Alex Christensen ist einer derjenigen Produzenten und Musiker, die sich welt- und genreweit einen überragenden Namen erarbeitet haben. Der 56-jährige Hamburger genießt in der Branche nicht nur den Ruf, einer der begnadetsten Kreativköpfe zu sein, sondern vor allem auch seine Bodenständigkeit nie verloren zu haben. Seit er 1991 mit dem U96-Klassiker „Das Boot“ erstmals richtig von sich reden machte, hat er Hits für unzählige Künstler geschrieben. Er gilt als Wegbereiter des modernen Techno und gleichzeitig als entscheidender Kopf der momentan in Retro-Version wieder in sämtlichen Radiostationen und Konzertbühnen anzutreffenden Euro-Dance-Kultur. Vor seinem Gastspiel mit dem Berlin Orchestra in der Nürnberger Meistersingerhalle am 23. Mai hat sich der Produzent Zeit für Art.5|III genommen, um über alte Zeiten, die Gegenwart und natürlich auch das, was kommt zu plaudern. Dabei überrascht er mit der ein oder anderen Anekdote.
Ich bin in Hamburg. Heute Abend geht es nach Frankfurt. Zuvor habe ich noch das ein oder andere Interview. Ein Tag zuhause ist auch einmal schön.
(lacht herzlich) Anscheinend ja.
Ganz neutral betrachtet, finde ich die Show wirklich Klasse. Es ist ein einmaliger Moment, die 90er-Jahre zusammen mit einem Orchester und Dance-Musik zu genießen. Das ist auch ein schönes Alleinstellungsmerkmal. Da bin ich schon stolz drauf.
Genau (lacht).
Der Titel gehört ja zu meiner Person dazu, er hat mich nach oben gespült und mich an die Oberfläche gebracht. Vorher war ich ein Vorstadt-DJ oder ein Hamburger DJ. Das Boot hat mich damals in andere Dimensionen katapultiert. Damit hatte ich auch überhaupt nicht gerechnet. Das Schönste an diesem Orchesterprojekt ist, dass man so in Würde altern kann. Man erweitert sein Publikum, Familien bringen ihre 18-jährigen Kinder mit. Wenn du in einem Club auflegst, bleibt das Alter stehen. Die Altersspanne liegt zwischen 17 und 23 Jahren und das bleibt auch immer so. Als DJ wird man immer älter. Irgendwann wird man gesiezt und man überlegt, ob das geil ist und man es mag oder ob man sich anders orientieren will. Ich finde, dass ich das mit meinem Orchester ganz gut hinbekommen habe. Ich finde das sehr würdig.
Sie sprechen mit einem Täter (schmunzelt). Es gibt schon ganz unterhaltsame Sachen aus dem Bereich.
Es ist wirklich so. Daran sieht man ja auch, dass wir in den 90ern irgendwas richtig gemacht haben. Es kann ja nicht so daneben gewesen sein, sonst hätten Scooter, DJ Bobo und ich gar keine Existenzberechtigung mehr. Aber anscheinend war das halt doch nachhaltiger, da freut man sich dann umso mehr. Das hatte man in dem Moment ja gar nicht im Blick.
Das ist schwierig zu beantworten. Sobald ich Musik höre, bin ich in einer Art Analysemodus. Ich bin natürlich mit Künstlern wie Human League, Soft Cell, Bob Marley, Culture Club und Ultravox aufgewachsen und habe diese Musik konsumiert. Meine Schaffensphase war dann in den 90ern. Ich bin definitiv von den 80ern beeinflusst, insbesondere von Disco-Acts, die heute kaum noch jemand kennt, wie Patrick Cowley und solche Sachen. Das war die Musik, die ich total gefeiert habe. Aber ich neige dazu, Musik eher analytisch zu betrachten, selbst wenn ich sie genießen möchte, falle ich in diesen Modus. Ich höre mir auch neue Sachen an. Jeden Freitag höre ich mir die Neuerscheinungen an. Aber es gelingt mir nur noch selten, mich dabei einfach fallen zu lassen und die Musik zu genießen.
