Das Museum im Kulturspeicher Würzburg, ein ehemaliger und nun denkmalgeschützter Getreidespeicher am Alten Hafen der unterfränkischen Bischofstadt, präsentiert die Städtische Sammlung Würzburg sowie Europas größte Sammlung Konkreter Kunst nach 1945. Seit Anfang März hat das Kunstmuseum mit Dr. Marcus Andrew Hurttig einen neuen Direktor. Der promovierte Kunsthistoriker hat nach seinem Studium zehn Jahre an der Hamburger Kunsthalle als freier Wissenschaftler gearbeitet, bevor er ins Leipziger Museum der Bildenden Künste wechselte, wo er, ebenfalls zehn Jahre lang, als Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst angestellt war. Auf unsere Frage, warum nach Hamburg und Leipzig nun ausgerechnet Würzburg, antwortete er: „Ich hatte eigentlich nie vorgehabt, Museumsdirektor zu werden. Aber irgendwann stellte sich für mich heraus, dass ich gerne auch Institutionen gestalten wollte, nicht nur Ausstellungen.“ Dieser Wunsch hat sich für Dr. Marcus Andrew Hurttig mit seiner neuen Position als Direktor des Museums Kulturspeicher Würzburg nun erfüllt. Wir haben uns mit ihm getroffen, um über seine Pläne und Visionen für das Museum zu sprechen.
Definitiv von der reinen Kunstgeschichte wegzukommen und mehr am politischen Diskurs teilzuhaben. Als Museumsdirektor und Ansprechpartner des Würzburger Stadtrates kann und muss ich mich mit den wichtigen Themen Nachhaltigkeit, Projektorganisation, die Frage nach Leihgaben oder klimabewusstem Kuratieren bis hin zu Sachen wie Stress- und Überstundenvermeidung oder Senkung der Krankheitsquote bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beschäftigen. Dabei ist es wichtig, eine gute Strategie zu haben und konkrete Überlegungen zu entwickeln, wie die Institution gestaltet werden kann und was für Rahmenbedingungen es geben muss. Mich neben der Kunst auch mit diesen Dingen auseinanderzusetzen, das reizt mich sehr.
Vor allem die Architektur, auch wenn man das vielleicht im ersten Moment nicht annehmen würde. Museumsgebäude altern. Die große Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, wie man das Museum nachhaltig gestalten kann. Und hier spielt nicht nur die Planung, also etwa Überlegungen zu Technik und Kosten, eine Rolle. Es eröffnen sich auch andere, ganz aktuelle Fragestellungen: Mit wem muss in der Politik geredet werden? Welche Anträge muss man wo stellen? Hat man sich, wie ich, in erster Linie mit der Kunst an sich auseinandergesetzt und Ausstellungen realisiert, sind diese Dinge neu. Das ist, würde ich sagen, die größte Herausforderung meines neuen Tätigkeitbereichs, aber auch die schönste.
Ich möchte eine Handschrift hinterlassen, die für Wiedererkennbarkeit sorgt. Und diese Wiedererkennbarkeit wird sich, so komisch das jetzt vielleicht erstmal klingen mag, daraus ergeben, dass wir sehr widersprüchlich sein werden. Das heißt: Wir werden uns nicht auf Stilrichtungen festfahren, auch wenn diese historisch bedingt einen Schwerpunkt in der Sammlung darstellen. Wir haben viel abstrakte Kunst, das bedeutet aber nicht, dass wir nur abstrakte Kunst ausstellen sollten.
Unser Anspruch ist es, als Museum die Vielfalt der Kunst zu ermöglichen. Eine große Leistung, die ich mir in diesem Zusammenhang vorgenommen habe, ist, das Museum im Kulturspeicher national und international zu verstandorten. Gleichzeitig ist es natürlich wichtig, die Kunstschaffenden vor Ort hier in Würzburg bzw. allgemein in Unterfranken nicht vor den Kopf zu stoßen. Hier kann man die Widersprüchlichkeit, von der ich eben sprach, unmittelbar erkennen: Global und lokal zu denken, ist zwar ein Gegensatz, aber er bestimmt momentan den gesellschaftlichen Diskurs. Und ich frage mich, wie man diese beiden Punkte vereinen kann.
