Metropolitan

Kubanische Lebensfreude und lyrischer Jazz

Anderthalb Jahrzehnte Schweinfurter Nachsommer

veröffentlicht am 04.08.2014 | Lesezeit: ca. 5 Min.

Fällt das Stichwort „Nachsommer“, so wird mancher sofort an einen Roman – der ungeachtet seines Umfangs (in der dreibändigen Erstausgabe) von 1347 Seiten schlicht „Eine Erzählung“ untertitelt ist – aus dem Jahre 1857 denken. Geschrieben hat ihn Adalbert Stifter. Denkbar ist aber nicht minder und vor allem für Franken die unmittelbare Assoziation zum Nachsommer Schweinfurt. Eineinhalb Dekaden hat das vom Kulturamt der Stadt veranstaltete Septemberfestival der Grenzüberschreitungen inzwischen auf dem Buckel und ist, so scheint es, munterer denn je.

Neben teils wahrhaft unkonventionellen Konzerten abseits oft beschrittener Wege von so jungen wie hochkarätigen Musikern zeichnet sich der Nachsommer aus durch ungewöhnliche Spielorte, die der schweinfurttypischen Verbindung von Industrie und Kultur Rechnung tragen. Dieses industrielle Flair ist besonders ausgeprägt in der SKF Halle 410 (SKF steht für den schwedischen Wälzlager- und Dichtungskonzern Svenska Kullagerfabriken). Greg Pattilos Project Trio wird dort am 6. September von 19.30 Uhr an den diesjährigen Konzertreigen eröffnen.

Die Zuhörer dürfen sich freuen auf eine Melange aus klassischer Musik, leidenschaftlichem Jazz, pulsierender Rockmusik, Hip-Hop und Avantgarde. Das Kammermusikensemble, das sein Zuhause in Brooklyn hat, setzt sich zusammen aus dem Flötisten Greg Pattilo, dem Cellisten Eric Stephenson und Peter Seymour am Kontrabass. Neben genresprengenden Originalkompositionen werden eigene Bearbeitungen von Werken aus der Feder eines Johann Sebastian Bach, eines Ludwig van Beethoven, eines Thelonius Monk, eines Charles Mingus sowie von Jethro Tull (der sich ja selbst an Bach versucht hat) und von Guns’n’Roses erklingen.

Am 11. September kommen Les Brünettes in die Halle 410. Die vier bezaubernden Frauen haben in Mannheim Gesang studiert und sich dort zu ihrem Quartett formiert. Nach Preisen bei den angesagten Wettbewerben in Leipzig und Graz zählen Les Brünettes fraglos zu den besten A-cappella-Gruppen Europas. Sie nehmen sich Größen wie die Andrew Sisters und The Surpremes zum Vorbild, zaubern Glanz und Eleganz auf die Bühne (durchaus auch über die Mode, die sie tragen), präsentieren melancholische Popsongs ebenso wie mitreißenden Vocal Jazz. Und neben ihren zahlreichen Auftritten sind sie gerade dabei, eine neue CD einzuspielen.

Tags drauf gastiert das junge deutsche Jazz-Trio Three Fall in der Industriehalle. Lutz Streun ist an Tenorsaxophon und Bassklarinette zu hören, Til Schneider auf der Posaune, Sebastian Winne am Schlagzeug. Heraus kommt eine Musik, die in Hip-Hop, Funk und Reggae wurzelt. Three Fall werden auf der neuen Jungen Bühne des Nachsommers präsentiert. Unter dem Schlagwort „im:puls“ sollen aufstrebende aufregende Bands vorgestellt werden, die gerade dabei sind, auch international auf sich aufmerksam zu machen.

Soneros de Verdad versprechen am 13. September einen Cocktail aus überschäumender kubanischer Lebensfreude und traditionellem Son. Die Soneros begreifen sich als zweite Generation des Buena Vista Social Club. Neben Klassikern bringen sie neue Songs in vertrauten Kleidern auf die Bühne. Auf saftige Beats und visuelles Spektakel verstehen sich die beiden Schlagzeuger Kay Rauber und Christian Gschwend: Bubble Beatz haben sich geschworen, das Publikum ausrasten zu lassen und bieten am 18. September ein Schrottplatz-Instrumentarium auf, das von der Bratpfanne über Alteisen bis zu Ölfässern reicht. Zu diesem Trommelgewitter treten elektronische Sounds.

Für sein siebtes Studioalbum „Just Here, Just Now“ hat der Trompeter, Flügelhornist, Komponist und Arrangeur Nils Wülker den ECHO Jazz 2013 eingefahren. „In meiner Musik geht es um Klarheit und Einfachheit, die ohne Umschweife ehrlich ist“, sagt Wülker. Seine Kompositionen verdanken sich der Inspiration des Augen-Blicks. Dem Lyriker unter den Trompetern lauschen zu dürfen, ist ein Geschenk. In Schweinfurt kann man das am 19. September von 19.30 Uhr an in Halle 410 tun. Mit ihrem vor virtuoser Akrobatik sprühenden, sich im Titel augenzwinkernd einer Verdi-Oper bedienenden Programm „Die Nacht des Schicksals“ kommt am 20. September Salut Salon ins Konferenzzentrum Maininsel. Das Frauenquartett an Klavier, Cello und zwei Geigen verwischt auf souveräne Weise die Grenzen zwischen Klassik, Chanson, Filmmusik und Kabarett.

Der Nachsommer endet mit zwei Konzertabenden in der Kunsthalle Schweinfurt im ehemaligen Ernst-Sachs-Bad. Am 26. September ist der Luxemburger Pianist Francesco Tristano zu Gast. Er fühlt sich im Lissaboner Centro Cultural de Belém oder bei einem Klavierabend auf Schloss Elmau genauso wohl wie in diversen Clublounges zwischen Brüssel und Brighton. Die Goldberg-Variationen hat er eingespielt und alles (für Piano) von Luciano Berio. Mit Tristanos Klavierspiel korrespondieren Video- und Lichtinstallationen, der Ohren- wird zugleich zum Augenschmaus. Zum Finale am 27. September bringt die Berliner Jazzsängerin Lisa Bassenge auch eine Prise Chansons, Blues, Rock und Pop mit in die Kunsthalle. Ihre Texte sind alles andere als brav. Bassenge hat es damit durchaus auf Provokation angelegt.

Copyright Fotos:

Salut Salon, 2013, Foto © Wolfgang Michalowski

Lisa Bassenge, Foto © Juergen Schabes, Georg Roske

Francesco Tristano, Foto (c) Marie Staggat DG

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