Politrix

Kulturnerds setzen Segel

Die Kulturpolitik der Piraten-Partei: ART. 5|III im Gespräch mit Tina Lorenz und Benjamin Stöcker

veröffentlicht am 11.01.2013 | Lesezeit: ca. 10 Min.

Es war nicht anders zu erwarten. Beim oberflächlichen Blick auf die Inhalte der Piratenpartei fallen vor allem zwei Stichpunkte auf: GEMA und Urheberrecht. Die Cloud der Piratenpartei unterstreicht das deutlich:

Denn diese „Baustellen“ sind augenfällig, wenn man eine Partei aufbaut, die das Internet und all seine Möglichkeiten rechtzeitig als Kulturrevolution versteht, die Veränderung und Anpassung nötig macht. Denn im „Netz“ stößt die Freiheit vor allem dort an Grenzen, wo „geistiges Eigentum“ zugestanden und geschützt und gegen Gebühr verkauft oder ohne geraubt wird. Und damit tritt die junge Partei schnell jenen auf den Schlips, die mit dem Vertrieb ihres „geistigen Eigentums“ Geld verdienen und läuft nachhaltig Gefahr, sich als Künstler-Versteher und Kulturfreund auf Dauer unglaubwürdig zu machen.

Dabei geht es in erster Linie gerade nicht um die Einnahmesituation für Künstler, wenngleich die Diskussionsanstöße der Kulturpiraten die Künstlerfinanzen zwangsläufig tangieren. Aber eben nur am Rande. Vielmehr geht es um Freiheit von Virtualität, um den sozial verträglichen Zugang zu Kulturgütern (bei den Piraten heißt das Plattformneutralität) und einen offenen Umgang mit dem Faktor Kultur im Sinne von Zugänglichkeit und Partizipation sowie vor allem auch bezogen auf die digitale Welt. Das beinhaltet auch die Idee so genannter Open Commons, was bedeutet, dass Werke, die mit öffentlichen Mitteln finanziert wurden, auch frei zugänglich sein sollen, insbesondere digital. So oder so ähnlich sehen Grundgedanken einer Kulturpolitik bei den Piraten aus.

AG Kulturpolitik:

„Die AG Kulturpolitik setzt sich zum Ziel, allen Menschen die Teilhabe an Kultur zu ermöglichen – sei es als Kulturschaffende oder als Konsumenten. Kultur ist ein Grundbedürfnis des Menschen; Politik muss diese Teilhabe gewährleisten. Die AG Kulturpolitik gibt dabei keine Definition für „Kultur“ als solches vor und betrachtet alle ihre Erscheinungen gleichwertig.“

Dass sie ihren Grundideen noch kein ausführliches Handlungsprogramm angegliedert haben, wird ihnen derzeit permanent und schroff vorgeworfen, nicht nur auf dem Felde der Kulturpolitik. Überhaupt, so der häufige Vorwurf etablierter Konkurrenten, sei neben Science Fiction und Digitalisierungswahn kaum Gehalt in der neuen Politik zu erkennen. Überhaupt sei der Umgang mit Künstlern und Kultur unsensibel. Das Urteil kommt voreilig. Denn es ist vermessen, von einer jungen, gerade erstarkenden Partei zu verlangen, dass sie von heute auf morgen mit einem ausdifferenzierten Programm zu glänzen weiß. Und gerade mit Blick auf die Kulturpolitik ließe sich bei allen Parteien mangelnder Fleiß bei den Hausaufgaben in diesem Fach testieren. Die anhaltende Diskrepanz zwischen den Vorgaben des jüngsten, ausführlichen Berichts der Enquete-Kommission Kultur des Bundestages und der Realität unserer Kulturlandschaften ist ein gültiger und schwer wiegender Beweis.

