Kultur im Sand
Unterwegs im ältesten Stadtteil Bambergs (Ein Spaziergang mit Markus Schäfer)
veröffentlicht am 26.09.2012 | Lesezeit: ca. 10 Min.
Wenn ich Freunden und Besuchern empfehlen soll, wo sie in Bamberg abseits der (hoch-) subventionierten Flagschiffe Symphoniker und Theater am ehesten kulturelle Vielfalt finden, dann gehe ich mit ihnen in den Sand. Dass sich der älteste Stadtteil Bambergs genau zwischen Konzerthalle und Theater befindet, ist dabei reiner Zufall.
Beginnen wir unseren Spaziergang durch den Sand mit einem Besuch im „Antiquitätenviertel“ rings um die Herrenstraße, wo ein Großteil der Bamberger Antiquitätenhändler sitzt. Kunst, Kultur und Kommerz gehen hier eine ganz besondere Symbiose ein. Leider sind die Berührungsängste noch immer sehr groß und ein Besuch eines der mit hochwertigsten Möbeln, Gemälden und Skulpturen ausgestatteten Geschäfte können sich viele nicht vorstellen. Dabei lohnt sich ein neugieriger Blick und auch wenn man nichts kaufen will, wird man in der Regel herzlich empfangen. Mit etwas Glück (und im richtigen Geschäft) wird man von leibhaftigen Baronen begrüßt und Damen werden mit Handkuss verabschiedet. Der kurze Gedanke an das Theater liegt da schon sehr nahe.
Beim Thema kulturelle Vielfalt sparen wir die Brauereigaststätten aus, obwohl ja viele meinen, dass zur Kulturstadt Bamberg auch die Bierkultur zählt – die sogar beworben wird. Wir konzentrieren uns lieber auf die Baukultur und müssen leider wieder einmal feststellen, dass die ehemalige Dominikanerkirche geschlossen hat. Es ist mehr als schade, dass eine der schönsten und beeindruckendsten Kirchen Bambergs so gut wie nie zugänglich ist. Vielleicht ändert sich das ja, wenn die Sanierung abgeschlossen ist und die neuen, künstlerisch gestalteten Kirchenfenster eingebaut sind. Wer tagsüber unter der Woche in den Sand kommt, kann zumindest den Kreuzgang des ehemaligen Klosters besuchen.
Ein echter Geheimtipp, den man über den Eingang des Staatlichen Bauamts erreicht. Die über 1000-jährige Baukultur ist ein Grund, warum Bamberg Welterbe ist und viele Besucher wollen genau das sehen. Nur beim moderneren Bauen hat Bamberg - wie viele andere Städte auch- in den letzten Jahrzehnten wenig bewegt. Das Gros der Besucher und Bewohner erfreut sich eben schnuckeliger Häuschen, romantischer Gässchen und barocker Paläste. Hier hält der Sand locker mit, schließlich sind hier zwei von drei Häusern als Einzeldenkmal gelistet.
Mitten in der Oberen Sandstraße stößt man auf die Galerie Sculptur, die Plastiken zeitgenössischer Bildhauer ausstellt. Die Kulturstadt Bamberg beheimatet ansonsten – man glaubt es kaum – nur eine einzige andere Galerie. Eine weitere Galerie für zeitgenössische Malerei hat vor Jahren mangels Zuspruch geschlossen. Wer sich für zeitgenössische Kunst interessiert, ist in Schweinfurt, Würzburg oder Nürnberg vermutlich besser aufgehoben.
Immerhin versuchen die Initiatoren und Betreiber des Kesselhauses am Leinritt (Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken, Kunstverein Bamberg und Architekturtreff), die Fahne der zeitgenössischen Kunst hoch zu halten. Die Zukunft des dringend sanierungsbedürftigen städtischen Gebäudes ist jedoch ungewiss. Es wird sich zeigen, ob sich eine Mehrheit im Stadtrat findet, die bereit ist, die von vielen Kulturfreunden beklagte Lücke zu schließen. Wieso braucht es in einer mittelalterlich geprägten Stadt überhaupt zeitgenössische Kunst? Die etwas seltsam klingende Frage wird tatsächlich immer wieder gestellt.
