Die Bandbreite der Bamberger Universitätsmusik wird immer größer, zumal im symphonischen und oratorischen Bereich. Das bezieht sich ebenso auf die Stilepochen wie auf die Größe der Besetzungen. Mittlerweile hat man selbst vor einer Mahlersymphonie keine Bange mehr, andererseits wagen sich Universitätsorchester und -chor sowie auswärtige Gäste auch an sehr spezifische Werke der so genannten Alten Musik. Das meint in der Regel alles vor Bach Komponierte, also vor allem die Musik der Spätrenaissance und des Frühbarock.
Aus dieser Zeit stammt auch der Vespro della beata vergine von Claudio Monteverdi, der eingedeutscht in der Regel unter ’Marienvesper’ firmiert. Das geistliche Werk wurde jetzt zum 4. Advent am einzig richtigen Ort universitärer Zugehörigkeit aufgeführt, nämlich in der ehemaligen Dominikanerkirche alias Universitäsaula, der früheren Heimstatt der Bamberger Symphoniker. Der besitzt für die Marienvesper nicht nur die richtige Atmosphäre, sondern auch eine fast ideale Akustik.
Universitätsmusikdirektor Wilhelm Schmidts hat neben den Mitgliedern seines Uniorchesters und dem universitären Kammerchor, einer Art Favoritchor, weitere Instrumentalisten hinzugezogen, die entweder zu den Spezialisten der Alte-Musik-Szene gehören und/oder sehr spezielle Instrumente wie die Theorbe oder den Zink beherrschen (Concerto dei venti). Besonders gespannt sein durfte man aber auf illustre Gäste aus Leipzig: das A-capella-Ensemble Amarcord, das zu den derzeit führenden Vokalquintetten gehört.
Nach dem intonatorischen Ruf des Solotenors geht es in der Marienvesper gleich in die Klangfülle des groß besetzten Responsoriums, das von den geradezu betörenden Klängen der Zinken bekrönt wird. Im Dixit Dominus lässt sich bereits eine beeindruckende stimmliche Vielfalt entdecken, angefangen mit dem Paar der Sopranistinnen (Franziska Bobe und Anna Nesyba). Ihre schlanken und timbreschönen Stimmen erwiesen sich als eine ideale Auswahl für frühbarocke Musik. Dass sich im anschließenden Nigra sum kein textbedingter Protest meldete, lässt darauf schließen, dass die Anhängerinnen der cancel culture kein Latein können. Wir lassen das hier mal unübersetzt…
Dann treten zwei der Sänger von Amarcord hinzu und sorgen für weiteren stimmlichen Glanz. Im duettierenden Pulchra es zeigte sich überzeugend, wie ideal die beiden Sopranistinnen aufeinander abgestimmt sind. Da will keine dominieren. Ganz so ausgewogen ging es später im Duo Seraphim nicht zu, denn der Primtenor war eindeutig führend – doch mit welcher Stimmkultur! Dass alle Lande „voll seines Ruhmes“ seien (Plena est omnis terra gloria eius), wird hier mit Nachdruck zum klanglich gesteigerten Erlebnis.
Das Nisi Dominus ist ein zentrales Chorstück und deshalb auch die Probe auf’s Exempel für den Kammerchor, dessen Mischung aus jungen und erfahrenen Stimmen eine intonationssaubere und einsatzsichere Interpretation garantierten. Für das echoartige Frage/Antwort-Spiel im Audi coelum bot die vormalige Dominikanerkirche einen idealen responsorischen Platz im hinteren Seitenschiff. Dieses eingeschobene geistliche Konzert endete mit einem vom Chor sanft deklamierten Benedicta es, virgo Maria.
Im Laude Jerusalem ist prächtiger Lobgesang zu hören, anschließen mit der Sonata sopra „Sancta Maria“ eines jener Stücke, mit denen sich im Italien des beginnenden 17. Jahrhunderts virtuose Instrumentalmusik von den vokalen Vorwürfen zu emanzipieren trachtete. Und da spielen die Zinke als Vorläufer spätbarocken Trompetenglanzes eine besonders wichtige Rolle, vor allem wenn sie auch so virtuos gespielt werden wie von Martin Bolterauer, Matthjis Lunenburg und Dorothea Lieb. Letztere mussten später (im Magnificat) noch zu den barocken Blockflöten greifen. In das Stück findet sich das Mariengebet als Cantus planus eingewebt.
Mit dem Hymnus Ave maris stella und dem abschließenden Magnificat kommt die Veneration der Maria erst richtig zu sich. Schön wird das Quia respexit von den Männerstimmen deklamiert, und die langen Melismen auf das Gloria Patri sorgen gegen Ende für viel Emphase. Wieder werden die Echowirkungen räumlich in Szene gesetzt, und man stellt sich unwillkürlich die Klangpracht im venezianischen San Marco vor. Doch die Dominikanerbau kann da mithalten, denn er ist – freilich unter anderen akustischen Voraussetzungen als zu Zeiten symphonischer Präsenz – ein idealer Ort für die Musik des Frühbarock geworden.
Es ließe sich noch über manche bemerkenswerten Details dieser tief beeindruckenden Aufführung berichten, die von Wilhelm Schmidts und seinen Ensembles vorweihnachtlich realisiert wurde, zeitgleich übrigens mit der Aufführung von Bachs Magnificat in der Stephanskirche. Belassen wir es bei der summarischen Feststellung, dass in der voll besetzten Universitätsaula tiefe Beeindruckung zu verspüren war.