Kulturinfarkt 2.0 – wieviel Markt verträgt Kultur?
Die TTIP-Verhandlungen als Drohkulisse für „Kulturelle Vielfalt“
veröffentlicht am 04.08.2014 | Lesezeit: ca. 7 Min.
Die Debatten um das TTIP - Transatlantic Trade and Investment Partnership - sind nicht neu, sondern viele Jahre alt. Seit mindestens Anfang der 90er Jahre gibt es die Initiative zur gegenseitigen, umfassenden Öffnung der Wirtschaftsräume der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten von Amerika. Das Freihandelsabkommen in Form eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen den beiden Kontinenten befindet sich jedoch seit nunmehr Juli 2013 in seiner Konkretisierungsphase und versucht für die beiden großen Gemeinschaften zu erreichen, was im Rahmen der Liberalisierungsbemühungen der Welthandelsorganisation in unsichtbare Ferne gerückt scheint: Freie Märkte für starke Unternehmen.
Ein Schlagabtausch also ist vorprogrammiert, ein Celebrity-Death-Match der besonderen Güte zwischen den EU-Staaten und der U.S.A., in dem sich die Global Player der Weltwirtschaft um neue Territorien prügeln. Gekämpft wird auch um möglichst freie Marktzugänge, idealerweise mit einseitigen, fragwürdigen Absicherungsmechanismen (vgl. Investitionsschutz-Bestrebungen des TTIP) und möglichst wirtschaftsfreundlichen, grenzen- und schrankenlosen Marktsituationen. Und was böte sich besser als eine Asymmetrie von unterschiedlichen Standards verschiedener Länder, um im Rahmen einer Annäherung hinderliche Maßstäbe zu eliminieren und Errungenschaften von Demokratie und verantwortungsbewusster Zivilgesellschaft zugunsten von Profitmaximierung hinter verschlossenen Türen auszuhebeln?
Genmais, Chlorhühnchen und Hormonfleisch sind da nur die Spitze des Eisbergs befürchteter Veränderung. Arbeitnehmerrechte, Gesundheitsstandards und das europäische Niveau im Umweltschutz stehen auf dem Spiel. Und auch der Kulturbereich muss zittern. Das TTIP könnte ein Generalangriff auf die „Kulturelle Viefalt“ Europas werden, zu deren Erhalt sich Deutschland und die EU 2007 mit der Ratifizierung der »UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen« ausdrücklich verpflichtet haben. Denn die Kreativwirtschaft birgt große, überwältigende Potentiale, im Realmarkt sowie vor allem auch im E-Commerce. Die Buchpreisbindung steht auf dem Spiel. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk könnte nach Abschluss als Konkurrenz im besten Wortsinn beklagt werden. Verminderte Mehrwertsteuersätze könnten diskutiert, die Filmförderung wegen Wettbewerbsverzerrung angegriffen werden. Die Bereiche Rundfunk, Games- und Musikwirtschaft sowie E-Books geraten ins Visier von Deregulierung und Durchdringung. Urheberrechte könnten sich von ihrer Funktion des „Schutzes geistigen Eigentums“ zu neuen globalen Geschäftsmodellen wandeln, sobald sie, wie das amerikanische Copyright es vorsieht und praktiziert, nicht mehr an die tatsächlichen Urheber gebunden sind, wie das in Europa bisher deutlich und unerschütterlich der Fall war. Der Marktdurchdringung der Kulturindustrie könnten ihre kleinen Gegenpole abhandenkommen, die die beschwörte Vielfalt stärken. Dabei sind die Marktanteile der Kulturindustrien in vielen Bereichen ohnehin längst auf wenige globale Riesen verteilt. Die Musikwirtschaft zum Beispiel hat gerade noch vier, maximal fünf große Unternehmen, die sich den Markt teilen und die uns ihren Musikgeschmack über Rundfunkverträge und Marktmacht seit Jahren massiv aufdrücken. Blicken wir auf die jüngeren Entwicklungen bei amazon. Dort zeigt die Durchdringung des Literaturmarktes, aber auch des Musikmarktes eine neue Dimension. Einst als Internet-Buchhändler gestartet, stellt sich das Unternehmen inzwischen mit aller Kraft möglichst vertikal auf und deckt inzwischen sämtliche Glieder der Wertschöpfungskette selbständig ab. Von der eigenen Verlagstätigkeit bis zum an den Vertrieb bindenden Niedrigpreis-Endgerät für digitales Lesen liefert es alles aus einer Hand. Zunehmend sichtbar wird dort auch das Modell des On-Demand-Vertriebs physischer Artikel, die erst auf Bestellung einzeln produziert werden. In seiner Preisgestaltung kümmert sich das Unternehmen längst massiv um die eigenen Interessen und vernachlässigt die der Hersteller und Zulieferer enorm. Wer bei amazon vertreibt, muss sich damit abfinden, dass der Vertrieb bereits heute nicht auf territoriale Beschränkungen Rücksicht nimmt, die in den Märkten aber unvermeidbar und gerade bei kleineren Unternehmen auch die Regel sind. Da beängstigt schon, dass die U.S.A. darauf drängt, dass „Wettbewerbsverzerrungen“ auf hohe Summen einklagbar werden (Investitionsschutz).