Zurück ins Herz des Sandgebiets. Mit dem Live-Club, dem Jazz-Keller und dem Sound-n-Arts finden sich drei (mit den Haas-Sälen eigentlich vier) Locations, die – ganz oder weitgehend ohne Förderung – für eine lebendige Musikszene in dieser Stadt sorgen.
Momentan leider auf Eis liegt die Idee, aus den Haas-Sälen eine Art städtisches Kulturzentrum zu machen. Das dringend sanierungsbedürftige Gebäude in bester Lage und mit der genialen Terrasse hat enormes Potenzial und allein der Gedanke, was dort alles machbar wäre, beflügelt einige maßgebliche Akteure der Bamberger Kulturszene. So manche Heimat suchende Bamberger Kulturinstitution hätte hier ein zu Hause finden können und sich dann idealerweise immer wieder neu befruchten können, auf dass die Bamberger Kulturszene hätte wachsen und gedeihen können. Das Ganze ist noch nicht vom Tisch und vielleicht braucht die Idee auch einfach noch ein paar Jahre, um zu reifen. Dass in Bamberg die Uhren ohnehin etwas langsamer gehen, sagen selbst die, denen es meist nicht schnell genug gehen kann.
Beim Thema Kultur und Sand fällt immer wieder das Stichwort Sandkerwa. Es gibt Ideen und Visionen einzelner, die sich eine stärker kulturell geprägte Sandkerwa wünschen. Mancher träumt von hochkarätiger Live-Musik statt Kerwa-Mainstream. Mehrheitsfähig ist das vermutlich weder im Sand noch bei den Besuchern. Und die veranstaltende Sandkerwa-Veranstaltungs-GmbH ächzt jedes Jahr aufs Neue über verschärfte Auflagen, die kaum noch zu finanzieren seien. Die Kerwa bleibt also in erster Linie eine Veranstaltung für die Freunde der „Bier-Kultur“. Immerhin fließt ein Teil der Kerwa-Erlöse ins bereits erwähnte Projekt Kesselhaus.
Beim Spaziergang durch den Sand darf der Apoll nicht fehlen. Vor drei Jahren war dessen Aufstellung noch der große Aufreger, jetzt gehört er einfach dazu. Vor der Elisabethenkirche steht er und begrüßt die aus dem Norden kommenden Gäste mit seinen blauen Augen. Markus Lüpertz selbst war es, der mit geschultem Blick den Standort festlegte. Nun ist es ja so, dass Kunstwerke im öffentlichen Raum nicht überall auf Gegenliebe stoßen und gefragt werden die Bürger selten. Beim Apoll war das etwas anders. Nachdem klar war, dass die Stadt Bamberg den Apoll kaufen wird, aber unklar, wo er denn genau aufgestellt werden soll, haben die Vorstände von Bürgerverein IV. Distrikt und IG interesSAND… der Stadt freundlich den Elisabethenplatz als Standort vorgeschlagen. Deren Bekenntnis war eindeutig: „Ja, wir wollen den Apoll“. Bei so viel Liebe zur Kunst konnte die Stadt gar nicht anders als ja sagen. Dank der Laudatio von Lüpertz Skatkumpel und Bundeskanzler a.D. Schröder wurde die Enthüllung des Apolls zu einem öffentlichen Fest der Kunst, wie es Bamberg zuvor noch nicht gesehen hat.
Und so viel Debatte, ob am Stammtisch oder in Leserbriefen, wie es vor und nach der Aufstellung des Apolls gegeben hat, wünscht sich insgeheim jeder Kulturschaffende. Der Apoll wurde, trotz aller Unkenrufe, bisher weder umgefahren noch mutwillig beschädigt. Nur einmal hat die „grüne Hand“, der (oder die) ganz Bamberg mit Farbe beschmiert, auch das Bein des Apolls – ganz dezent- grün bemalt. Bei der Frage, wie man mit der mutwilligen Sachbeschädigung umgehen soll, hatte ein souveräner Lüpertz die passende Antwort. Nachdem er mit seinem seidenen Einstecktuch das Bein poliert hatte, erklärte er das Grün verschmierte Bein einfach zur Kunst.
