Man kennt sie alle, die Dickschiffe der fränkischen Theaterlandschaft, und von ihnen ist ja oft genug die Rede. Aber es gibt daneben auch eine Vielzahl von freien Theatern, wobei frei sein meistens heißt, weitgehend frei von Subventionen zu sein.
Diese sehr spezifische Theaterszene ist so reich wie unübersichtlich. Einige Namen findet man alljährlich in den Vorschauen oder gar auf den Feuilletonseiten wieder, von anderen Adressen hört man weniger, obwohl auch sie in zum Teil entlegenen Gegenden exzellente Kulturarbeit machen. Wir werden uns in den nächsten Ausgaben von art5drei auf die Suche machen und fangen diesmal gleich an mit drei innovativen Adressen aus Mittelfranken, Unterfranken und Südthüringen.
Kultur im Grünen: Das Dehnberger Hof Theater
Der Theaterkapellmeister und Musikwissenschaftler Wolfgang Riedelbauch war Anfang der 1970er Jahre eigentlich nur auf der Suche nach einem Ort, wo er in aller Ruhe nachts Klavier spielen konnte, ohne die gesamte Nachbarschaft um den Schlaf zu bringen. Im idyllischen Dehnberg, einem Ortsteil von Lauf an der Pegnitz nahe Nürnberg, erwarb er ein altes Hopfengehöft, das zum Verkauf stand, aber sehr renovierungsbedürftig war. Gemeinsam mit vielen Freunden aus den Reihen des Nürnberger Hans-Sachs-Chores, dessen Leitung Riedelbauch zu jener Zeit innehatte, renovierte er zunächst das Wohnhaus. Nach getanem Tagwerk wurde gefeiert und musiziert. Befreundete Musiker gaben ihr Können zum Besten, jeder brachte ein paar Freunde mit, doch das Wohnhaus wurde bald zu eng. Als Weihnachten 1976 Ludwig Thomas „Heilige Nacht“ aufgeführt wurde und dazu zweimal mehrere Hundert Leute in der unbeheizten Scheune Platz finden mussten, fasste Riedelbauch den Entschluss zur Gründung des „Dehnberger Hof Theaters“.
Nach und nach wurde die alte Scheune in ein modernes Theatergebäude verwandelt, mit ansteigenden Reihen versehen und mit Bühne, Orchestergraben, gepolsterten Sitzen, Licht- und Tontechnik, Künstlergarderoben, Werkstätten etc. ausgerüstet – ein veritables Schauspielhaus! Mittlerweile hat sich das Theater zu einer weit in die Region hinein strahlenden Stätte für vielfältige kulturelle Aktivitäten etablieren können. Die Besucherzahlen steigen seit der Gründung unaufhörlich: Kamen noch 1980 ca. 6.000 Besucher, so sind es heute bereits ca. 30 000. Das Programm zieht sich durch viele Gattungen, darunter Sprech- und Musiktheater, Chor- und Kammermusik, Jazz und Blues, Country und Volksmusik, Lesungen, Kabarett und Kinder/Jugendtheater. Das Herzstück bilden dabei die Eigenproduktionen. Hinzu kommen Gastspiele von Künstlern aus aller Welt sowie theaterpädagogische Projekte.
Der malerische, kopfsteingepflasterte Innenhof ist wie geschaffen für Kulturgenuss unter freiem Himmel. Hier finden im Sommer die beliebten sonntäglichen Jazz-Frühschoppen statt und abends Musik- oder Theaterveranstaltungen. Regionale Verwurzelung spiegelt sich in den mannigfaltigen Präsentationen der fränkischen Mundart als professionelles Volkstheater wieder. Zu den erfolgreichen aktuellen Produktionen in fränkischer Mundart gehören das Kult-Musical „No woman, no cry – ka Weiber, ka Gschrei“, die Komödie „Die Fichtn im Weiher“ und „Der fränkische Jedermann“ als Freilichttheater. Im Dezember wird „Anton – das Mäusemusical“ geboten, anschließend gastieren Kabarettgrößen wie Bernd Regenauer und Klaus Karl-Kraus, und gegen Monatsende lugt einmal mehr – wie könnte es anders sein – der Weihnachtsklassiker „Heilige Nacht“ nach Ludwig Thoma herein.
Ästhetische Experimente: Die TheaterWerkstatt Würzburg
Würzburgs ältestes Privattheater kann zwar noch nicht auf eine sehr lange Geschichte zurückblicken, dafür aber auf eine sehr bewegte. Es wurde 1981 von dem in Würzburg fast als Legende gehandelten Theatermacher und „Altlinken“ Wolfgang Schulz gegründet, der 2012 starb. Er hatte in den 80er und 90er Jahren hochpolitisches Theater nach Würzburg gebracht und mit seinen Präsentationen zeitgenössischer Autoren wie Peter Handke, Martin Sperr, Herbert Achternbusch, Rainald Goetz, Heiner Müller und vor allem Thomas Bernhard manche Debatten ausgelöst. Von Anfang an war die TheaterWerkstatt, die zeitweise unter dem Namen „Werkstattbühne“ firmierte, ein Ort für anspruchsvolles literarisches Theater, politische Kontroversen und ästhetische Experimente, wobei sowohl professionelle Schauspieler als auch Amateure auf der Bühne standen.
