Grenzüberschreitungen sind die Triebfedern des Nachsommer Schweinfurt, musikalisch und in der Wahl der Spielstätten. Auch in diesem Jahr präsentiert das „Festival der Grenzüberschreitungen“, seit nunmehr 17 Jahren fester Bestandteil der fränkischen Kulturlandschaft, wieder ein spannungsvolles Programm zwischen Jazz, Klassik, Weltmusik und Percussion – 2016 mit einer Extraportion Frauenpower – was nicht nur gesangliche, sondern auch optische Leckerbissen verspricht. Und somit für weibliches wie gleich doppelt für männliches Publikum Spannung verspricht.
Es ist nur ein kleiner Schritt für die Besucher, aber ein großer Schritt für den Nachsommer Schweinfurt: Der langjährige Partner SKF räumt seine Halle 411, die sich an das gewohnte Foyer der SKF Halle 410 direkt anschließt, für einen Monat leer und stellt sie dem Festival als exklusive Spielstätte zur Verfügung. Eine unglaubliche Halle mit 600 Plätzen und jenem vertrauten Industriecharme, der Künstler und Besucher immer wieder begeistert. Damit verfügt der Nachsommer über einen Konzertraum mit ansteigenden Sitzreihen für sein Herzensanliegen: Die Grenzüberschreitung von Industrie und Kultur. Dennoch bietet die außergewöhnliche Location auch weiterhin einen intimen Rahmen für grenzüberschreitende Konzerte. Hier wird 2016 nicht nur die erste Auftragsproduktion der Stadt für den Nachsommer – die Crossover-Show „Fuck You Wagner!“ von den Breakdancern der DDC und Christoph Hagel – das Festival eröffnen und die neue Halle 411 einweihen, sondern es werden zahlreiche weitere bekannte Künstler erwartet. Allen voran Schauspielerin und Sängerin Jasmin Tabatabai, die mit dem David Klein Quartett auf Tour zum neuen Album auch nach Schweinfurt kommt. Soul-Jazz-Sängerin Malia wird beim Nachsommer zu Gast sein und einen Querschnitt ihres bisherigen musikalischen Schaffens auf die Bühne bringen. Power! Percussion kommen nach zehn Jahren Nachsommer-Abstinenz zurück und auch die Puppini Sisters aus London freuen sich auf die neue Halle. Außerdem dabei sind Norwegens Star-Trompeterin Tine Thing Helseth und ihr zehnköpfiges Frauen-Brassensemble tenThing, die junge A-cappella-Gruppe Sjaella und das Johanna Juhola Reaktori Quartett, bei dem Tango auf finnische Folkmusik und elektronische Elemente trifft. Tango, verbunden mit klassischer Musik, gibt es in diesem Jahr auch in der Kunsthalle bei der Matinee mit dem Trio Neuklang.
Sie ist seit Jahren eine derer, die die Journalistenschar der Republik Purzelbäume schlagen lässt: Jasmin Tabatabai. Seit sie 2011 erstmals das Jazzterrain betrat, sind sich die Kritiker einig: Ein großartiges Album, eine Offenbarung; beim ECHO Jazz Award wurde die JazzNewcomerin 2012 als „beste nationale Sängerin“ ausgezeichnet. Fünf Jahre und an die hundert Konzerte später ist aus der prickelnden Affäre zwischen Jasmin Tabatabai und dem Jazz eindeutig mehr geworden. „Das ist jetzt eine sehr ernsthafte Liebesbeziehung“, sagt die Sängerin, „man kann sich ungeschminkt zeigen und muss keine Angst davor haben, dass der andere sofort wieder abhaut.“ Dieses liebevolle Vertrauen ist in jedem Takt, in jedem Atemzug auf „Was sagt man zu den Menschen, wenn man traurig ist“ zu hören, dem zweiten gemeinsamen Album von Tabatabai und David Klein. Noch vielschichtiger und mutiger als beim Erstling ist die Stückauswahl, die diesmal einen Bogen von den 1930er Jahren und Kurt Weill über Tabatabais englische Rock-Hymnen aus den 1990ern bis hin zum französischen Chanson und persischer Folklore schlägt - da blüht die Deutsch-Iranerin gleich doppelt auf.
Nicht minder verachtenswert: Malia. Die ausdrucksstarke, soulig-jazzig geprägte Malawierin, die mit 14 Jahren nach London immigrierte, gilt als eine, die einem Genre neues Leben einhauchte. Seit sie 2002 in Zusammenarbeit mit Produzent André Manoukian ihr Debütalbum „Yellow Daffodils“, mit dem sie sich auf Anhieb einen Namen in der internationalen Jazz-Szene machte, veröffentlichte, ist die vielseitige Sängerin in aller Munde. Sie hat etwas Zerbrechliches in der Stimme, eine gewisse Zurückhaltung und Unschuld. Sie verkörpert eine unglaubliche Mischung aus klassischer Zeitlosigkeit und höchst brisanter Modernität, so schwärmt die Fachwelt von der gebürtigen Afrikanerin mit der prägnanten, warmen Stimme, die auch und gerade live eine äußerst sensitive und doch intensive Spannung auf die Bühne zaubert.