Wenn es nach dem Wunsch von einer Lüpertz-Fangemeinde in Bamberg geht, dürfte der in Berlin lebende Künstler gleich in Bamberg weiterarbeiten. Die unscheinbaren Kirchenfenster der Kirche St. Elisabeth, die gerade ohnehin im Rahmen des Programms „Nationale Welterbestätten“ saniert werden, könnte doch Herr Lüpertz gestalten. Die Idee, die er übrigens bei der Suche nach dem geeigneten Standort für den Apoll selbst hatte, geistert seitdem durch den Sand. Das Thema Kirchenfenster ist für den Konvertiten Lüpertz eine ganz besondere Aufgabe. Dass sein ebenfalls weltbekannter Künstlerkollege Neo Rauch im Naumburger Dom Glasfenster zum Thema „heilige Elisabeth“ gestaltet hat, gibt dem ganzen zudem eine ganz besondere Note.
Der Künstler würde wollen, die Stadt, die Eigentümerin der Kirche ist, würde vermutlich nicht nein sagen und verschiedene Akteure aus dem Umfeld der Kirche sind sogar regelrecht euphorisch. Dabei sind noch viel Fragen offen. Vor allem ist momentan völlig unklar, wer die Kosten dafür tragen soll. Dass für die Sanierung der Kirche an oberster Stelle der christlich engagierte Finanzreferent zuständig ist, stimmt manchen Insider optimistisch.
So viel Kultur scheint auf jeden Fall ansteckend zu sein, denn im Sand ist noch ein weiteres Kunstwerk geplant, das aufgrund des Hypes um den Apoll fast schon in Vergessenheit zu geraten drohte. Auf Initiative der IG interesSAND… soll eine Skulptur errichtet werden, die an den bekannten Narren Till Eulenspiegel erinnern soll, der in Bamberg „um Geld aß“. Die amüsante Geschichte, die auch der Nachtwächter gerne erzählt, handelt von einem von Eulenspiegel provozierten Missverständnis in einem Wirtshaus. Dadurch schafft er es, sich ohne zu bezahlen satt zu essen. Da der Sand über die höchste Kneipendichte Bambergs verfügt (auch damals schon), liegt es nahe, dass sich die Geschichte im Sand zugetragen hat. Wann und wie es mit diesem Kunstprojekt weiter geht, kann derzeit niemand sagen. Aber alle versichern: Das ist noch nicht vom Tisch.
Der Vollständigkeit halber will ich noch das private Krippenmuseum von Erk Baumann sowie das Bamberger Marionettentheater erwähnen. Die Krippen sind in einem der markantesten Gebäude der Straße untergebracht und wer Krippen liebt, ist hier sicher gut aufgehoben. Ich selbst bin hin- und hergerissen, ob das sehr liebevoll gestaltete Museum nicht ein wenig frischen Wind bräuchte oder ob die Faszination des Authentischen nicht einfach auch ihren Reiz und ihre Berechtigung hat.
Auch zum Marionettentheater habe ich ein leicht ambivalentes Verhältnis. Mit etwas Glück erlebt man eine schöne, kurzweilige Aufführung und kann die intime Atmosphäre sehr genießen. Wem das nicht ganz so gefällt, der wird sich schwer tun, den Raum zu verlassen, denn wenn zwei Personen gehen, fehlen schon knapp 10% der Zuschauer und man wird das Gefühl nicht mehr los, etwas ganz Schlimmes getan zu haben. Aber letztlich kann man sich nur freuen, dass in diesem kleinen Stadtteil, den man in knapp 20 Minuten durchquert hat, so viel geboten ist. Und ob Kunsthändler, Galerist, Konzertveranstalter, Museums- und Theaterdirektor, sie alle eint ein hohes Maß an Leidenschaft für „ihre“ Kunst. Das spürt man und das kann man – wenn man die Zeit hat - jeden Tag aufs Neue erleben.