Ich glaube, dass es wichtig ist, sich selbst zurückzunehmen, zu beobachten und so herauszufinden, was die Themen sind, die die Menschen vor Ort eigentlich interessieren. Als Museumsdirektor ist es essenziell, nicht nur Kunst auszustellen, die einen selbst anspricht, sondern wirklich hinzuhören, welche Wünsche und Bedürfnisse die Stadtgesellschaft hat. Welche das sind, kann ich jetzt noch nicht genau sagen, denn ich selbst bin ja erst seit ein paar Monaten hier. Mit der Zeit werden sich die richtigen Ideen entwickeln und dann hoffe ich, dass wir die Stadt ins Museum holen können. Damit meine ich natürlich nicht die Leute aus Paris, London oder New York, sondern die Leute hier im Lokalraum. Dabei hilft es jedoch nicht, provinziell zu denken, denn das ist Würzburg nun mal nicht. Würzburg ist international, das muss man heraushören. Wir wollen keine Klischees reproduzieren und nur katholische zeitgenössische Kunst anbieten, denn Würzburg zeichnet neben ihrem Status als katholische Bischofsstadt so viel mehr aus.
Wenn es sich ergibt und die Institutionen passen, dann auf jeden Fall. Das ist wie im Boxen: Leichtgewichte können nicht gegen Schwergewichte antreten (lacht). Man muss also immer schauen, dass man vergleichbare Museen als Kooperationspartner heranzieht. Und auch hier sieht man wieder die enge Verbindung zwischen Lokalität und Globalität. Eine Idee, die sich gerade bei mir im Kopf formt, ist das Thema Mobilität und Individualverkehr. Es handelt sich dabei um ein globales Thema, das zum einen Würzburg als lokalen Standort und darüber hinaus viele andere Orte und Städte auf der ganzen Welt beschäftigt. Genau das sind die Themen, an die wir andocken müssen. Dann kann geschaut werden, welche Museen sich in Frankreich, Italien oder auch Deutschland ähnliche Fragen stellen.
Man muss nur die richtigen Fragen haben, dann kommen auch die richtigen Antworten. Wir haben intern ein Leitbild inklusive eines Fragenkatalogs entwickelt. Zum Beispiel, wir finden Max Liebermann gut, dann schauen wir, welche aktuelle Fragen wir mit der über hundert Jahre alten impressionistischen Malerei dieses Künstlers verbinden können. Es reicht nicht, nur Kunst auszustellen, die einen ästhetisch anspricht. Etwas auszustellen, weil man es mag, ist einfach zu wenig. Es geht darum, eine gute Geschichte zu erzählen und dieser liegen als Drehbuch bestimmte gesellschaftlich relevante, zeitaktuelle Fragestellungen zugrunde. Hollywood funktioniert da nicht anders.
Ein großer Punkt ist die Neupräsentation der Konkreten Kunst der Sammlung Peter C. Ruppert im Museum im Kulturspeicher. Wir möchten diese gerne neu präsentieren, schließlich wurde die Dauerausstellung bereits vor zehn Jahren eingerichtet. Ganz aktuell, im Frühjahr 2025, soll es eine Ausstellung anlässlich der 500-jährigen Wiederkehr der Zerschlagung der Bauernaufstände geben, bei der Würzburg ein wichtiger historischer Schauplatz war. Das Thema wollen wir zeitaktuell gestalten: Bauernaufstand als Symbol für Protestformen gegen Ungerechtigkeit in der Gesellschaft. Für den Sommer haben wir uns dazu entschieden, eine Ausstellung mit jungen, noch eher unbekannteren Künstlerinnen und Künstlern zu machen. Den Auftakt dieser Reihe, die in Zukunft regelmäßig einmal jährlich stattfinden soll, wird die Berliner Künstlerin Lena Schramm machen, die in ihrem Werkschaffen präsentiert und sich gleichzeitig mit den lokalen Spezifitäten Würzburgs auseinandersetzen wird.
