Es gibt bisweilen Premieren, von denen man eigentlich glaubt, dass sie schon seit langem fällig gewesen wären. Eine solche lässt sich seit kurzem im Bayreuther Richard-Wagner-Museum bestaunen. Dort – genauer: im stolz als „Schatzkammer“ bezeichneten Untergeschoss des Hauses Wahnfried – wird nämlich erstmals öffentlich die originale Partiturhandschrift von Richard Wagners letzter Oper ‚Parsifal’ präsentiert. Doch nicht nur das, denn darüber hinaus birgt das Souterrain von Wagners heiliger Adresse in der Wahnfried-Straße weitere wertvolle, weil originale Text- und Notenhandschriften des Meisters zu seinem „summum opus“, unter anderem den Prosaentwurf, das Libretto sowie Kompositions- und Orchesterskizzen. Der besonderen Beziehung zum ultimativen Opernwerk Wagners hatte die Stadt Bayreuth schon 2004 mit der Ausstellung „Wege zu Parsifal“ (im Neuen Rathaus) Rechnung getragen, damals übrigens auch unter Mithilfe des Richard-Wagner-Museums. Dieses plant künftig Ausstellungen mit Wagneriana jeweils zur aktuellen Neuinszenierung, weshalb die Partitur des ‚Parsifal’ mindestens bis zum kommenden Frühsommer zu sehen sein wird.
Zwischen September 1877 und Januar 1882 hatte Richard Wagner sein letztes und von ihm selbst so genanntes „Weltabschiedswerk“ komponiert. Die Uraufführung des ‚Parsifal’, dem der Komponist den – das Besondere dieses Werkes herausstellenden – Gattungsnamen „Bühnenweihfestspiel“ verlieh, fand am 26. Juli 1882 im Bayreuther Festspielhaus unter der Leitung von Hermann Levi statt. Seither hat diese Riesenoper nicht weniger als 10 Inszenierungen erlebt (wobei zu bedenken ist, dass Wagners eigene Inszenierung mit einzelnen Veränderungen bis 1933 gespielt wurde), aber erst die allerneueste, heuer am 25. Juli aus der Taufe gehobene (in der Regie Uwe Eric Laufenbergs), bot endlich den Anlass, den Blick auf die originalen Noten auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Das 346 Seiten starke Partitur-Autograph ist über weite Strecken mit der von Wagner während seiner letzten Lebensjahre bevorzugten violetten Tinte geschrieben. Als deren Charakteristikum fällt die überaus akkurate und saubere Handschrift auf, die sich von der bisweilen schwer zu entziffernden Notenschreiberei seiner Zeitgenossen angenehm unterscheidet, aber heutigen Dirigenten, die an perfekte Druckausgaben gewöhnt sind, wohl trotzdem Leseschwierigkeiten bereiten würden. Hermann Levi indes schien es seinerzeit ein Leichtes gewesen zu sein, aus dieser Handschrift die Uraufführung zu leiten – ihm blieb freilich auch nichts anderes übrig, denn die Drucklegung der Partitur stand noch aus. Als die Partitur am 13. Januar vollendet wurde, war das dem Verlag Schott ein Honorar von 100.000 Mark wert, was heute ca. 800.000 Euro entspräche.
