Rap? Auf Deutsch? Das machen doch die „coolen Kids“ am U-Bahnhof oder in den dunklen Gassen drumherum, von denen man sich als Kind bloß fernzuhalten hatte. Der Beat tut schon nach zwei Minuten in den Ohren weh und bei den Texten will man gar nicht erst genauer hinhören. Wer weiß, was man da als gebürtiger Deutscher unfreiwillig an Gedankengut raushören würde? Mit ebendiesen Vorurteilen will das Nürnberger Kulturzentrum Z-Bau im Rahmen einer groß angelegten Konferenz aufräumen und untersuchen: Wie sieht das aus mit problematischen Texten in der deutschen Rap Szene? Vom 19. bis zum 21. Februar 2020, von Mittwoch bis Freitag, verwandelt sich der Z-Bau in ein Hauptquartier des deutschen Raps, mit Konzerten, Podiumsdiskussionen, Vorträgen und Workshops sowohl für eingefleischte Experten als auch für neugierige Einsteiger.
„Explizit Rap ist ein gemeinsames Projekt von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, der LiveKomm (Bundesverband für Musikspielstätten), Pop Rot Weiss (Popularmusikberatung des Bezirks Mittelfranken), dem Verband für Popkultur in Bayern und uns“, erklärt Michael Weidinger vom Nürnberger Z-Bau. „Unser Ziel war und ist es nicht, die gestellten Fragen für alle Zeit zu beantworten, sondern eine authentische, inhaltlich hochwertige Deutschrapveranstaltung zu bieten, wo auch der Unterhaltungswert nicht zu kurz kommt.“
Die Moderatoren des Events, Jan Kawelke und Vassili Golod, sind schon aus dem WDR bekannt, wo sie gemeinsam den Podcast Machiavelli über Rap und Politik gestalten. Nach der Eröffnung am Mittwoch, den 19.02.2020 geht’s direkt los mit dem Deutschrap-Podcast Schacht & Wasabi. Seine Begründer Falk Schacht und Jule Wasabi sind beide von Berufswegen im Journalismus und in der Rap-Szene tief verwurzelt und informieren jeden Donnerstag in ihrem Wochenrückblick darüber, was im Deutschrap passiert. Ihnen folgt ein ungezwungenes Netzwerktreffen von Rap! Rot Weiss. Dieser Zusammenschluss von Rap-Begeisterten ist ganz den lokalen, mittelfränkischen RapperInnen gewidmet. Im Rahmen einer offenen Gesprächsrunde können sich Produzenten und Rezipienten austauschen, vernetzen und aktuelle Themen diskutieren. Den Abschluss des ersten Tages bildet der Konzertabend mit Pöbel MC und Presslufthanna & Sotah auf der Galerie des Z-Baus. Pöbel MC klingt nach einem mehrköpfigen Kollektiv, ist jedoch in Wirklichkeit ein einziger wortgewaltiger Zeitgenosse. In seinen Texten geht es nicht um bloße Selbstgenüsslichkeit und den „Rave“, vielmehr verschmelzen bei ihm saftige Wortgeschütze mit mal lässig-heiteren, mal scharfsinnigen Analysen szeniger Spießigkeit, politischer Verwirrtheit oder sozialer Ungleichheit, stets eingebettet in eine progressive, aber nicht moralisierende Geisteshaltung. Presslufthanna & Sotah, die sind wiederum ein Zusammenschluss ungemütlicher Hip-Hopper. Sie bringen ihre Beobachtungen über das Übel in der Welt mal aggressiv, mal nachdenklich in ihrer Musik zum Ausdruck und betonen dabei stets die Unbedingtheit des Fortschritts.
Auf der Konferenz im Z-Bau werden eine Vielzahl Runder Tische zu Gesprächsoasen und Diskussionskreisen, auch für das Fachkreispublikum. Am Donnerstag, den 20.02. geht es auf dem artushöfischen Forum mit einer Fülle von Themenrunden heiß her. Unter der Moderation von Axel Ballreich (1. Vorsitzender von LiveKomm / Concertbüro Franken) und Maximilian Schneider-Ludorff (Gründer des Tapefabrik Festivals) befasst sich der Runde Tisch der „Clubs“ mit großen Fragen über die künstlerische Arbeit: Wo hört Kunstfreiheit auf und wo beginnt Diskriminierung? Haben Clubs durch ihre Programmauswahl eine besondere soziale Verantwortung? Besteht das vorwiegend junge Publikum aus kritischen RezipientInnen, die auch mit expliziten Inhalten umgehen können, oder werden einfach nur Idole gefeiert?
