Es gibt Inszenierungen, die durch besonders gewagte oder originelle Szeneneinfälle und Bildfindungen in Erinnerung bleiben. Wer sich als Regisseur eher an einer konsequenten Personenführung und einer stimmigen Einlassung auf die Affektenlage der Protagonisten orientiert, fällt mit seiner Arbeit vielleicht weniger auf, kommt aber den wirklich wichtigen Dingen in der Opernregie näher.
Bernhard F. Loges, Intendant des Coburger Landestheaters, das noch bis zum Mai im renovierungsbedürftigen Haus am Schlossplatz spielen darf, hat diese bewährten Strategie auch bei seiner neuesten Inszenierung verfolgt, die dem Repertoire-Klassiker „Lucia di Lammermoor“ von Gaetano Donizetti galt. Das wirkt sich besonders eindrucksvoll bei der Positionierung der Hauptfigur aus, also der Lucia.
Wie einfach wäre es gewesen, die wohlfeile Aktualisierung in der Welt heutiger Parallelgesellschaften zu suchen, wo die Ausgangslage des Plots – für eine junge Frau wird gegen ihren Willen eine Ehe mit einem ungeliebten Mann arrangiert – häufig genug anzutreffen ist. Doch Loges belässt das Stück in seiner Epoche, wohlwissend, dass die besagte Ausgangslage zu allen Zeiten aktuell war und wohl auch bleiben wird.
Bühne (Gabriel Insignares und Sandra Münchow) und Kostümierung (ebenfalls Sandra Münchow) situieren diese „Bride of Lammermoor“ in ihre von Walter Scott vorgegebene Ursprungszeit, also in das adelige Schottland vom Anfang des 19. Jahrhunderts. Dort sind die heiratspolitischen Kalamitäten der Adelsgesellschaft genauso ausgeprägt wie andernorts, Vernunftehen sind also der Normalfall.
Nicht für Lucia, die den Tod einer ungewollten Verbindung vorzieht und darüber schon recht bald wahnsinnig wird. Aufgrund unglücklicher familiärer Schicksale ist sie, wie der Intendant in seiner Einführung im Programmheft (mit dem Titel „Ein Fanal des Widerstands“) schreibt, „von Anfang an zur Hysterie prädestiniert“. Um das eindringlich zu vermitteln, braucht man eine Sopranistin wie Dimitra Kotidou.
Immerhin geht es ja bei Donizettis Lucia um eine Partie, die aufgrund ihrer enormen Schwierigkeiten so gefürchtet wie geliebt ist und von den ganz großen Diven der Gesangskunst – wie der Callas – in unvergessenen Interpretationen gestaltet wurde. Da gilt es „mitzuhalten“.
Dass der griechischen Koloratursopranistin dies gelingen würde, deutete sich gleich eingangs an, doch die eindrucksvolle Bestätigung ihrer hohen Gesangskunst kulminierte vor allem im dritten Akt in der „Wahnsinnsarie“ und der bewegenden Partie, die von der Glasharmonika (Martin Hilmer) begleitet wird. Welche Sicherheit in den riskanten Sprüngen, welch schöne Pianissimi, welche Kraft in den Spitzentönen!
Die übrige Besetzung, fast ausnahmslos männlich, stand dem in nichts nach, doch die Auswahl überraschte durch ihre Tendenz zum Heldenhaften. Stimmgewaltig der Enrico Daniel Carisons und der Edgardo Jaeil Kims, ebenfalls robust der Raimondo von Bartosz Araszkiewicz, doch mit runderem Timbre. Nicht zu vergessen Coburgs Alleskönner Dirk Mestermacher als Normanno.
In eigentümlichem Kontrast zu dem recht massiven Klang der Stimmen, die für den Coburger Theaterraum fast zu groß waren, ließ der Dirigent Johannes Braun das Orchester musizieren, nämlich in zurückhaltendem Konversationston. Das war allerdings eine so perfekte wie schöne Grundierung einer überzeugenden Inszenierung. Die ist noch mehrere Male zu sehen, weshalb die Fahrt nach Coburg unbedingt lohnt.