Um herauszufinden, was genau die Kulturpiraten aktuell bewegt, wo sie ungefähr stehen und ob sie diskussionsbereit, offen und kompetent mit Kulturpolitik umgehen, haben wir um ein Gespräch gebeten und es prompt bekommen, in aller Freundlichkeit und Offenheit. Nicht jeder Politiker steht für kulturpolitische Fragestellungen so unkompliziert zur Verfügung. Und bereits nach den ersten Sätzen war klar, dass die Piraten die Dringlichkeit, sich als Kulturpartei zu profilieren, längst erkannt haben:

„Es ist wichtig, sich neben den Themengebieten Netzpolitik, Urheberrechtsreform und BGE (Bedingungsloses Grundeinkommen) als Kulturpartei zu etablieren, noch dazu weil das in keiner anderen Partei einen derartigen Stellenwert hat.“ (Flaschenpost – Das Nachrichtenmagazin der Piratenpartei, 27.09.2012)

Nicht zuletzt aktuelle Fragestellungen wie die Forderung einer Verankerung von Sport und Kultur als Staatsziel oder auch die Mehrwertsteuerpflicht für Musik- und Tanzunterricht gaben Anlass zur Gründung der AG Kulturpolitik. So konnte das so genannte kulturnerds-Positionspapier auf dem Landesparteitag 2012.2 in Maxhütte-Haidhof mit großer Mehrheit beschlossen werden. Seitdem hat die Kulturpolitik der Piraten eine erste Form. Zugegebener Maßen noch sehr grob, doch der gute Wille lässt sich allemal ablesen.

Bereits mit der Präambel schreibt sich die Partei Kulturaffinität und die Notwendigkeit der Finanzierung von Kultur ins Programm. VERNETZUNG, PARTIZIPATION und OFFENHEIT sind die Schlagwörter. Erlebt „Kultur für alle“ von Hilmar Hoffmann hier eine Renaissance!? – zumindest eine neue Dimension! Und auch das Vernachlässigen der freien, alternativen Kultur wird noch in der Präambel bemängelt.

Art5drei will es etwas genauer wissen und hakt nach:

Art5drei: Muss Hochkultur abgeschafft werden?

Tina Lorenz:

Nun ja, wir verwenden das durchaus als provokativen Slogan. Was realpolitisch allerdings dahinter steckt, ist die Sichtung des Systems der Kulturförderung. Wir wollen hier Transparenz und Entscheidungskompetenz und keinesfalls eine Reduktion auf politische Leuchtturmprojekte. Das liegt aktuell sehr im Argen. Zum Beispiel schüttet der Bayerische Kulturfonds laut Haushaltsplan 10 Millionen Euro aus. Tatsächlich sind nur die Ausgaben über 7 Millionen nachvollziehbar. So geht das nicht. Ebenso wollen wir eine Mittelverteilung im Sinne eines weiten Kulturbegriffs und keine Fokussierung auf die großen Institutionen der Hochkultur. Die vorhandene Kluft zur Freien Kulturszene muss abgebaut werden. Das Ziel ist Vernetzung und gegenseitiges Befruchten. Beide können voneinander profitieren und die Lebenswelt und unseren Alltag gemeinsam wesentlich besser durchdringen.

Art5drei: Welche Schritte wären hier z.B. denkbar?

Tina Lorenz:

Wir stellen uns Öffnung seitens der Theater vor, Kooperationsmodelle mit Freien Initiativen, die Synergieeffekte freisetzen und anderes Publikum ansprechen. Oder auch die Nutzung der digitalen Möglichkeiten zur Erschließung eines neuen Publikums. Theater haften zu sehr an ihrem Kernpublikum. Sie laufen Gefahr den Generationenwechsel zu verpassen, wenn sie sich nicht zeitig an die Gewohnheiten und die Lebensrealität junger Leute anpassen.

Benjamin Stöcker:

Die Kulturrevolution der Digitalisierung läuft. Sie ist in vollem Gange. In zwei Jahren kommt die Google-Brille. Dem dürfen sich Kultureinrichtungen nicht verschließen, sondern sie sollen hierin ihre Chancen suchen.

Tina Lorenz:

Oder wenn wir uns Museen ansehen. In England sind diese vom Eintritt befreit. Das ist ein spannendes Modell, das auf die Lebensrealität von vielen Besuchern eingeht und die Entscheidung ins Museum zu gehen wesentlich einfacher macht.

Benjamin Stöcker:

Die Bamberger Symphoniker sollten beispielsweise Einspielungen kostenfrei verfügbar machen. So würden sie über das Internet ganz neue Leute ansprechen. Oder das Orchester als Flashmob (d.h. spontaner Menschenauflauf, also spontaner Orchesterauflauf sozusagen) und ähnliche Ansätze sind sehr spannend.