Zur selben Zeit werden am Tisch „Schulische und außerschulische Politische Bildung“ Ideen und Gedanken über Deutschrap in der Bildungsarbeit ausgetauscht. Sollte man in der politischen Bildung Texte von Kollegah inhaltlich zerlegen, oder wirkt das bei der Zielgruppe eher kontraproduktiv? Wie begegnet man den Formen von Ausgrenzungen im Rap, und kann man seine Sprache und seinen Empowerment-Ansatz positiv nutzen?
Dabei ist es nicht nur die Bildung, die sich Gedanken über das Potenzial des Rappens macht. Auch der Journalismus und die Presse kommen beim „Deutsch-Leistungskurs bei Explizit Rap“ zusammen. Moderiert von Machiavelli (wir erinnern uns: Jan Kawelke und Vassili Golod) wird sich darüber unterhalten, wie dem Phänomen Deutschrap adäquat begegnet werden kann, sodass seine frappierende Ambivalenz transportiert wird. Zudem soll selbstkritisch darüber diskutiert werden, inwieweit das journalistische Reden und Schreiben diskriminierende Strukturen reproduziert. Ebenso am Runden Tisch „Soziale Arbeit und Hip-Hop“. Dort kommen Veranstalter von Rap-Events zusammen, die auch ein jüngeres Publikum ansprechen. Für Jugendliche und junge Erwachsene ist die „coole“ Musik stark und oft identitätsstiftend, weswegen sich darüber ausgetauscht werden soll, wie man Zugänge zum Rap vermitteln und identitätsfindende Prozesse verantwortungsvoll begleiten kann.
Dabei ist es unabdingbar, sich auch kontroversen Meinungen zu öffnen, weshalb der Saal des Z-Baus mehren fachlich exzellenten Vorträgen eine Bühne ermöglicht. Dr. phil. Annette Seidel-Arpaci hat an der University of Bradford und der University of Leeds studiert und promovierte in Jewish Studies mit einer Arbeit zu Shoah-Erinnerung, Rassismus und Antisemitismus im renationalisierten Deutschland. Sie spricht über antisemitische Verschwörungstheorien im Rap und geht der Frage nach, ob solche Texte genretypische Provokationen oder ein ernst zu nehmendes Problem darstellen. Anschließend wird Ben Salomo, einer der bekanntesten Vertreter des Deutschraps, von seinen Erfahrungen als Künstler und Veranstalter berichten. Markus Schwarz von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Bayern referiert über den Sprechgesang der extremen Rechten. Von dieser Strömung blieb unter anderem auch der Rap nicht verschont, besonders auf YouTube und anderen Musik bereitstellenden Plattformen.
Die anschließend von Machiavelli begleitete Podiumsdiskussion nimmt den Sexismus im Deutschrap in den Fokus. „Bitches“ sind eine der ersten Assoziationen eines Genrefremden mit dem Rap, was auf ein krass überzogenes, gesellschaftlich unbequemes Frauenbild verweist. Allerdings scheinen in der Szene eher die Männertypen zu dominieren, ist Deutschrap doch auch im Jahr 2020 auf allen Ebenen männlich geprägt. Inwieweit steht das einer wirklichen Gleichbehandlung der Geschlechter im Weg? Wo hat die Kunstfreiheit ihre Grenzen? Und muss man dabei auch alles ernst nehmen? Darüber diskutieren Andrea Rothaug, u.a. Geschäftsführerin von RockCity Hamburg, B-Tight, ein Rapper der alten Schule aus MTV-Zeiten, und Axel Ballreich.
Nach diesem prall gefüllten Tag rauchen natürlich die Köpfe und zur Entspannung gibt es Live-Musik von zwei jungen Musikern auf die Ohren. Einzelkämpferin Haiyti rappt sich über die Genregrenzen hinweg, vereint in ihrer Musik radikalen Party-Nihilismus mit emotionaler Tiefe und hat sich damit quer durch alle Lager Fans gesichert. Ihre Kollegen Argonautiks kommen mit einem im Boom-Bap-verwurzelten, aus Samples und synthetischen Elementen bestehenden Soundbild um die Ecke, das wie eine Antwort auf die angeblich alternative Szene wirkt. Thematisch kommen sie aus dem klassischen Battle-Rap, treffen aber inhaltlich oft einen wunden Punkt der Gesellschaft. Keineswegs verbittert, viel mehr ignorant, bodenständig und irgendwie auch ganz normal.