Begibt man sich zu den hinter Sicherheitsglas abgeschirmten Pretiosen in der aus konservatorischen Gründen abgedunkelten Schatzkammer des Richard-Wagner-Museums, so finden sich in der Vitrine mit der Präsentation der Parsifal-Partitur die Seiten 250 und 251 aufgeschlagen, mithin der Schluss des Zweiten und der Beginn des Dritten Aufzugs. Als Schlussdatum vermerkt der zweite Akt den „20 Oct. 81.“ sowie als Unterschrift den Hinweis auf den Arbeitsort „“RW / (Wahnfried)“. Die Anfangsseite des dritten Aktes wirkt besonders repräsentativ. Oben rechts steht ‚Parsifal’ schräg über der Seite vermerkt, gerade so, als müsste sich der Meister nochmals versichern, zu welchem Werk er den Finalakt zu schreiben sich anschickt. Auf der linken Seite, ebenfalls am oberen Rand, ist vermerkt, wo und wann Wagner die Arbeit am ‚Parsifal’ fortsetzte, nämlich in „Palermo / 8 Nov.: 1881“. Die weit ausschwingenden Majuskeln auch der anderen Überschriften verleihen dieser Partiturseite eine großzügige Anmutung. Vier der jeweils fünfstimmigen Akkoladen des reinen Streichersatzes, von dem das Vorspiel zum dritten Akt des ‚Parsifal’ geprägt ist, finden auf dem Blatt ihren Platz.
Wagner hatte die Komposition des dritten Aktes in der Tat in Palermo begonnen und dort auch, gleichsam als theoretischen Kommentar zum ‚Parsifal’, die Schrift „Religion und Kunst“ verfasst. Um sich noch vor Abschluss der Partitur der szenischen Wirkung des Werkes zu versichern, arrangierte er an seinem 67. Geburtstag im Feriendomizil der Villa Angri bei Neapel eine probeweise Aufführung der Gralsszene im Familien- und Freundeskreis. Bezüglich seiner Klangvorstellungen ist jedoch zu betonen, dass die Partitur von Wagners letztem Werk als einzige mit der Erfahrung der Akustik des neuen Theaters auf dem Grünen Hügel entstanden ist. Die Proben zu den Aufführungen im Bayreuther Festspielhaus, das seit den ersten Festspielen von 1876 unbenutzt geblieben war, begannen am 2. Juli 1882. Die Uraufführung am 26. Juli und die folgende Vorstellung waren dem Patronatsverein vorbehalten, der für die Mitfinanzierung der zweiten Bayreuther Festspiele gesorgt hatte. 14 weitere Vorstellungen schlossen sich an. In deren letzter dirigierte Wagner selbst (aber unbemerkt!) den dritten Akt von der Verwandlungsmusik an.
Dass sich keine der festspielwürdigen Opern Richard Wagners so sehr mit Bayreuth verbindet wie der ‚Parsifal’, liegt im erklärten Willen des Komponisten begründet, dieses Werk aus ästhetischen Gründen – und wegen einer von ihm befürchteten Trivialisierung an anderen deutschen Theatern – nur im Festspielhaus seine magische Wirkung entfalten zu lassen. Er schuf sich mit der Festspielidee das eigene Theater, das er brauchte, um seinen ‚Parsifal’ zu schützen. Mit Wagners Tod 1883 setzte deshalb eine 30-jährige Schutzfrist für den ‚Parsifal’ ein, der auch von der Witwe Cosima ausschließlich für Bayreuth reklamiert wurde. Folglich begann ab 1914, also im Jahr nach der Freigabe (gegen die sich Cosima noch vehement gewehrt hatte!) eine regelrechte ‚Parsifal’-Euphorie an deutschen und ausländischen Theatern. Bedenkt man, dass auch andere der im Richard-Wagner-Museum gezeigten Handschriften einen unmittelbaren Bezug zum Haus Wahnfried haben (wo er beispielsweise die Arbeiten an der Dichtung am 19. April 1877 beendete) so erscheint die jetzt gezeigte Ausstellung der kalligraphischen Unikate Richard Wagners wie die längst fällige Einlösung eines naheliegenden, weil sinnhaften Wunsches.
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Das Rheingold, Los Angeles Opera 2009, Inszenierung und Bühne: Achim Freyer, Kostüme: Amanda Freyer, Licht: Brian Gale, Foto © Richard Wagner Museum
Richard Wagner Museum, Foto © Christine Brömel
Parsifal Partitur, Vorspiel III, S. 251, Foto © Richard Wagner Museum