Im Frühjahr 2026, und das ist ein Projekt, auf welches ich mich besonders freue, wird es eine Ausstellung zu den Utopien des Individualverkehrs und des Automobils geben. Dafür habe ich einen Künstler aus den 60er Jahren im Blick.
Sagen wir mal so: Im Grunde ist alles politisch. Jede Künstlerin oder jeder Künstler ist politisch, auch wenn sie oder er nur ein Dreieck malt. Das ist genauso gesellschaftlich relevant, wie jemand, der plakativ „Protest“ auf die Leinwand schreibt. Und genau so sind auch Museen in allem, was sie tun, schon immer politisch gewesen. Die Frage ist, wie dick man das auftragen möchte und ich bin eigentlich kein Mensch, der das gerne nach vorne schiebt. Mir ist in erster Linie wichtig, dass die Kunst ihren Entfaltungsraum hat und dafür sind Museen meiner Meinung nach die geeignetsten Räume. Im Hintergrund habe ich als Leiter einer staatlichen Einrichtung natürlich sehr viel mit politischen Fragestellungen zu tun, das bedeutet aber nicht, dass das gleichzeitig auch Programm sein muss. Sie müssen verstehen, ein Museum darf auch Kunst zeigen, die nicht gleich die Welt verbessern will. Gleichzeitig muss ich als Museumsdirektor aber auch heraushören, was die Menschen wollen, welche Thematiken sie interessieren und umtreiben.
Mir ist es wichtig, dass sich alle Menschen dazu eingeladen fühlen, im Museum zu sein und sich dort wohlzufühlen - natürlich in dem Wissen, dass Museen mächtige und einflussreiche Einrichtungen von gesellschaftspolitischen und künstlerischen Sichtbarkeiten sind. Also wenn ich mich entscheide, dieses eine Kunstwerk auszustellen, schließe ich mehr als 1000 andere Kunstwerke aus. Museen sind zwangsläufig Orte der Verdrängung bzw. Exklusion. Das ist die bittere Wahrheit. Es ist ein Balanceakt, die verschiedenen Interessen von Besucherinnen und Besuchern, der Kreativszene, dem Stadtrat und der Stadtgesellschaft so miteinander zu verbinden, dass sich alle willkommen fühlen und ich hoffe sehr, dass die Menschen verstehen, dass uns nicht alle Entscheidungen, die wir treffen, leichtfallen.
Am wichtigsten ist mir aber vor allem, dass man das Museum im Kulturspeicher mit einer positiven Grundstimmung verlässt, weil man etwas gelernt hat. Da ist meiner Meinung nach das Großartige an Museen: Man kann sich dort auch mit ernsthaften und schwierigen Themen beschäftigen und trotzdem einen positiven Moment erzeugen, weil ein Lerneffekt einsetzt. Dabei geht es gar nicht so sehr um das Verstehen, sondern um die ästhetische Begegnung, also das Erfahren an sich. Das nimmt den Menschen hoffentlich die Angst, sich auch mit unschönen Thematiken auseinanderzusetzen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt der Handschrift, die wir als Team hinterlassen wollen: Wir begreifen Kunst nicht als etwas Belehrendes oder die Geschichte als etwas, auf das wir schlecht gelaunt und moralisch mit dem Finger zeigen. Wir wollen im Museum im Kulturspeicher mit einer positiven und zugleich kritischen Einstellung die Biografien der Künstlerinnen und Künstler aber auch die Kunstentwicklungen seit dem 19. Jahrhundert, die eben zum Teil im Widerspruch zu unseren heutigen Wertvorstellungen stehen, vorstellen und vermitteln.