches der Künstler eine selbst aufgenommene Vorlage verwandte. Neben diesem Schlüsselwerk der zeitgenössischen Kunst reihen sich weitere Schätze der Kunstgeschichte an den Wänden und in den Depots des weltberühmten Museum Ludwig aneinander: So verirrt sich der Blick der Besucher in Pollocks dynamischem Linien-Dschungel oder locken die „Fünf Frauen auf der Straße“ Kirchners mit unmoralischen Angeboten. Francis Bacon malt kraftvoll gegen die Gewalt der Menschheit an, René Magritte gibt Melone tragende Rätsel auf, Kasimir Malewitsch zeigt, dass der Suprematismus nicht nur ein schwarzes Quadrat bereithält und Yves Klein strebt die immaterielle Perfektion an, die Mark Rothko in seinen kaum ergründbaren Farbtafeln „Earth and Green“ schließlich vollendet.
Eine bunte, eine einzigartige, eine vielfältige Sammlung, die die wichtigsten Positionen der Moderne vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart vereint. Ihren Grundstein legte der Kölner Rechtsanwalt Josef Haubrich im Jahre 1946, indem er der Stadt Köln seine Kunstsammlung übergab, die primär verloren geglaubte Werke deutscher Expressionisten wie auch als „entartet“ geltender Vertreter der klassischen Moderne beinhaltete. 30 Jahre später erfolgte eine weitere spektakuläre Schenkung, die schließlich die Gründung des Museums als eigenständige Institution veranlasste: Das Sammlerpaar Irene und Peter Ludwig überließ Köln ihre Sammlung unter der Prämisse, dass die Stadt dem Konvolut ein eigenes Haus baue. Auf diese Weise entstand eines der bedeutendsten europäischen Museen für moderne und zeitgenössische Kunst, das nicht nur eine der weltweit wichtigsten Sammlungen des Expressionismus, die drittgrößte Picasso-Sammlung der Welt, eine wahrlich bedeutende Sammlung der Photographie und zeitgenössischen Kunst beheimatet, sondern überdies auch die umfangreichste Pop-Art-Sammlung außerhalb der USA.
Fasziniert von der Direktheit und Frische des Realitätsbezuges dieser Kunstrichtung und ihrem modernen Lebensgefühl akquirierten die Sammler neben dem oben bereits erwähnten schillernden Elvis Warhols bedeutende Werke Lichtensteins, Oldenburgs sowie Wesselmanns direkt von der documenta 4, durch welche die Pop-Art in Deutschland zahlreiche Anhänger fand und auch hiesige Künstler beeinflusste. Weitere amerikanische Einflüsse offenbaren sich ferner anhand des Abstrakten Expressionismus, der in Form der grafischen Musterbilder Frank Stellas, der minimalistischen Konzeptkunst Donald Judds sowie der meditativen Farbfelder Mark Rothkos Einzug in das Kölsche Haus hält.
Überdies gilt es, auch der Gegenwartskunst von heute eine Darstellungsplattform zu bieten. So werden die letzten Jahrzehnte von Künstlern wie Clemens von Wedemeyer mit Videoinstallationen und von Photographen wie Gursky und Ruff mit ihren monumentalen Aufnahmen repräsentiert.
Solche finden sich jedoch nicht ausschließlich in der umfangreichen Sammlung wieder, auch zwei der drei aktuellen Ausstellungen setzen sich mit diesem Medium auseinander. „Werner Mantz. Architekturen und Menschen“ ist bis zum 21. Januar zu sehen und verbindet zwei scheinbar gegensätzliche Stränge im Œuvre eines der prominentesten Photographen des Neuen Bauens im Köln der 20er-Jahre.
Als gebürtiger Kölner eröffnete Mantz zunächst ein Atelier und fertigte Portraits an, bis er 1926 den Auftrag erhielt, die Bauten der architektonischen Avantgarde Kölns abzulichten. „In ihrer sachlichen, schwarzweißen Strenge wirken die menschenleeren Gebäude und Straßenzüge in Mantz‘ Bildern wie monumentale Kulissen der Moderne“, konstatiert das Museum Ludwig. Und in der Tat gelang es Mantz wie kaum einem anderen, diese verlassene, beinahe gespenstische, bisweilen hoffnungslose und zugleich innovative Atmosphäre einzufangen und wiederzugeben. Jedoch schienen die stummen Betonbauten ihm nicht vollends zu genügen. 1938 eröffnete Mantz ein zweites Atelier und zog in die Niederlande, wo er zur Portraitphotographie zurückkehrte und sein Augenmerk besonders auf Kinderbildnisse legte. Das Museum Ludwig führt erstmals diese beiden verschiedenartigen Aspekte seines Schaffens zusammen und positioniert ausdrucksstarke Kinderaugen neben ausdruckslos in Steinmauern klaffenden Fenstern. Auf diese Weise wird erst die gewaltige, kühle und faszinierende Diversität im Œuvre Mantz‘ erfahrbar.
Von einem Künstler, der sich hinter der Kamera verbarg zu einem, der vor einer solchen positioniert wurde, gelangt man durch einen kurzen Gang in die Photoräume zur nächsten Exposition: „Die humane Kamera. Heinrich Böll und die Photographie“ beschäftigt sich anlässlich des 100. Geburtstages dieses Ausnahmeschriftstellers mit seinem Verhältnis zur Photographie.1964 publizierte Böll im Katalog zur Weltausstellung einen Text namens „Die humane Kamera“, in welchem er die Moral der Photographie thematisiert. So schreibt er: „Wo die Kamera zudringlich wird, ihr Instrument, das Objektiv, zum Instrument […] des Photographen wird, der darauf aus ist, den Menschen […] zu denunzieren, zu entlarven, überschreitet die Photographie ihre ästhetische und gleichzeitig ihre moralische Grenze.“ Aktueller denn je scheinen diese Worte, wie auch die gesamte Ausstellung, die sich Werken Bölls widmet, die Medienkritik üben oder solchen, die die Photographie als Metapher einbeziehen. In 50 Exponaten spiegelt sich die gesamte Bandbreite der Beziehung Bölls zur Photographie wider.
