1909 war es im zaristischen Russland nicht opportun, eine Oper aufzuführen, in der u.a. die Frage gestellt wird, ob man auch ohne König leben könne. Rimski-Korsakows Märchenoper „Der Goldene Hahn“ nach Alexander Puschkins gleichnamiger Erzählung musste deshalb noch bis 1914 warten, um in der originalen Version von Diagilew und seiner Truppe in Paris uraufgeführt zu werden. Es waren ja vorrevolutionäre Zeiten, denen bald der große Krieg folgen sollte. Und kriegerisch geht es auch auf der Bühne zu, wo auf diversen Monitoren aktuelle Kriegsgräuel gezeigt werden und textile Militaria nicht zu übersehen sind.
Das Coburger Landestheater hat sich viel Mühe gegeben mit dieser Inszenierung, die vom Intendanten Bernhard F. Loges selbst verantwortet wird. Die Ausstattung ist opulent und spielt mit phantasievollen Prunkkostümen ebenso wie mit ironisierenden Details des Bühnenbildes. König Dodon frönt dem Müßiggang und hält sich vornehmlich auf einer absurd gepolsterten Bettstadt auf, pocht aber darauf, dass seine Laune und sein Wille Gesetz seien. Freilich wird er ein um’s andere Mal molestiert vom Goldenen Hahn, den ein Astrologe herbeigeschafft hat und der jeweils vor den neuesten Gefahren auf dem Schlachtfeld warnt.
Dass sich der Astrologe für diese Dienste einen späteren Lohn ausbedungen hat, gerät schnell in Vergessenheit. Dann wird es militärisch ernst, und da Dodons Söhne versagt haben, muss der König selbst in die Schlacht ziehen. Dort begegnet er der Königin von Schemacha, was Rimski-Korsakow prompt zu orientalisch anmutender Musik animiert. Diese Königin umgarnt Dodon mit allen Mitteln, was eine lange Verführungsszene im 2. Akt füllt. Um Liebe geht es dieser Gebieterin eines Wellness-Morgenlandes jedoch nicht, sondern um Invasion. Als die Hochzeit ansteht, fordert der Astrologe seinen Lohn – die fremde Königin.
Das zeitigt gleich zwei Morde: Dodon erschlägt den Astrologen, der Goldene Hahn zerhackt den König. Spätestens jetzt, wenn quasi ein Zarenmord auf offener Bühne geschieht, wird es Zeit, das Ganze zu einem harmlosen Puppenspiel herabzustufen, weshalb der wieder auferstandene Astrologe verkündet, nur er und die Königin seien echt gewesen, alle anderen bloß Trugbilder. Ob man aus Lug und Trug auch klug werden kann, sei dahingestellt, aber die verwirrende Geschichte hat gesellschaftskritische Hintergründe, wie sich aus der Rolle des Komponisten während der Revolution von 1905 erschließen lässt.
Die Coburger sind mit dieser Produktion ein Wagnis eingegangen, denn natürlich taugt ’Der Goldene Hahn’ nicht zum Straßenfeger. Doch die Qualität der Inszenierung und das hohe musikalische Niveau der Aufführung geben dem Landestheater recht. GMD Daniel Carter führte mit Esprit durch die farbenreiche Partitur, das Ballett ist auf originelle Weise mit von der Partie, und sängerisch ist durchweg Überzeugendes zu hören. Ein Name darf hervorgehoben werden: Michael Lion als König Dodon hat nicht nur eine profunde und markante Stimme, sondern wartet auch mit einer selten gehörten Textverständlichkeit auf. Bravo!