Die größten Publikumserfolge konnte das kleine Theater (65 Plätze) allerdings mit Stücken aus dem klassischen Repertoire feiern, also beispielsweise Dramen von Lessing, Schiller und Goethe oder Werken Heinrich von Kleists und Georg Büchners. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf modernen Klassikern wie Bertolt Brecht, Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch. Die erfrischenden Inszenierungen der Werke solcher Autoren kamen beim Würzburger Publikum (darunter übrigens auch zahlreiche Schulklassen) stets sehr gut an.
Besonders stolz ist die TheaterWerkstatt darauf, schon frühzeitig die ausschließliche Fixierung auf das dramatische Repertoire aufgegeben und daneben auch die Einrichtung epischer Werke für die Bühne angestrebt zu haben. Zu nennen lassen sich verschiedene Erzählungen Franz Kafkas, George Orwells „1984“ oder die Theaterfassung von Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ (durch Cornelia Wagner). Darüber hinaus gab es häufig Collagen mit Gedichten, Balladen und Liedern, zuletzt die ebenso morbide wie frivole Revue „Greife wacker nach der Sünde“ (in der Regie von Hermann Drexler).
Die Würzburger Theatermacher räumen ein, dass es auch für sie nicht leicht ist, das Publikum für zeitgenössische Stücke zu gewinnen. Sie wollen jedoch der auf Wolfgang Schulz zurückgehenden Prägung des Hauses treu bleiben und weiterhin gesellschaftlich relevantes Theater machen, das beunruhigen, irritieren oder Gewissheiten in Frage zu stellen vermag. Die derzeit existierende Wirklichkeit, so die Überzeugung, muss nicht so alternativlos sein, wie es heute gerne suggeriert wird. Alternativen aufzuzeigen sei sowohl bei der Umsetzung von literarischen Stoffen als auch bei der Auseinandersetzung mit aktuellen Themen möglich und wünschenswert.
Ganz in diesem Sinne läuft seit 14. November in der TheaterWerkstatt Würzburg Bertolt Brechts Klassiker aus dem finnischen Exil, „Herr Puntila und sein Knecht Matti“, also eine zeitlose Satire, die veranschaulicht, wie sehr Geld und Standes- oder Klassenunterschiede die sozialen Beziehungen bestimmen. Ab 9. Januar wird dann in „Nachtgestalten“ ein „schaurig skurriles Panoptikum“ zu besichtigen sein, nämlich eine ebenso vergnügliche wie unheimliche Entdeckungsreise zur Nachtseite der menschlichen Existenz mit Texten von Heinrich Heine, Edgar Allan Poe, Christian Morgenstern, Georg Kreisler und Anderen.
Weichen stellen: Das Theater stellwerk weimar
Wenn man in einem Kulturbahnhof residiert, ist der Weg zum Weichenstellen nicht weit. Insofern lag es nahe, dass das vormalige Jugendtheater Weimar, 1999 gegründet und seit 2002 in der Spielstätte „stellwerk“ beheimatet, mit dem Umzug ins Bahnhofsareal auch seinen Namen ändern würde. Aber die Sache mit dem Namen ist beileibe keine bloße Äußerlichkeit. In der Tat geht es um das Weichenstellen, aber mit dem Fokus auf die Orientierung in den Lebenswegen Jugendlicher. „stellwerk“ geht es darum, Kinder und Jugendliche zu ermutigen, an sich zu glauben und zuversichtlich ihren persönlichen Lebensweg einzuschlagen. Durch eine Pluralität von theaterpädagogischen und künstlerischen Unternehmungen soll dabei geholfen werden.
Der das „stellwerk weimar“ tragende Verein setzt Projekte um, die sich seit vielen Jahren in der Stadt Weimar auf dem Gebiet der kulturellen Jugendbildung und der Soziokultur behauptet haben. Das von einem starken Gemeinschaftsgefühl getragene ehrenamtliche Wirken stellt die Basis des Vereins dar, die allerdings von einer hauptamtlichen Struktur unterstützt wird. Entsprechend besteht auch das Ensemble aus nichtprofessionellen Spielern und Spielerinnen, die unter professioneller Anleitung auf der Bühne agieren. Der Spielplan des Theaters beruht auf Inszenierungsprojekten, an denen sich die Jugendlichen gemäß eines Baukastensystems aus den Bereichen Bühnendesign, Ausstattung, Tonproduktion, Lichtkonzept und Regieassistenz beteiligen können. Jedes Halbjahr präsentiert das stellwerk bei seinem Festival „Unterm Strich“ die Ergebnisse der wöchentlich stattfindenden Werkstätten, was den jungen Talenten die Möglichkeit gibt, dem Publikum zu zeigen, was sie mit ihren Kursleitern in den vergangenen sechs Monaten erprobt haben.
Die Spielzeit 2015/16 wurde unter das Motto (besser: die Aufforderung) „Verrückt Euch“ gestellt. Nachdem im November vor allem die preisgekrönte Version von „Die Räuber“ – sehr frei nach Schiller – zu sehen war, widmet sich stellwerk im Dezember mit dem Stück „Abräumen“ den Allerkleinsten, während die nicht mehr ganz so Kleinen sich mit dem „Dschungelbuch“ befassen dürfen. Sehr phantasievoll geht es in „Der Zauberer von Oz“ zu, einer märchenhaften Geschichte aus der Neuen Welt, die fest im Spielplan steht und daher regelmäßig zu sehen ist.
Copyright Fotos:
stellwerk, Vergraben, Foto © Marius Luhn
stellwerk, Beheimaten, Foto © Marius Luhn