Eine Warnung vorab: Die Lektüre des Romans „Java Road Hong Kong“ empfiehlt sich nur für Menschen, die mit unliebsamen oder gar grenz unsympathischen Charakteren zurechtkommen. Denn davon wimmelt die Erzählung des arrivierten Autors Lawrence Osborne, zu dessen bekanntesten Werken „Denen man vergibt“ zählt.
In seinem neuesten Roman fokussiert sich Osborne auf einen Krisenherd der jüngeren Vergangenheit: die prodemokratischen Proteste in Hongkong im Jahr 2019. Adrian Gyle, festgefahrener Journalist britischer Herkunft, ist vor Jahren in der Metropole, einer Sonderverwaltungszone Chinas, gelandet. In der titelgebenden Straße, in der sämtliche Beerdigungsinstitute der Stadt angesiedelt sind, vertreibt er sich die Zeit mit Trinken und gelegentlichen Besuchen bei seinem alten Studienfreund Jimmy Tang. Als Erbe einer der reichsten Familien der Stadt verlebt Tang seine Tage jedoch gänzlich anders als der erfolglose Gyle. Die Beziehung und Interaktion der beiden löst eine tiefe Beklemmung aus, denn der soziale Unterschied tritt spürbar zu Tage. Die beiden kommen zunächst auf unterschiedliche Weise mit den aufkeimenden Protesten der prodemokratischen Bewegung in Berührung. Der europäisch aussehende Gyle wird auf der Straße mit Angriffen von Seiten der Regime-Anhänger konfrontiert, wohingegen Tang die Bekanntschaft einer der teilnehmenden Studentinnen macht. Die ebenfalls aus reichem Hause stammende Rebecca nimmt bald darauf in beider Leben eine wichtige Rolle ein. Der Roman kippt die Stimmungen und Spannungen jedoch erneut, als Rebecca plötzlich verschwindet.
Lawrence Osborne kreiert ein realistisch wirkendes Szenario der Situation in Hongkong im Jahr 2019. Arm, Reich, Kritik am System und erzwungene Loyalitäten: All das fängt der Roman ein. Die Erzählung packt, auch wenn die Charaktere einen zu Zeiten verzweifeln lassen. Es ist sicher keine leichte Kost, aber spannend und bereichernd, vor allem im Hinblick auf die Zeitgeschichte einer Stadt, die so viel zu erzählen hat.
Lawrence Osborne: Java Road Hong Kong, Roman, Ars Vivendi, Cadolzburg, 2023, 232 Seiten, 22 Euro, ISBN: 978-3-7472-0520-4