Art5drei: Wie läuft das dann im Finanzierungsmix zusammen. Immerhin verliert das Orchester dadurch unter Umständen Einnahmen.

Benjamin Stöcker:

Dem stehen aber Marketingeffekte gegenüber und der potentielle Gewinn neuer Hörerschaften. Nicht selten sind rechtliche Schranken hier eine kaum zu überwindende Barriere. Deshalb müssen wir über Urheber-, Verwertungs- und Leistungsschutzrechte sprechen.

Überhaupt sind wir der Meinung, dass öffentlich finanzierte Kulturprodukte möglichst frei und für alle verfügbar sind. So eröffnen sich auch neue Finanzierungsmöglichkeiten, wie z.B. das digitale Crowd-Funding, bei dem bestimmte Vorhaben von Anhängern der Akteure finanziell gestützt werden. Damit solche „Spender“ für Ideen eines Orchesters zutun, müssen sie zunächst wissen, was ein Orchester macht und wie ein Orchester klingt. Das Internet hat hier keine Hemmschwelle und eignet sich in besonderer Weise neue Zielgruppen anzusprechen.

Tina Lorenz:

Bezüglich der Finanzierung ist eine sinnvolle und transparente Förderung der Kernpunkt. Aber auch der Zugewinn von neuem Publikum birgt großes Potential. Es ist nicht unbedingt zu wenig Geld für Kultur da. Im internationalen Vergleich sehen viele neidisch auf Deutschland. Bezüglich der Verteilung der Mittel allerdings gibt es großen Handlungsbedarf. Auch darf Kulturfinanzierung nicht Löcher in anderen Haushaltsbereichen stopfen. Solche Schlupflöcher müssen geschlossen werden.

Art5drei: Eure Ideen basieren generell stark auf einer sehr jungen Lebensart, auf Lebensgewohnheiten, wie wir sie vor wenigen Generationen noch nicht kannten und die sich auch nicht so ohne weiteres auf ältere Generationen übertragen lassen. Wenn ich das richtig verstehe, versucht ihr nichts anderes, als die neuen Bedingungen und Möglichkeiten, die mit jungen, technisch versierten Menschen und durch die fortschreitende Digitalisierung zusammenhängen einzugehen und daraus Potential für die Gesellschaft und Politik für heute und morgen zu ziehen. Oder um beim Thema zu bleiben – neue Chancen für die Kultur und die Kulturpolitik. Ist das so richtig?

Tina Lorenz:

In der Tat haben wir es hierbei mit einem Generationenwechsel zu tun, der diejenigen einholt, die sich ihm nicht stellen. Oder anders formuliert: WIR STELLEN DIE RICHTIGEN FRAGEN! Wir haben noch nicht einmal eine Oppositionsaufgabe. Daher können wir leicht Fragen stellen wie: Was ist in 10 Jahren? Was könnten richtige Visionen sein? In welche Richtung geht unser Gestaltungsspielraum und –wille? Welche Veränderung birgt welches Potential? usw.

Art5drei: Werdet ihr solche Fragen auch für die Kommunalwahl 2014 in Bamberg stellen und dort zur Wahl antreten?

Benjamin Stöcker:

Natürlich werden wir hier zur Kommunalwahl antreten. Und zwar mit dem Ziel 6 % und damit zumindest Fraktionsstärke im Bamberger Stadtrat zu erreichen.

Art5drei: Dann freuen wir uns jetzt schon auf unsere kulturpolitischen Wahlprüfsteine zu den bevorstehenden Kommunalwahlen, mit denen wir auch Euch zu gegebener Zeit wieder konfrontieren wollen. Bis dahin vielen Dank für die spontane Bereitschaft uns Eure kulturpolitischen Gedanken mitzuteilen. Wir werden diese gerne weiter beobachten und sind auf tiefere Ergebnisse gespannt. Dafür wünschen wir eine glückliche Hand, viele kontroverse Diskussionen und einen reichen Erfahrungsschatz, der zu einem guten Ergebnis führt.

Ähnliche Artikel: