Am Anfang stand ein Trio. Gute Freunde, die miteinander Musik machten. Die sich seit Kindheit an kannten und im Lottoladen nebenan gemeinsam ihre Schulhefte kauften. Hinter der Theke: Stefan Reisch, der ehemalige Spieler des 1. FC Nürnberg, der dem „Club“ 1961 zur Meisterschaft verhalf und 1962 zum DFB-Pokal-Sieg. Und seine Frau. Jahre später erinnert sich die frisch gebackene Band an Maria und leitet, ähnlich wie seinerzeit die Sportfreunde Stiller, ihren Bandnamen von einer Person ab. Carlos Santana sang damals Maria, wie Reisch seine Frau auch oft im Laden rief. Gekoppelt mit Reisch stand der Name der frisch gebackenen Musikgruppe fest: Carlos Reisch. Was als Pseudonym eines Masterminds daherkommt, verkörpert bei der inzwischen auf 10 bis 21 Köpfe angewachsenen Truppe also die komplette Band. Womit die, wie Pirzkall bestätigt, wirklich wahre Geschichte zum Bandnamen erzählt ist, die vor allem eines klärt: WTF ist Carlos Reisch?
Rainer Pirzkall: Insgesamt ist es so, dass die Band von ihren Mitgliedern gemeinsam geprägt und getragen wird. Es steht also nicht, wie der Bandname suggeriert, eine Person im Vordergrund, sondern es kommen verschiedene Charaktere und damit auch verschiedene musikalische Typen zusammen und bilden das, was das Musikerkollektiv Carlos Reisch insgesamt ausmacht.
ART. 5|III: Eine von guten Freunden gegründete Band, die sich im Laufe der Jahre professionalisiert hat und inzwischen beinahe ausschließlich aus Profimusikern besteht?
Rainer Pirzkall: In der Tat. Bis auf mich selbst, der ich als Musikmanager das Nürnberger Bardentreffen leite, ist Carlos Reisch inzwischen ausschließlich mit Profis besetzt und spielt heute in der Regel als Tentett in großer Besetzung. Die Band vereint die Vorliebe für Funk, Jazz, Soul sowie Latin und wird auch und vor allem vom Spielspaß genährt, den gute Musiker am gemeinsamen Musizieren zu schätzen wissen. Es steht die Leidenschaft für die Musik im Vordergrund. Rein ökonomisch betrachtet ist die Band dagegen idiotisch, der aktuelle Big Band-Wahnsinn für die aktuelle Scheibe noch weit mehr als das.
ART. 5|III: Big Band RAPertoire, so der Titel der aktuellen und zweiten CD von Carlos Reisch, die am 24.06.2016 beim von Dir eigens gegründeten Label Rosenau Records veröffentlicht wird. Was genau darf der Hörer vom neuen Album erwarten?
Rainer Pirzkall: Zunächst einmal die Besonderheit, dass wir 10 Eigenkompositionen in 21-köpfiger Besetzung eingespielt haben. Markus Harm, unser Saxofonist, hat all seine Kontakte genutzt und dafür die erste Riege des deutschen Jazznachwuchs zusammengetrommelt. Alle Musiker sind zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig Jahre alt und unter anderem als Mitglieder der SWR Big Band, des Bundesjazzorchesters oder des hier renommierten Sunday Night Orchesters bekannt. Die Arrangements kommen von Alexander Bühl. Das Ergebnis ist klassischer Big Band-Sound, allerdings nicht im üblichen Swing-Gewand, sondern funky, jazzy und groovy und mit einer ausgewogenen Mischung von Gesang und Sprechgesang einmal mit Soul, einmal mit Hip Hop gekreuzt.
ART. 5|III: Musikalische Vorbilder sind durchaus herauszuhören und wecken den Verdacht, dass die Inspiration zum Bandsound Euren eigenen Plattensammlungen entspricht?
Rainer Pirzkall: Ja, das ist schon tatsächlich so. Neben unserer aller Faible für Jazz, Funk und Soul, bin ich selbst vor allem auch vom 90er Hip Hop der Marke Q-Tip, Jurassic 5 oder Tribe Called Quest beeinflusst, wie auch von der späteren Phase an Neosoul und laid back backbeats eines D`Angelo beispielsweise. Gleichzeitig von den deutschsprachigen Ausprägungen zwischen Hip Hop, Funk und Soul, wie sie dann auch bei Max Herre, Jan Delay und Joy Denalane zu hören waren. Und ja, das sind schon alles Interpreten, die sich in meinem Plattenschrank wiederfinden. Wobei wir als Big Band noch weitaus jazziger sind als sonst als Band.
ART. 5|III: Was auf dem Album auch deutlich vom mutigen Freiraum für ausgiebige Soli zu spüren ist.
Rainer Pirzkall: In der Tat ist und war es uns wichtig, diesen Freiraum auch auf den Aufnahmen zu erhalten. Wir haben erstklassige Musiker. Es ist also zum einen dem eigenen Spielspaß geschuldet, andererseits aber definitiv eine Stärke von Big Band RAPertoire, die wir uns im Rahmen unserer aller Leidenschaft für das Projekt auch leisten wollen und können. Dem Risiko, damit aus dem Raster der Radiokanäle zu fallen, haben wir entsprechend Rechnung getragen und die drei Tracks „Reason To Party“, „Tell me“ und „Ohrwurm“ auch als Radio Edits auf den Silberling gepackt.
ART. 5|III: Genauer auf die erste CD von Rosenau Records. Willst Du uns noch ein wenig mehr darüber verraten, wie es dazu kam, dass Du für diesen Tonträger den Schritt zum eigenen Label gewagt hast?
Rainer Pirzkall: Nun das hat zum einen den Hintergrund, dass ich schon sehr lange damit schwanger ging, einmal das eigene Label anzupacken. Zum anderen haben uns die Angebote diverser Independent-Jazz-Labels, die durchgängig mit hohen und teuren Abnahmeverpflichtungen verhandelt haben, am Ende nicht überzeugt. Die Schwierigkeiten kleiner Labels sind mir und uns natürlich bewusst. Daher auch mein Zögern bezüglich der Gründung des eigenen Labels. Schließlich aber fühlte sich die Zeit dafür hier und jetzt reif an und der Sprung ins kalte Wasser und das Behalten sämtlicher Rechte als der richtige Schritt.
ART. 5|III: Gibt es über die Release-Premiere hinaus gehende Pläne bei Rosenau Records?
Rainer Pirzkall: Erst einmal steht jetzt die Veröffentlichung von Big Band RAPertoire kurz bevor, auf die ich mich derzeit konzentriere. Aber prinzipiell sind weitere Veröffentlichungen natürlich angedacht, wenn auch noch nicht konkret. Alben unseres Saxofonisten Markus Harm z.B. sind vorstellbar, aber auch für andere Optionen bin ich offen, wenn jeweils auch die Kapazitäten dafür da sind.
Weitere Informationen unter: www.carlos-reisch.de
Und eine kurze Vorstellungrunde gibt es hier: Carlos Reisch - The Big Band RAPertoire: "Making of"
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Carlos Reisch Big Band, Foto © Uwe Niklas