Es gehört zu den immer wieder zu hörenden und gerne gepflegten Vorurteilen über Bayreuth und sein Kulturleben, dass die Stadt sommers zur Festspielzeit aus einer Art Winterschlaf erwacht und bald nach dem Ende der Wagner-Saison auch wieder in denselben versinkt. Das ist allerdings ziemlicher Unsinn, denn Bayreuth hat auch außerhalb seines weltweit im Fokus stehenden Festivals einiges zu bieten. Freilich kulminiert das kulturelle Angebot während der Festspielwochen in besonderer Weise, nicht zuletzt weil viele Gäste auch außerhalb der Wagneraufführungen im Opernhaus noch Zeit und Interesse für andere Angebote haben – manchmal ganz einfach deshalb, weil sie gar nicht alle wünschenswerten Karten besitzen.
Auf dem Festspielkalender stehen nach der Eröffnung mit dem neuen Parsifal in der Inszenierung Uwe Eric Laufenbergs noch der schon seit mehreren Jahren gezeigte Fliegende Holländer Jan Philipp Glogers, die noch frische Tristan-und-Isolde-Inzenierung Katharina Wagners vom vorigen Jahr (Dirigat: Christian Thielemann) und die zum letzten Male aufgeführte Ring-des-Nibelungen-Tetralogie in der Inszenierung Frank Castorfs (jetzt unter dem Dirigat Marek Janowskis, das interessant werden könnte). Für letztere Aufführungen lassen sich übrigens noch mühelos Karten ergattern, sei es im Internet oder selbst an der Tageskasse.
Die üblichen Kabale vor Festspielbeginn, die den Medien regelmäßig willkommene Anlässe zu wilden Spekulationen liefern, reduzierten sich heuer fast ausschließlich auf den kurzfristigen Ausstieg von Andris Nelsons aus dem Parsifal-Dirigat. Es ist müßig, Mutmaßungen über die Gründe bzw. Hintergründe anzustellen, z.B. ob Musikdirektor Thielemann sich allzu sehr eingemischt hat oder Nelsons ganz einfach nur eine Mimose ist – Fakt ist, dass es den alle Konflikte mit seiner patriarchalischen Art zudeckenden Wolfgang Wagner nicht mehr gibt und Tochter Katharina wohl die erforderliche Sensibilität hinsichtlich des Führungsstils abgeht. Mit Hartmut Haenchen ist ein solch erfahrener Wagner-Dirigent eingesprungen, dass der Verzicht auf den empfindlichen Maestro aus Lettland wohl verschmerzbar sein wird. Haenchen sorgte gleich für Erstaunen mit der Ankündigung, sein eigenes Partiturmaterial mitzubringen und zu verwenden...
Wer neben den Opernabenden noch genügend Zeit hat und für mehrere Tage in Bayreuth bleiben will, kann sich entweder jenen Veranstaltungen zuwenden, die speziell parallel zur Festspielzeit angeboten werden, oder sich den Orten widmen, die man eigentlich auch ganzjährig besuchen kann, die aber jetzt sozusagen „nahe liegen“. Dazu gehört die Stadtkirche mit ihrem Konzertprogramm ebenso, wie die durchaus zahlreichen Museen Bayreuths mit ihren gewichtigen Inhalten locken. In der Stadtkirche – oder besser: in die Stadtkirche – locken sonntags und mittwochs die beliebten „Matineen zur Festspielzeit“. Am 5. August gibt es zudem ein Orgelkonzert ausschließlich mit Transkriptionen Wagnerscher Werke.
Unter den Museen sind u.a. erwähnenswert das Urwelt-Museum, in dem sich Erdgeschichte hautnah erleben lässt, das der Geschichte Bayreuths gewidmete Historische Museum, das neu gestaltete Jean-Paul-Museum, das Kunstmuseum Bayreuth (in dem zurzeit zwei Sonderausstellungen zu sehen sind), das direkt gegenüber Haus Wahnfried gelegene Franz-Liszt-Museum mit originalen Exponaten von Wagners Schwiegervater oder das interessante, im Logenhaus untergebrachte Deutsche Freimaurermuseum. Diesbezüglich gibt es übrigens in Bayreuth eine lange Tradition: Markgraf Friedrich III. stiftete vor 275 Jahren hier die damals sechste Freimaurerloge in Deutschland.
Ein Ausflug könnte zum Lustschloss Fantaisie mit dem ersten deutschen Gartenkunstmuseum führen oder, wenn sich kultureller Überdruss einstellt und der Sinn nur noch nach Wellness steht, zur Lohengrin Therme. Dass Bayreuth neben dem klanglich besten Operngebäude (dem Festspielhaus) auch das architektonisch schönste Theater Deutschlands besitzt, nämlich das Markgräfliche Opernhaus, kann nicht oft genug betont und wiederholt werden. Es wurde 2012 zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt und wird seither mit großem Aufwand restauriert. Im Frühling 2018 soll es wiedereröffnet werden und dann neben den ganzjährigen Besichtigungsmöglichkeiten im Rahmen des Museumsbetriebs auch während der Sommermonate für einen denkmalverträglichen Spielbetrieb zur Verfügung stehen.
Das Richard-Wagner-Museum (RWM) präsentiert pünktlich zur Festspielzeit Musik und Kunst im Hause Wahnfried. Eine bereits am 17. Juli eröffnete Sonderausstellung wird bis zum November Wagnerbilder von Monika Rittershaus – Fotografien 1992-2016 – zeigen. Somit widmet sich das Museum nach der Sonderausstellung „Germanenkult – Wagner-Illustrationen von Ferdinand Leeke“ im Frühling 2016 ein weiteres Mal einem Kapitel der Wagner-Ikonographie. Die Theaterfotografien von Monika Rittershaus dokumentieren und interpretieren die vielfältige Wagnerrezeption der vergangenen 20 Jahre. Die Momentaufnahmen der Künstlerin fassen den Geist einer Operninszenierung wie in einem Brennglas zusammen. Monika Rittershaus hat mit den bedeutendsten und unterschiedlichsten Regisseuren und Bühnenbildnern zusammengearbeitet. So ist ein faszinierendes Panorama der verschiedensten Wagner-Deutungen in den vielfältigsten Ausdrucksformen moderner Theaterästhetik entstanden.