Ich vergleiche das immer etwas mit Mode. Das Modekarussell dreht sich ja auch immer wieder im Kreis. Da kommen die Schlaghose, dann das Top, dann die kurze Hose. Es sind immer Nuancen, die sich ändern. In der Musik ist das ähnlich. Wenn du ein Cover machst, hast du eine gewisse Thermik. Ein paar Leute kennen es schon und du fütterst damit einen Algorithmus, der dann auch bei den Streamingplattformen ankommt. Der Algorithmus ernährt sich davon, dass er kopiert wird. Und nochmal kopiert. Die Schlagdistanz der Coverversionen ist daher weit höher geworden als sie es noch in der analogen Zeit war. Wenn man neue Musik hören will, gibt es aber immer noch Nischen, in die man reinhören kann, und dann findet eigentlich jeder, was er möchte.
Sowohl als auch. Spotify ist unheimlich bequem, finde ich. Du hast jeden Song der Welt verfügbar und musst nicht mehr recherchieren, um ihn zu finden, zu bestellen und zu warten. Es gibt kaum Songs, die du dort nicht findest. Ich lasse mich gerne darauf ein. Wenn ich meine Playlist durchhabe, werden mir automatisch neue Sachen vorgeschlagen. Dabei fällt mir immer wieder auf, dass dieser Algorithmus meinen Geschmack recht gut trifft. Das finde ich schon erstaunlich. Aber auch so ein Abend, an dem ich nach Hause komme, das Telefon ausschalte, mir ein schönes Getränk nehme, eine Schallplatte herausnehme, sie schön sauber mache und die Nadel auf das Vinyl lege, um das ganze Album von vorne bis hinten 25 Minuten lang anzuhören, das genieße ich ebenfalls sehr. Das kann man so richtig schön zelebrieren.
Man darf nicht an Dingen hängen. Es ist auch nur Vinyl. Das finde ich gut. Ich habe mich auch von 80 Prozent meiner Schallplatten getrennt. Aber ich hatte halt auch so 50.000. Unzählbar.
Erstaunlicherweise habe ich mich mit fast allen getroffen. Mit Jarre habe ich mich in Hamburg getroffen, Moroder habe ich getroffen, bei Kraftwerk kann es sein, dass ich sie getroffen habe. Das weiß ich gar nicht, aber wir sind beide bei Sony Music unter Vertrag. Jarre habe ich Mitte der 90er-Jahre in Hamburg getroffen, und wir hatten gesagt, dass wir etwas miteinander machen. Damals hatte ich ein paar Vorschläge gemacht, darunter auch ein gemeinsames DJ-Set. Da war er noch nicht ganz so weit. 20 Jahre später hat er es dann gemacht. Ich glaube, dass ich damals mit meinen Ideen etwas vorschnell war. Ich bin ein großer Fan von ihm; er hat hervorragende Musik gemacht. Aber das war wohl etwas zu früh. Man ist ja manchmal logistiktechnisch seiner Zeit voraus, und das war einfach zu früh. Giorgio Moroder ist für mich ein Riesenvorbild, eine Produzentenikone. Allein die Donna Summer-Sachen, die er produziert hat, sind Musikgeschichte. Manchmal bin ich eher der Meinung, dass ich mit von mir bewunderten Leuten nichts machen möchte, weil die Bewunderung dann so normalisiert wird. Manchmal ist es schön, wenn man Idole hat und diese als Idole bestehen lässt, ohne immer gleich mit ihnen zusammenzuarbeiten. Das finde ich eigentlich ganz gut. Natürlich trifft man sich immer wieder, wenn man so lange im Geschäft ist.
Das habe ich ehrlich gesagt nicht mehr. Ich versuche mich jetzt darauf zu konzentrieren, mein eigenes Projekt voranzutreiben, weiterhin mit dem Orchester neue Sachen zu erschaffen und langfristig auf Tour zu gehen. Das ist mein Hauptziel. Sicher werde ich zwischendurch auch mal ein Album machen. Aber ich bin nicht mehr in der Mühle, jeden Monat ein Album für einen Künstler produzieren zu müssen. Das habe ich lange gemacht und es hat Spaß gemacht, aber für mich ist die Deckenhöhe erreicht. Natürlich, wenn jemand außerirdisches wie Coldplay oder Taylor Swift anrufen würde, könnte man nicht nein sagen. Aber da muss man realistisch sein. Man müsste sich dafür auch intensiv bemühen, und im Moment habe ich dafür nicht die Zeit.
Genau. Sie haben "Every Teardrop Is a Waterfall" basierend auf "Ritmo de la Noche" gemacht. Und wir haben uns freundschaftlich darauf geeinigt, dass wir zusammen das Copyright geschrieben haben, da wir ja nett zueinander sind (grinst). Das freut mich jedes Mal. Danach war ich noch mehr Fan von Coldplay. Wenn sie irgendwo auftreten, bekomme ich immer ein paar Cent, das ist schon herrlich.