Ganz anders und doch so ähnlich sind Sjealla. Die Leipziger A-cappella-Formation fasziniert seit mittlerweile mehr als einer Dekade mit lupenreinem Gesang quer durch alle Epochen. Inzwischen „gealtert“, die Kombo ist gerade einmal Mitte zwanzig, begeistern sie nach wie vor das Publikum. Den Zuhörer erwartet ein Programm, in dem Sjaella die Grenzen zwischen den Genres gekonnt zerfließen lässt und fünfstimmig ganze Klangwelten erschafft. Ihr Debüt „Sjaella“ (2011) und das folgende Album „Preisung“ mit zeitgenössischer Vokalmusik und Widmungskompositionen (2014) wurden von der Fachpresse hoch gelobt. Im November letzten Jahres betrat Sjaella neue musikalische Ufer mit dem Jazz-Album „lifted“.
Johanna Juhola Reaktori – das sind vier junge Musiker und Musikerinnen aus Finnland, die mit einer unglaublichen Leichtigkeit eine moderne musikalische Fusion aus Tango, Tradition und Electronica interpretieren. Das Quartett wechselt dabei von kammermusikalischen Folkmelodien zu Off-Beat-Elektronik, von bewusst einfach zu aufregend virtuos, und bleibt dennoch immer seinem Stil treu. Weltmusik, die wirklich Grenzen überschreitet! Die charismatische Akkordeonistin Johanna Juhola beschwört so eine magische Welt herauf, die die Tangosäle von Buenos Aires mit den dunklen finnischen Wäldern verschmelzen lässt.
Die Finnen sind nicht die einzigen nordischen Perlen, die der Nachsommer präsentieren kann. Zehn Blechbläserinnen in einem Ensemble, das ist Frauenpower mit Brass! 2007 von der norwegischen Startrompeterin und ECHO-Gewinnerin Tine Thing Helseth gegründet, steht tenThing für eine neue, aufregende Generation BlechbläserInnen. Tine Thing Helseth (*1987) spielt seit ihrem siebten Lebensjahr Trompete und gehört heute zu den besten SolotrompeterInnen der Welt. Noch immer ist ein rein weiblich besetztes Blechblas-Ensemble kein gewöhnlicher Anblick im klassischen Konzertbetrieb, doch gemeinsam stürmen die zehn Musikerinnen an Tuba, Posaunen, Horn und Trompeten die Bastion, die gemeinhin Männern vorbehalten schien, mit Können, Charme und Witz. Die Besetzung erlaubt es der Gruppe, neben Klassikern der Blechblas-Literatur auch große Orchesterwerke spielen zu können. Auf dem Programm stehen Werke von Edvard Grieg, Georg Friedrich Händel und Wolfgang A. Mozart, aus Kurt Weills „Dreigroschen-oper“, von Aaron Copland und Astor Piazzolla, aus Bizets „Carmen“ und Bernsteins „West Side Story“.
Und noch mehr Frauenpower gibt es in Schweinfurt zu sehen: Swingend und rockig, sexy und exzentrisch – das sind die Puppini Sisters aus London. Mit ihrer von der Swing-Ära geprägten Popmusik sowie ihrem Sinn für Glamour und Unterhaltung führen Marcella Puppini, Kate Mullins und Emma Smith die RetroWelle der letzten Jahre an. Nun, zum zehnjährigen Bandjubiläum, präsentieren die drei ausgebildeten Sängerinnen ein neues Album: „The Highlife“ bringt Hits der 1930er bis 1950er Jahre genauso wie Popklassiker und aktuelle Charthits, die im Puppini-Stil arrangiert wurden. Spätestens seit ihrem Sprung in die Top Twenty der britischen Albumcharts und den mehrfachen Gold- und Platin-Auszeichnungen sind die Puppini Sisters aus der kreativen englischen Musikwelt nicht mehr wegzudenken. Sie selbst nennen ihren Stil „Vintage-Swing-Pop“, lassen den Sound der 1940er und 50er aufleben und blasen ihm frischen Wind ins Gesicht. Ihre Konzerte begeistern Jazzfreunde, Nostalgiker und junges Publikum gleichermaßen. Die Shows der drei perfekt gestylten Grazien und ihrer Begleitband sind überaus charmant, frech, frisch und elektrisierend.
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Johanna Juhola Reaktori, Foto © Pressefoto