Die „Wahnfried-Konzerte zur Festspielzeit“ werden auch heuer die Tradition erstklassiger Kammerkonzerte im besonderen Ambiente des Wahnfried-Saales fortsetzen, die 2015 im Zuge der Neueröffnung des Museums wieder auflebte. Das RWM bietet vom 4. bis 27. August insgesamt neun Konzerte an, deren Bogen sich von Quartett- und Klavierabenden bis zu den Liedrezitals spannt, an denen teilweise Festspielsängerinnen beteiligt sind. Einen besonderen Prominenzfaktor erlangen diese Konzerte natürlich durch den erfreulichen Umstand, dass am historischen Steinway-Flügel Richard Wagners musiziert werden kann, der schon 1876 anlässlich der ersten Bayreuther Festspiele von der New Yorker Steinway-Familie als „Festgruß aus Steinway Hall“ an den Komponisten übergeben wurde. Dieser Flügel, der die weitgehende Zerstörung von Haus Wahnfried im Jahre 1945 wie ein Wunder ohne gravierende Beschädigungen überstand, ziert heute die Rotunde des Saales und erwacht während der Konzertreihen zum Leben.
Der zweite große „Player“ während der Festspielzeit ist seit jeher die traditionsreiche Firma Steingraeber & Söhne. Seit 1852, mittlerweile in sechster Generation, fertigt diese Klaviermanufaktur Tasteninstrumente, vor allem Klaviere und Flügel, für die Bühnen der Welt. Das Steingraeber-Haus in der Innenstadt ist eines der wenigen weitgehend original erhaltenen Bauten des Bayreuther Rokoko. Die Werkstätten im Nachbargebäude stehen Besuchern bei Führungen offen. Jährlich finden rund 75 Konzerte und andere Veranstaltungen statt, besonders konzentriert natürlich auf die Festspielzeit. Neben den obligatorischen Einführungsvorträgen zu den Opern Richard Wagners und den beliebten Fabrikführungen gibt es eine Fülle von Klavierrezitals. Im Rahmen des 14. Bayreuther Klavierfestivals gastieren über 30 renommierte Künstler an 63 Tagen und bringen alle nur denkbaren Facetten der Klaviermusik nach Oberfranken, so gleich am 4. August der Pianist Teppo Koivisto.
Am selben Tag und später an weiteren Terminen noch mehrfach wird in einer anderen Veranstaltung die Frage „Tristan oder Isolde?“ gestellt. Es handelt sich dabei um eine der alljährlichen Wagner-Adaptionen Uwe Hoppes, die längst Kultstatus besitzen. Einerseits wird dem Werk Richard Wagners großer Respekt gezollt, denn es wird in Kontrast gestellt zur Lächerlichkeit von Telenovelas und Daily Soaps. Andererseits stellt Uwe Hoppe mit derber Komik eine ziemlich schräge und temporeiche Show auf die Bühne, die bisweilen mit melancholischen Momenten durchsetzt ist. Klavierabende und -matineen mit Moritz Ernst, Ingo Dannhorn und Cyril Guillotin folgen in der ersten Augusthälfte. Auch um die Statisten der Bayreuther Festspiele und das Thema „Wieland Wagner. Regie und Inszenierung“ kümmert man sich in Vormittagsveranstaltungen. Eine weitere Matinee ist dem Thema „Paris um 1900 – zwischen Dadaismus und Cabaret“ gewidmet.
In einem Hause mit so vielen herrlichen Flügeln wie bei Steingraeber & Söhne gibt es natürlich auch genügend Instrumente, um Konzerte mit mehreren Klavieren zu bestücken.
Die beliebteste Gattung ist das Klavierduo. In dieser Besetzung spielt das Duo Lehmann/Takahashi in einer Matinee am 18. August, zwei Tage später gastiert das Klavierduo Saulich/Genari, am 22. August das Klavierduo Speidel/Trenkner, dazwischen geht es zur „Maske bei den Bayreuther Festspielen“. Gegen Ende der Festspielzeit gastiert die Pianistin Lisa Delan, und der Komponistenjubilar des Jahres 2016, Max Reger, wird mit einem Vortrag geehrt. Das traditionelle Stipendiatenkonzert der Richard-Wagner-Stipendienstiftung findet am 19. August statt. Eine „Festwoche der Alpenklassik“ schließt sich unmittelbar an die Termine der Bayreuther Festspiele an. Freilich geht den Steingraeberschen Kulturaktivitäten damit noch lange nicht die Puste aus, denn auch nach der Festspielzeit sind im September noch einige Highlights zu erleben, so eine Stummfilmvorführung mit Klavierbegleitung live, ein Rezital des New Cologne Piano Trio Shanghai und Auftritte der „Cremona Mondomusica“.
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Bayreuther Festspiele, Foto © Bayreuther Festspiele
Lizt Flügel im Haus Steingraeber, Foto © Steingraeber
Götterdämmerung, Bayreuther Festspiele 2015, Foto © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Das Rheingold, Los Angeles Opera 2009, Inszenierung und Bühne: Achim Freyer, Kostüme: Amanda Freyer, Licht: Brian Gale, Foto © Monika Rittershaus
Kammermusiksaal im Steingraeber Haus, Foto © Steingraeber