Letztlich bergen Freihandelsregelungen Gefahr für alle öffentlich-regulierenden Eingriffe in den Kulturmarkt. Deshalb werden die Forderungen des Ausschlusses des Kultur- und Mediensektors aus dem TTIP-Abkommen immer lauter. Gleichzeitig steigt die Skepsis, ob sich die Verhandlungspartner mit der von der französischen Regierung in das Verhandlungsmandat diktierten Ausnahme der audiovisuellen Dienste zufrieden geben, zumal erste Anzeichen von Umwegen zum Aushebeln entsprechender Bereiche sich bereits abzeichnen, trotz aller Mühen der Geheimhaltung von Verhandlungsdetails. Geht es nach amerikanischem Willen, so berichtete die „Neue Züricher Zeitung“, soll die Warenklassifikation der UNO geändert werden, so dass audiovisuelle Medien ihre bisherige Zuordnung zur „Kultur“ verlieren und zur „Telekommunikation“ gezählt werden sollen. Damit würde dieser Bereich von der Ausnahme Kultur abgekoppelt und diese über die Hintertür massiv doch tangieren.
Alles in Allem eine Besorgnis erregende Situation mit vielen offenen Fragen und einer hochpreisigen Verhandlungsmasse. Deshalb wird der Ruf nach einem Stopp, nach einem Neuanfang mit besser verteilten Mandaten und mehr Transparenz nun richtig laut. Am 15.07.2014 hat die 47. Europäische Bürgerinitiative ihren Antrag auf Registrierung bei der Europäischen Kommission gestellt. Die Initiative „StopTTIP“ fordert die EU-Kommission auf, dem EU-Ministerrat zu empfehlen, das Verhandlungsmandat über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTI) aufzuheben und auch das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) nicht abzuschließen. Hinter der Initiative stehen knapp 150 Organisationen aus 18 EU-Mitgliedsländern. In Deutschland wird die Bürgerinitiative koordiniert von Attac, Campact, BUND, Mehr Demokratie e.V., Umweltinstitut München, Naturschutzbund Deutschland e.V. sowie Brot für die Welt, die GEW und mit dem Deutschen Kulturrat, mit dem Spitzenverband der Bundeskulturverbände.
Den genauen Forderungstext der EBI finden Sie hier: http://stop-ttip.org/registration/
Der Start der Unterschriftensammlung der Anti-TTIP-EBI ist für September 2014 geplant. Einen detaillierten Zeitplan finden Sie hier:
http://www.stop-ttip.org/schedule
Mehr Demokratie hat im Vorfeld ein unabhängiges Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das die juristische Rechtmäßigkeit prüfen soll. Es kommt zu dem Ergebnis, dass die EBI zulässig ist. Das Gutachten ist hier einzusehen: www.stop-ttip.org/legal-opinion
Die Bündnispartner finden Sie hier: http://stop-ttip.org/wp-content/uploads/2014/07/ECI-Partner-List.pdf
Umfangreiche Informationen des Deutschen Kulturrates zu TTIP finden Sie hier: http://www.kulturrat.de/ttip