Wer inspirierte Gustav Klimt, den großen Meister der Wiener Moderne? Wie gut war ihm Vincent van Gogh bekannt? Sah er jemals ein Bild von Henri Matisse? Allesamt Fragen, die in der gemeinsamen Ausstellung des Belvedere Wien und des Van Gogh Museum in Amsterdam, beantwortet werden sollen. Seit 7. Oktober ist die Ausstellung „Golden Boy Gustav Klimt. Inspired by Van Gogh, Rodin, Matisse…“ in der niederländischen Hauptstadt zu sehen und vom 3. Februar bis zum 29. Mai 2023 wird dann das Wiener Belvedere die temporäre Heimstatt dieser Exhibition werden. Zu der von Markus Fellinger (Belvedere, Wien), Edwin Becker (Van Gogh Museum, Amsterdam) und Renske Suijver (Van Gogh Museum, Amsterdam) kurartierten Ausstellung, die die Spuren zurück zu Klimts künstlerischen Wegbereiterinnen und -begleitern verfolgt, ist im Hirmer Verlag das Buch „Klimt. Inspired by Van Gogh, Rodin, Matisse“ erschienen. Auf 240 Seiten mit insgesamt 175 farbigen Abbildungen zeigt dieser Bildband, dass Klimt offensichtlich viel offener für das Schaffen anderer Künstler war als die meisten Kunstschaffenden seines Ranges. Und diese Inspiration kam nicht von den vielen Reisen Klimts in die europäischen Hotspots der Kunstszene, nein, die europäische Maler:innenelite gab sich gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts nahezu vollständig in Wien die Ehre. Zu dieser Zeit gab es so viele Ausstellungen in der österreichischen Hauptstadt, dass Klimt sich ganz bequem „vor der Haustüre“ über die internationale, insbesondere die westeuropäische Gegenwartskunst informieren konnte. Dabei sah es für die Wiener Kunstausstellungen noch 1894 nicht gerade rosig aus, hatte die III. Internationale Kunstausstellung doch tiefrote Zahlen geschrieben. Hermann Bahr (1863 – 1934), ein bekannter Schriftsteller und außerdem Förderer der Strömungen der Moderne, fasste die nach seiner Meinung deutlichsten Ursachen für diesen Umstand wie folgt zusammen: „Weil die Wiener:innen zeitgenössische Kunst nicht verstehen, kaufen sie sie auch nicht. Und weil die Chancen für die Künstler, ihre Kunst in Wien zu verkaufen, zu gering seien, schicken sie auch nicht ihre besten Stücke. Dadurch sei die westeuropäische Avantgarde nahezu nicht vertreten.“
Weil sich in den darauffolgenden Jahren die Situation nicht unbedingt zum Besseren veränderte, erfolgte 1897 die sogenannte „Secession“ (Abspaltung). Unter Gustav Klimts Führerschaft verließen einige namhafte Maler das traditionelle Künstlerhaus und gründeten am 24. Mai 1897 die Vereinigung bildender Künstler Wiens, besser bekannt als Secession. Und schon deren erste Ausstellung im Frühjahr 1898 zeigte mehr als fünfhundert Kunstwerke aus ganz Europa. Von den insgesamt 154 gezeigten Künstler:innen stammten 131 aus dem Ausland und nur 23 aus Wien. Dies könnte man vielleicht als ersten Schritt zum Erfahrungsaustausch mit internationalen Künstlerkollegen bezeichnen, ein Austausch der sicherlich auch Inspiration bedeutete.
Ausstellungen waren aber nur eine Möglichkeit internationale Künstler und deren Werke kennenzulernen. Begegnungen bei gemeinsamen Freunden, Inaugenscheinnahme in der „Modernen Galerie“ und nicht zuletzt der Einblick in die Sammlungen seiner Sammlerfreund:innen ermöglichten es (nicht nur) Klimt, einen Blick über den Tellerrand hinaus zu wagen.
In wunderbaren Gegenüberstellungen zeigt das Buch Werke von Gustav Klimt und seinen „Inspirationsquellen“ und öffnet dem Leser und Betrachter die Augen dafür, wie wichtig es für den „Golden Boy“ war, sich mit den Werken seiner Kollegen auseinanderzusetzen. Im Einzelnen werden folgende Künstler in dem Bildband gezeigt: Sir Lawrence Alma-Tadema | Aubrey Beardsley | Ferdinand Hodler | Akseli Gallen-Kallela | Gustav Klimt | Lord Frederic Leighton | Margaret MacDonald Mackintosh | Edouard Manet | Henri Matisse | Claude Monet | Edvard Munch | Auguste Rodin | Giovanni Segantini | Henri de Toulouse-Lautrec | Kees van Dongen | Vincent van Gogh | Théo van Rysselberghe | Franz von Stuck | James Abbott McNeill Whistler und andere.
Belvedere, Van Gogh Museum (Hrsg.): Klimt Inspired by Van Gogh, Rodin, Matisse, Hirmer Verlag, München, 2022, Deutsch, 240 Seiten, 175 Abbildungen in Farbe, 23 x 29,8 cm, gebunden, 42 Euro. ISBN: 978-3-7774-5317-6