Die Ausstellung »Jürgen Becker. New York 1972« stellt erstmals umfassend und auf musealer Ebene eine fotografische Bildserie vor, die der renommierte und mit vielen Preisen ausgezeichnete Schriftsteller Jürgen Becker (*10. Juli 1932, lebt in Köln und im Bergischen Land bei Köln, ausgezeichnet u.a. mit dem Heinrich-Böll-Preis und dem Georg Büchner-Preis) 1972 in New York aufnahm. Mit dem Projekt ehrte das Museum für Photographie Braunschweig im letzten Jahr den Schriftsteller zu seinem 85. Geburtstag. Das Kunsthaus im KunstKulturQuartier hat die Ausstellung übernommen und geringfügig erweitert. Einmal mehr bewegt sich das Kunsthaus damit mit einer kulturspartenübergreifenden Arbeit im fotohistorischen Kontext und ehrt damit gleichzeitig das literarische wie fotografische Werk Jürgen Beckers. Die Serie New York 1972 von Jürgen Becker wurde von seinem Sohn, dem Fotokünstler Boris Becker (*1961) vor einigen Jahren wiederentdeckt und als Buch in dem von ihm gegründeten SPRUNGTURM-Verlag 2012 publiziert. Aus dem umfangreichen Konvolut der 1972 entstandenen Bilder werden in der Ausstellung im Kunsthaus über 80 Arbeiten gezeigt. Sie stellen ein bislang weitgehend unbekanntes Segment des künstlerischen Interesses und Schaffens von Jürgen Becker vor und richten sich an ein Publikum, das nicht nur an der Fotografie, an der Geschichte der deutschen, amerikanischen- und der ‚Street-Photography’, sondern auch an der Literatur und am Film interessiert ist. Diese Aspekte verbindend, sind innerhalb der Laufzeit der Ausstellung besondere Vermittlungsprojekte in Ergänzung zu den allgemeinen Vermittlungsangeboten geplant. Begleitend zur Ausstellung werden verschiedenen Führungen angeboten: Am Sonntag, 25. März, 1., 8., 15., 22., 29. April und 6. Mai 2018, 16 Uhr lädt das Kunsthaus zu öffentlichen Führungen ein. Die Mitarbeiterinnen des KPZ führen durch die Ausstellung unter besonderer Berücksichtigung der sogenannten Street Photography und erläutern anhand der Exponate die Schnittstellen und Gemeinsamkeiten im fotografischen und literarischen Werk von Jürgen Becker (Dauer 60 Min., Teilnahmegebühr: 3 EUR zzgl. Eintrittspreis). Am Mittwoch, 18. April 2018, 18 Uhr findet eine Kuratorenführung mit Matthias Dachwald statt. Dabei wird er sich auf die Spur begeben, welche Verbindungen zwischen Literatur, zeitgenössischer bildender Kunst und Fotografie in Jürgen Beckers Oeuvre durchscheinen (Dauer: ca. 60 Min., Gebühr: 3 EUR, Eintritt frei). Darüber hinaus liest Jürgen Becker am Dienstag, 24. April 2018, 19 Uhr aus seiner jüngsten Veröffentlichung, dem Journalgedicht „Graugänse über Toronto.“ In einer Sprache aus dem alltäglichen Gebrauch, wie sie in Zeitungen oder Magazinen verwendet wird, hat Jürgen Becker ein Prosagedicht verfasst, das wie ein rückblickendes Tagebuch aus seinem Leben funktioniert. Reale Geschehnisse stehen neben Gedankengängen, bildhafte Landschaften neben nagenden Fragestellungen zum politischen Zeitgeschehen. Bei aller implizierten Tiefe der beschriebenen Ereignisse, bleibt Beckers Sprache verständlich und entwickelt ihren eigenen Sog, den nächsten Vers, das nächste Ereignis verfolgen zu wollen (Ort: Kunsthaus, Dauer: ca. 60 Min., Gebühr: 8 EUR, inkl. Eintritt in die Ausstellung).
Zur Entstehung der Bildserie
Organisiert vom Goethe-Institut befand sich Jürgen Becker 1972 auf einer zweimonatigen Lesereise durch die USA und Kanada. Im Anschluss an diese blieb er einige Zeit in New York, wo ihm der befreundete und zu dieser Zeit in New York lebende Schriftstellerkollege Max Frisch die Aufenthaltsmöglichkeit in einem Apartment eines Universitäts-Professors vermittelte. Mit einer Rollei 35 erkundete und dokumentierte Jürgen Becker bildnerisch den Stadtraum, hielt die „täglichen Gänge durch die Stadt in einer Art von visuellem Tagebuch fest“ (Jürgen Becker). Dieses stellte für ihn eine andere Möglichkeit als das Schreiben dar und wurde bewusst zu einem Mittel, Erzählweisen und Wahrnehmung ohne Wörter als eigene „Geschichten des Sehens“ mit konzeptueller Konsequenz umzusetzen. Schon zuvor hatte sich der Schriftsteller mit den konzeptuellen und bildnerischen Möglichkeiten der Fotografie beschäftigt und neben seinen Texten, die in dieser Zeit entstanden, an fotografischen Serien gearbeitet. Unter dem Titel „Eine Zeit ohne Wörter“ erschien beispielsweise 1971 im Suhrkamp Verlag ein Fotobuch zu Bildserien. Da der Suhrkamp Verlag sich damals nicht dafür interessierte, die Fotografien aus New York ebenfalls zu publizieren, verschwanden diese bis zu ihrer Wiederentdeckung durch den Sohn auf dem Dachboden. Die konzeptuell konsequente Qualität der Bilder-Serie »New York 1972«, ihre erzählerisch eigenständige, kompositorisch überzeugende und dabei kunsthistorisch im Kontext der Fotografiegeschichte – etwa im Vergleich zu Walker Evans, Lee Friedlander, Robert Adams, Robert Frank u.a.m. – zu betrachtende Bedeutung, stellt die Motivation dar, das Projekt nun im Kunsthaus zu zeigen.
Fotocredits:
Jürgen Becker, New York 1972, Foto © Jürgen Becker