Am dritten und letzten Tag veranstaltet Ben Salomo einen Workshop für SchülerInnen im Saal des Z-Baus. Ihnen möchte er anhand seines Buches „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“ und persönlicher Erfahrungen nahebringen, wie gefährlich die Musikrichtung Rap sein kann, deren gesellschaftlicher Einfluss noch immer unterschätzt wird. Eine rege Diskussion mit den anwesenden SchülerInnen ist da nicht nur vorprogrammiert, sondern überdeutlich erwünscht. Auch mit Lena Stoehrfaktor, einer rappenden Underground-Größe aus Berlin, und Schlakks, einem Live-MC aus Dortmund, kann und darf diskutiert werden. Was kann die Szene heute leisten? Wie nehmen Jugendliche heute Rap und Hip-Hop war, und lebt der Empowerment-Gedanke noch, der allen eine gleichberechtigte Stimme geben wollte? PädagogInnen haben die Möglichkeit, sich im Rahmen eines fortbildenden Workshops bei dem Rapper Boshi San mit den soziopolitischen Hintergründen, kulturellen Voraussetzungen und künstlerischen Techniken von Hip-Hop auseinanderzusetzen. Für die interessierten noch-Schulpflichtigen ab 14 Jahren steht Schlakks zur Verfügung, um unter der Anleitung eines waschechten Experten einmal selbst einen Rap zu schreiben. Wer Lena Stoehrfaktor schon immer mal treffen wollte, der darf bei ihr einen Workshop zu demselben Thema besuchen.
Dr. des. Heidy Süß, die über ihr Vortragsthema ihre Doktorarbeit geschrieben hat, greift den „Bitches“-Gedanken vom Vortag auf und referiert über Geschlechter- und vor allem Männlichkeitsmodelle im Rap. Wieso geht es um Dominanz und Selbstüberhöhung auf der einen und um die Abwertung alles vermeintlich Schwächeren auf der anderen Seite?
Diesen Gedanken spinnt die daran anschließende Diskussionsrunde weiter. Wie ist das Spiel mit politischer Sprache im Hip-Hop einzuordnen, was ist sprachlich erlaubt und was nicht? Darüber debattieren Boshi San, David P. (führender Kopf der Band Main Concept) und Babsi Tollwut, ihres Zeichens glühende Feministin in der Rap-Szene. Einen Blick in die Zukunft des Deutschraps wagen die „Nürnberger Prognosen“ mit Josi Miller und Jan Wehn. Beide sind musterhafte Sprösslinge des Deutschraps und teilen im Gespräch mit Machiavelli ihre Einschätzung zur Entwicklung der deutschen Rap-Szene mit dem Nürnberger Publikum.
Die Runden Tische laufen ein letztes Mal mit zwei spannenden Diskussionsrunden zur Hochform auf. Unter der Moderation von Jonas Seetge (Sprecher des AK Festival-Kombinats der LiveKomm / HÖME) wird der Untersuchung der Bloggerin Nadia Shehadeh vom Sommer 2019 nachgefühlt. Diese hat herausgefunden, dass auf Musikfestivals, die stärker inhaltlich den Mainstream bedienen, häufiger sexuelle Übergriffe stattfinden. Begünstigt der im Mainstream angekommene Deutschrap also solche Übergriffe? Parallel dazu spricht Babsi Tollwut über die Aneignung expliziter Sprache im Rap, ob diese ein kurzfristiger Safe Space Moment sein kann und wie dieser im Spannungsfeld zwischen Kunstfreiheit und Verantwortung gegenüber dem oftmals jugendlichen Publikum einzuordnen ist. Stichwort Safe Space: wer sein erstes Konzert oder sein erstes Festival besucht, ist sich oftmals gar nicht bewusst, dass Übergriffe und Diskriminierung bei vielen Events leider an der Tagesordnung sind. Carmen Westermeier und Mirca Loth, beide versierte Berufserfahrene in der Szene, zeigen verschiedene Wege und Handlungsstrategien auf, die vor, während und nach einer Veranstaltung zu einem Safer Space für alle Anwesenden beitragen können. Auf allen Seiten der Bühne.
Puh, das war eine Menge! Zeit für den fetzigen Abschlussabend und die wohlverdiente Aftershowparty. 3Pluss, Ebow, Josi Miller und Alba, vier selbstständige Rapper aus unterschiedlichsten Milieus, sowie das VJ-Team Prizesin Haralt sorgen für langanhaltende Partylaune. Für eine offene, solidarische Gesellschaft – und ein bisschen Selbstreflexion in der Kulturszene, so die persönliche Hoffnung von Initiator Michael Weidinger.
Tickets gibt es für das gesamte Festival inklusive Konferenzveranstaltungen für 60 € (nur VVK). Das Abendprogramm des kompletten Festivals gibt es als Festivalticket für 40 € (nur VVK). Wer ausschließlich das Konferenzprogramm besuchen möchte, kann dafür jeweils Tagestickets für 15 € erwerben (nur VVK), und auch für das Abendprogramm gibt es jeweils Tageskarten ab 12 € im VVK, ab 15 € an der Abendkasse. Für Minderjährige gelten die Regelungen des deutschen Jugendschutzgesetzes.