Die Verbreitung von Informationen während des sog. Arabischen Frühlings (2011) gilt als Wendepunkt in der Nachrichtenübermittlung: Waren bis dahin die klassischen Informationswege Fernsehen, Radio, Printmedien sowie deren Online-Angebote relevant, so ändert sich dieses nun dramatisch. Über die sozialen Medien verbreiten sich Nachrichten in Windeseile. Aktueller geht es nicht, aber was sagt uns diese „Echtzeit“-Übermittlung? Wie reagiert die Kunst auf die Herausforderungen der Social Media News? Ist mit dem Paradigmenwechsel lediglich ein Wechsel der Medien erfolgt oder lassen die Veränderungen und die damit verbundene Digitalisierung der Gesellschaft auch Rückschlüsse auf einen generellen Wandel der Informationsaufnahme zu?
Oft sind es die Kunstschaffenden, die einen medialen Paradigmenwechsel zuerst wahrnehmen und verarbeiten, denn das Bild und die Bildanalyse sind ihr originäres Material. Die Veränderungen durch die Fotografie und später durch den Film bzw. das Video sind hierfür eindrückliche Beispiele. Wie reflektieren also zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler die Veränderungen im Zeitalter von Robots, Fake News und Filterblasen?
Die aktuelle, internationale Gruppenausstellung „NEWS FLASH“ im Nürnberger Kunsthaus im KunstKulturQuartier versucht eine Standortbestimmung und thematisiert, wie sich durch die neuen Technologien unser gewohntes Bild der Nachrichtenaufnahme und -verbreitung verändert hat und weiter verändern wird. Welche Kamera- bzw. Betrachterperspektive nehmen wir ein, wenn wir Nachrichten aufnehmen? Besitzen die Fotografien, die wir Tag für Tag massenhaft wahrnehmen, einen authentischen Charakter und können wir ihnen trauen? Zeigen Facebook, Instagram und Co. andere Bilder als die traditionellen Medien, um die User zu einer Meinungsäußerung und Gemeinschaftsbildung zu motivieren und eine Verbreitung der Nachricht im Netz zu beschleunigen? Das Medienbild besitzt eine lange Tradition und eine konkrete Funktion: Es dient primär der Emotionalisierung des Betrachters und wohl nur sekundär der Übermittlung von Fakten oder gar der Widergabe der Realität. Auch vor diesem Hintergrund untersuchen die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung die technischen Implikationen und bildnerischen Möglichkeiten der Social Media News.
So analysiert Irene Chabr in ihrer als Archiv angelegten Arbeit „Wandernde Gesten“ (2012-18, work in progress) die in den sozialen Netzwerken omnipräsenten Bildgenres und Inszenierungsgesten, während Dagmar Keller in ihrer Werkserie „dear to me“ (2018) den Fokus auf die Wirkung der Smartphone-Technologie auf die zeitgenössische Porträtfotografie legt. Moniker Huber und Rabih Mroué nutzen Bildmaterial, welches über Nachrichtensendungen oder die sozialen Medien verbreitet wurde, als Ausgangsmaterial für ihre Werke, die den medialen Paradigmenwechsel rund um den Arabischen Frühling thematisieren und zugleich bildanalytische wie existenzielle Fragen stellen. Die Pop-Band Blurres Vision adaptiert einen Klassiker von Pink Floyd und nutzt in ihrem aufwendig inszenierten Videoclip Bildmaterial aus dem World Wide Web für eine Allegorie auf die politische Situation im Iran während der Präsidentschaftswahl 2009/10, und Orson Welles provozierte mit seinem Hörspiel „Krieg der Welten“ (1938) wohl eine der eindrücklichsten Fake News in der Geschichte der Massenmedien. Peter Piller prüft in seiner 35-teiligen Fotoarbeit „Nachkriegsordnung“ (2003) die Authentizität von Nachrichtenbildern, während Julian Rosefeldt und Piero Steinle in ihrer Videoinstallation „News – Excerp 1“ (1998) die gewohnte Nachrichtensprache nicht nur ironisch konterkarieren, sondern auch als kulissenhaftes Geschehen enttarnen. Auch die raumfüllende Installation „Kameras“ (2007) von Oliver van den Berg thematisiert den inszenierten Charakter eines medialen Großereignisses: Die Objektive seiner hölzernen Film- und Videokameras richten ihre Aufmerksamkeit auf eine Leerstelle, die den Betrachter in eine hypnotische Handlungssituation versetzt. Die Werke von Wiebke Elzel, Jonathan Harris und Jens Pecho stellen nicht das Bild, sondern das Wort in den Fokus ihrer textbasierten Arbeiten. Was können wir aus der Flut an Information überhaupt wahrnehmen und was bedeutet es, wenn die zum Beispiel bei Twitter verwendete, stark verknappte Sprache zum nachrichtenverbreitenden Prinzip wird?
Der kanadische Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan verwies bereits 1967 darauf: „The medium ist the massage.“ Wenn das Medium die Botschaft ist, dann kommt dem verwandten Kommunikationsmittel eine zentrale Bedeutung bezüglich der Wirkung der jeweiligen Aussage zu. Dann beeinflusst das Verbreitungsmedium nicht nur die Nachricht, sondern gestaltet sie. Gegenwärtig stehen Nachrichtenaufnahme und -verbreitung an der Schwelle von der analogen zur digitalen Welt. Beide Ebenen sind miteinander verwoben und stehen im ständigen Wechsel. Es stellt sich die drängende Frage, welche Botschaften die neuen Medientechnologien bereithalten.
Die Ausstellung „NEWS FLASH“, kuratiert von Matthias Dachwald und Dr. Harriet Zilch, ist eine Kooperation der Kunsthalle Nürnberg mit dem Kunsthaus im KunstKulturQuartier und vom 27. September bis 18. November im Kunsthaus zu sehen.
Fotocredits:
Schnipsel © Wiebke Elzel