Sollte nach so vielen Aufnahmen eine tief empfundene Sehnsucht nach Malerei aufkommen, stillt die dritte aktuelle Ausstellung diese sogleich. Mit James Rosenquist ist bis zum 4. März ein „Eintauchen ins Bild“ möglich, in zahlreiche farbintensive, dynamische, spielerisch-verlockende Bilder des erst kürzlich verstorbenen Pop-Artists. Diese werden im Rahmen der Exposition vor allem in ihrer kulturellen und sozialen Dimension präsentiert. In Kombination mit Archivunterlagen wird ein historischer Kontext geschaffen, der von den politischen Ereignissen unserer Zeit zeugt.
Weniger Politik und mehr malerische Poetik finden sich in einem weiteren wahrlich relevanten Haus der Kölner Museumslandschaft: dem durch die Kunst- und Geldspenden Ferdinand Franz Wallrafs sowie des Kaufmanns Johann Heinrich Richartz entstandenen und 1861 eröffneten Wallraf-Richartz-Museum. Dieses zeigt dieser Tage eine Hommage an die Religion, an Allegorien, an die Erotik und vor allem an ein italienisches Wunderkind, dessen Geburtstag sich in diesem Jahre zum 500. Mal jährt: „Tintoretto. A star was born“ beleuchtet nicht nur beeindruckende großformatige Gemälde dieses einzigartigen Meisters, sondern deckt auch neue Forschungsergebnisse und neu zugeschriebene Werke auf.
Beinahe revolutionär muten diese neuen Entdeckungen renommierter Forscher an, genau wie der italienische Farbholzschnitt des 16. Jahrhunderts, welchen das Wallraf-Richartz bis zum 14. Januar unter dem Titel „Eine graphische Revolution“ dezidiert behandelt. Kaum eine andere Drucktechnik hatte einen solch nachhaltigen Einfluss auf die Graphik wie der 1516 erfundene Farbholzschnitt. Dieser ermöglichte erstmalig ein differenziertes Spiel mit Licht und Schatten, präzisen Linien und farbigen Flächen.
Eine weitere Ausstellung thematisiert in diesen herbstlich-stürmischen Tagen das Wetter. „Heiter bis wolkig“ nimmt sich bis zum 4. Februar Naturschauspielen in der niederländischen Malerei an. Dabei gilt es Wellen zu bestaunen, über die der Wind hinwegpeitscht, Wetterleuchten, Wolkentürme und bedrohliche Sturmfronten von namhaften Künstlern von Ruisdael bis Goyen, sodass man das Meer förmlich riechen, den Wind in den Haaren spüren kann und eine seichte Sehnsucht nach der weiten, unendlich lockenden See verspürt.
Solche Sehnsuchtsdarstellungen hält auch die Sammlung des Hauses bereit, versammelt diese doch bedeutende Werke des 19. Jahrhunderts, von der Romantik bis hin zum Aufbruch der Moderne, von Ensor über Renoir bis Signac. Dank einer großzügigen Stiftung der Familie Corboud verfügt das Wallraf-Richartz-Museum über die umfangreichste Sammlung impressionistischer Kunst in Deutschland. Darüber hinaus ist hier auch die deutsche Landschaftsmalerei durch Friedrich und Menzel in der Romantik und Corinth und Liebermann im Impressionismus vertreten.
Ferner umfasst die Sammlung prachtvolle Schätze aus dem Mittelalter wie auch dem Barock.
Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle ein Werk, dem bis zum 4. Februar eine eigene Exposition zuteilwird: „Wundervoll“ mutet Honthorsts Anbetung der Hirten an. Im Jahr 1622 von Gerrit von Honthorst geschaffen, eröffnet das Ölgemälde einen intimen Blick auf die Krippenszene, welche in der Kunstgeschichte ihresgleichen sucht. Im Rahmen der Ausstellung wird der umfangreiche Restaurierungsprozess präsentiert. Um einen Vergleich herzustellen, werden weitere museumseigene Anbetungsszenen in diesem Kontext ausgestellt und weisen auf das Wunder der Weihnacht voraus, das auch vor den Fenstern des Museums bereits mit buntem Weihnachtsmarkttreiben zelebriert wird. So bietet es sich an, von der vorweihnachtlichen Freude des strahlenden Jesuskindes Honthorsts animiert, nach dem Museumsbesuch einen gemütlichen Bummel über den Kölschen Weihnachtsmarkt zu unternehmen, zum Kölner Wahrzeichen zu schlendern und den Besuch der Rheinmetropole mit der Betrachtung desselben Künstlers zu schließen, wie man ihn im Museum Ludwig begonnen hat: durch einen verträumten, faszinierten, kaum abwendbaren Blick auf das großartige Domfenster des Wahlkölners Gerhard Richter.
Fotocredits:
Museum Ludwig in Köln, Foto © Museum Ludwig, Foto: A.R.
Wallraf-Richartz-Museum, Foto © Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud
Jacopo Tintoretto, Die Anbetung der Könige, um 1537/38, Öl auf Leinwand, 174 x 203 cm, Museo Nacional del Prado, Madrid, Foto: © Museo Nacional del Prado. Madrid