Einerseits bin ich ja auch ein Lieferant für Cover-Versionen. „Around the World“ ist so ein Beispiel. Es gibt sogenannte Recreations bei TikTok. In diesem Fall gibt es 143.000 verschiedene Versionen, das ist völlig verrückt. Wenn ich also einen Song covern möchte und dort anrufe, kenne ich oft jemanden von irgendwoher. Ich bin bei einer Bravo-Super-Show in den 90er-Jahren mit Take That aufgetreten, und wir haben an der Bar gesessen. Dann ist es schon einfacher, wenn du bei Gary Barlow anrufst und fragst, ob wir mal etwas gemeinsam machen wollen. Er fragt dann, wer du bist. Und dann erinnerst du ihn an den Abend, wie wir gefeiert haben. Dann sagt er nur: Klar, machen wir etwas zusammen. Das hilft natürlich, wenn man ewig dabei ist und immer wieder Menschen trifft. Dadurch ist es mir vielleicht auch vergönnt, die ein oder andere Coverversion früher zu bekommen als andere.
Ich glaube eher an Wahrscheinlichkeiten. Schicksal spielt irgendwo immer eine Rolle. Wenn ich das mit Golf vergleichen darf: Wer viel spielt, hat viel Glück. Wer viel produziert, hat viel Glück. Da kann man sein Schicksal auch etwas beeinflussen. Und auch Schicksalsschläge kann man etwas beeinflussen, mit guter Ernährung, Bewegung, seelischer Zufriedenheit und ein wenig innerem Frieden. Dadurch wird man dann auch etwas älter, nehme ich an. Dahingehend kann man das Schicksal etwas beeinflussen.
Auffällig, oder? Vermessen müsste ich sagen, dass wir das genau so geplant hatten. War aber nicht so. Bei meinem und meiner Frau ihren chaotischen Lebensläufen, wir sind ja beide Künstler, ist das nur die halbe Wahrheit. Als mein Sohn geboren wurde, und auch davor, war ich sehr gut mit Boxer Dariusz „Tiger“ Michalczewski befreundet. Und das war so die Idee für den Namen. Dass es einen Tiger Woods gibt, haben wir später auch festgestellt. Dass unser Sohn dann Golf spielt, ist auch nett. Aber er hat auch Kung Fu gemacht und Fußball gespielt, ist aber beim Golf hängen geblieben. Und er spielt gut Klavier. Es erleichtert zwar, wenn man das Gleiche macht, aber es schwebt auch immer so ein bisschen wie ein Schatten über einem. Ich habe irgendwann mit Sean Lennon etwas gemacht, dem Sohn von John. Der redet genauso, sieht genauso aus, hat die gleiche Stimme. Das ist schon ein riesiger Schatten, der ihm folgt. Ich will mich jetzt auf keinen Fall mit John Lennon vergleichen, aber die Idee, dass dein Kind das Gleiche macht, kann echt mühsam sein. Daher bin ich echt stolz auf ihn, dass er etwas Eigenes geschaffen hat.
Ich war ja schon öfter in Nürnberg. Und Sie haben es ja gesagt: In Nürnberg war damals so ein bisschen der Mittelpunkt der Eurodance-Geschichte. Captain Hollywood hatte damals seine Tanzschule dort, oder?
Das war schon eine pulsierende Szene damals. Schön, in der alten Zeit zu schwelgen. Immer wieder überraschend.
Sowohl als auch. Es ist natürlich die einmalige Chance, die 90er zusammen mit einem Orchester zu erleben. Und mit einem DJ, der in dieser Zeit involviert war. Und ich bin schon ein sehr aktiver DJ. Ich singe, ich moderiere, ich spiele Musik, ich tanze sogar. Ich mache alles in dieser Show, weil ich mich natürlich auch gerne selbst auf die Schippe nehme. Die Show ist auch echt lustig. Für jeden ist es so, dass man seine Zeitleiste überlegt: Man hat zu jedem eine Erinnerung. Da habe ich das erste Mal eine Frau geküsst, da habe ich aufgelegt, da habe ich mir eine Kassette gekauft und so weiter. So geht man aus der Show raus und hat seine Erinnerungen. Du hörst all diese Titel mit einem riesigen Aufwand. Da strahlst du dann noch einen Tick mehr, wenn du rausgehst.
Das freut mich zu hören. Dann bis dahin! Grüßen Sie mir Nürnberg!