„Wir wollen die Zeit der Romantik für die Gegenwart öffnen“, sagt die Musikwissenschaftlerin Dr. Ulrike Kienzle. Als Dramaturgin ist sie maßgeblich an der Planung der Brentano-Akademie, einer Institution der Stadt Aschaffenburg und der Dessauer-Stiftung, beteiligt. Ausgangspunkt ist Clemens Brentano (1778 – 1842), einer der bedeutendsten Dichter der Romantik, dessen Familie sehr eng mit der Stadt am Main verbunden ist. „Wir möchten einerseits an den großen Dichter und seine geistig und künstlerisch überaus kreative Familie erinnern“, ergänzt sie, „andererseits die Romantik als Geisteshaltung, verbunden mit der Neugier und der Lust, die Welt zu erkunden, neu fassen.“ Das Programm soll unterschiedliche Generationen ansprechen, verschiedene Aspekte weit über Clemens Brentano hinaus beleuchten und begleitend auch weitere Projekte anbieten. Als künstlerischer Leiter, sagt sie, sei der Tenor Julian Prégardien genau der Richtige. Der Sänger widmet sich besonders dem Genre Lied, seiner Interpretation und der daraus resultierenden Darbietung. Und hier kommt nun auch „Die schöne Müllerin“ ins Spiel. Der Liederzyklus wird in diesem Jahr 200 Jahre alt. „Jeder denkt sofort an den Komponisten Franz Schubert“, sagt Prégardien, „die wenigsten wissen, von wem die Texte sind.“ Und tatsächlich hat Wilhelm Müller seine gleichnamige Gedichtsammlung schon 1821 herausgegeben. Es lohne sich, so der Sänger, genauer auf die Texte und die Zeit der Entstehung sowie den darin verborgenen Zeitgeist zu blicken. Entstanden waren diese schon 1816, in einem kreativen, eher freigeistig improvisierenden Freundeskreis aus jungen Leuten. Darunter waren Wilhelm Müller, die Geschwister Luise und Wilhelm Hensel sowie Hedwig von Staegemann, bei der sich die Salonrunde traf. Der „verklärte“ Blick aus heutiger Sicht, stehe da eher im Widerspruch. Zu Gast war in dieser Runde auch Clemens Brentano, womit sich der Kreis zur Brentano-Akademie wieder schließt.
In einem parallel angebotenen Workshop, den Julian Prégardien ganz bewusst nicht Meisterkurs nennt, möchten der Sänger und die Dramaturgin mit den Teilnehmer:innen dem Topos der „schönen Müllerin“ nachspüren, ebenso dem kreativen Entstehungsprozess der Texte, aber auch der Musik. Eine Einladung soll das sein, die Werke mit einem frischen, in alle Richtungen offenen Blick zu betrachten. Das Genre Lied, so der künstlerische Leiter, bietet eine große Bandbreite. Prégardien sieht da ein „kreatives Spielfeld“, sich der Interpretation aus unterschiedlichen Richtungen zu nähern. Sicherlich müssen die gesanglichen Voraussetzungen da sein, wie sich jeder Einzelne aber dem Werk nähert, was er oder sie darin für die eigene Interpretation als wichtig empfindet, kann ganz individuell ausfallen. Den eigenen Zugang zu finden, dazu möchte der Sänger die Akteure einladen. Der Freiraum, den das Genre Lied den Künstler:innen bietet, sei nahezu grenzenlos, schwärmt der Sänger. „Der Workshop“ im Alten Forsthaus gibt auch interessierten Zuhörern die Möglichkeit, dem Kurs zu folgen (30. September, 18.30 – 20.30 Uhr, 1. Oktober, 12 -13 und 14 – 18 Uhr), eine Anmeldung ist erforderlich.
Ausgangspunkt sind zunächst allein die Texte, nicht das musikalische Werk. Sich in diese Zeit zurück zu denken, sei hilfreich. Mit seinem Kollegen Johannes Held, Sänger und Organisator des Liedfestival Sindelfingen, hat er daher ein Liederspiel geschrieben, das die Zeit im Staegemannschen Salon widerspiegeln soll. Mit ins Boot holen sie für die Aufführung am 2. Oktober, Beginn 20 Uhr im Alten Forstamt, Webergasse 3, Studierende der Musikhochschule Stuttgart. Über die historischen Rahmenbedingungen spricht die Musikwissenschaftlerin Natasha Loges im Anschluss mit den Ausführenden. Unter dem Motto „Die Matinee“, folgt am nächsten Tag das Abschlusskonzert des begleitenden Workshops sowie Studierenden der Musikhochschule Würzburg, unter anderem mit weiteren Werken, die dem Motiv der „schönen Müllerin“, mit oder ohne Worten folgen. Am Hammerklavier begleitet die Pianistin Els Biesemanns. Julian Prégardien und Dr. Ulrike Kienzle moderieren die Matinee (3. Oktober, 11 Uhr, Stadttheater Aschaffenburg, Bühne 1). Dem Bild des wandernden Müllers, folgt unter dem Motto „Die Wanderung“ am Nachmittag desselben Tages (13.30 Uhr bis 18 Uhr, inklusive Hin- und Rückfahrt per Bus). Ziel ist die historische Mühle Rothenbuch im Hafenlohrtal. Hier treffen die Besucher:innen auf einen jungen Müllerburschen, der eine Geschichte erzählt. Zu Ende geht das 25-Stunden-Festival um die schöne Müllerin, eine Anspielung auf Schuberts Werk-Bezeichnung als Opus 25, mit einem Liederabend. Jetzt erst kommt die Musik dazu. Julian Prégardien und Els Biesemanns interpretieren den bekannten Liederzyklus von Franz Schubert (3. Oktober, 19.30 Uhr, im Stadttheater Aschaffenburg, Bühne 1). Auch für das kommende Jahr, vom 24. bis 29. September 2024, haben die Organisatoren schon eine neue Auflage der Brentano-Akademie Aschaffenburg im Blick. Clemens Brentanos Ballade „Lore Lay“ sowie andere Werke, die das Motiv aufgreifen, sollen dann im Zentrum stehen.